Chavez und die permanente Putschgefahr

Von Ivonne Trías*
http://www.npla.de/poonal/P525.htm#ve

(Caracas, 19. Mai 2002, comcosur-poonal).- Über der venezolanischen Hauptstadt liegt eine eigentümliche Spannung. Mit der Rückkehr des gestürzten Präsidenten Chavez ging, entgegen der Einschätzung im Ausland, nicht die Rückkehr der Normalität und der Ruhe einher. Sowohl Chavez-AnhängerInnen wie Oppositionelle, Taxifahrer, BuchhändlerInnen und Intellektuelle - sie alle erwarten einen "neuen April", in Anspielung auf den Putschversuch in jenem Monat.

Der runde Tisch, der von der Opposition gefordert worden war, wurde schließlich eingerichtet, währte aber nicht lange. Mit lautem Geschrei verließen die großen Massenmedien, allen voran diverse Fernsehsender, die Gespräche. Sie warfen dem Präsidenten vor, sie dämonisieren zu wollen. Dabei war es die überwiegende Mehrheit der Medien, mit Ausnahme eines staatlichen und eines alternativen Fernsehsenders, gewesen, die während der 48 Stunden des Putsches die Bevölkerung dazu aufhetzten, sich des Präsidenten zu entledigen. Der angebliche Drahtzieher des Staatsstreichs, der in Miami wohnende Unternehmer Isaac Pérez Recao, rief Chavez im Minutentakt und vor Millionen von ZuschauerInnen vor den Fernsehschirmen dazu auf zurückzutreten: "Herr Präsident, für das Wohl des Landes, für den Frieden der venezolanischen Bevölkerung, für das Vaterland, das Sie zu lieben behaupten, treten Sie zurück!".

Inmitten des immer noch angeheizten Klimas von Agitation und einer Untersuchung der Ereignisse vom 11. April traf sich eine Gruppe von JournalistInnen aus verschiedenen Ländern mit Präsident Chavez, bevor dieser nach Madrid weiterreiste. "Das nächste Mal werden sie es nicht mehr mit einem Putsch versuchen, nächstes Mal werden sie einen Massenmord anzetteln.", sagte er. Seiner Meinung nach könne ein neuer Putsch aufgrund seiner Unterstützung durch die Bevölkerung nur dazu führen, dass Tausende ermordet würden, die auf die Straße gehen, um den rechtmäßig gewählten Präsidenten zu schützen. Ein weiterer Gedanke, den er äußerte, war, dass seine GegnerInnen es wohl vorziehen würden, ihn schlichtweg zu töten, anstatt ein Bürgerkrieg auszulösen.

Chavez-AnhängerInnen kommen aus dem Flachland und aus präsidententreuen Militärkreisen. Aber zwischen den Bevorteilten seiner Reformen und den Leidtragenden fehlt ein politisches und soziales Gewebe, das es dem Präsidenten in der Tat ermöglichen würde, seine Projekte zu verwirklichen. Die Treue mancher Offiziere kann das Fehlen eines solchen Gewebes nicht ersetzen. Es fehlt außerdem eine besonnene Politik, die auch die Universitäten, die Medien und die Kultur im Allgemeinen mit einbezieht und damit die Macht auf verschiedene Bereiche der Gesellschaft aufteilt. "Ja aber...", entgegnet Chavez, "...wenn du die Technokraten fragst, ob der richtige Zeitpunkt zum Handeln gekommen ist, dann werden sie dies immer verneinen. Wenn es nach den Technokraten ginge, würden wir noch immer warten."

*Journalistin des "Seminario Brecha" aus Caracas


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