Chávez, der Putsch und die Erdölindustrie

http://www.npla.de/poonal/P519.htm

(Caracas, 18. April 2002, na-poonal).- Die Gründe für den dramatischen Sturz und für die anschließende Wiederkehr des venezolanischen Präsidenten Chávez sind in einem komplexen Gemisch aus sozialen Problemen und akuten Klassengegensätzen zu suchen. Der Streik in der staatlichen Erdölgesellschaft war einer der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Der Streik war nur das vorläufig letzte Kapitel in einer ganzen Reihe von Auseinandersetzungen rund um das staatliche Erdölunternehmen "Petróleos de Venezuela S.A." (PDVSA). Im Dezember war durch einen Streik bereits eine Lohnerhöhung durchgesetzt worden. Als am 26. Februar jedoch eine komplett neue Firmenleitung von der Regierung ernannt wurde, begann eine neue Runde im Konflikt mit Chávez.

Die Streikenden bemängelten eine fehlende Qualifikation der neuen Geschäftsführung, die nur aufgrund ihrer Loyalität zum Präsidenten Chávez von diesem eingesetzt worden sei. Dieser entgegnete dem Vorwurf mit dem Argument, dass das Unternehmen ineffizient geführt werde und nicht genug für das Land und für seine "bolivarsche Revolution" für die Armen leiste. Chávez sagte, dass die PDVSA sich in eine "schwarze Kasse" und einem "Staat im Staate" verwandelt habe.

Der Streik wurde sogleich von der Vereinigung der Arbeiter Venezuelas (CTV), der mächtigsten Gewerkschaft des Landes, sowie von der Industrie- und Handelskammer (FEDECAMARAS) unterstützt. Dessen Präsident und damit Arbeitgeberchef Pedro Carmona war auch der kurzzeitige Interimspräsident nach dem Putsch gegen Chavez. Tausende von Menschen gingen auf die Straße, um den Rücktritt von Chávez zu fordern.

Der Streik umfasste auch die Besetzung der zwei wichtigsten Erdölraffinerien des Landes. Die Hauptforderung war die Wiedereinsetzung der alten Geschäftsleitung. Die Aktionen paralysierten die Erdölindustrie, die die Säule der venezolanischen Wirtschaft ist und fast ein Viertel des Bruttoinlandprodukts (BIP) und an die 80% des Exports ausmacht.

Venezuela ist der viertgrößte Erdölexporteur der Welt und der drittwichtigste und zuverlässigste Rohöllieferant der Vereinigten Staaten. Die Ölreserven werden auf sieben Milliarden Barrels geschätzt und der Jahresetat wird zu einem Drittel aus den Erdölerlösen bestritten. Die PDVSA wurde 1975 verstaatlicht. Das Unternehmen öffnete sich zwar im Laufe der Jahre für ausländische Investitionen, doch eine Privatisierung dieses Sektors lehnt Präsident Chávez bislang ab. Er erhöhte die Abgaben, die ausländische Unternehmen leisten müssen.

Der Streik fand zu einem Augenblick statt, als die Unzufriedenheit mit der Regierung unter Chávez sehr hoch war. Der politische Analyst Manuel Malaver verglich den Erdölarbeiterstreik mit den Protesten, die den argentinischen Präsidenten Fernando de la Rúa im vergangenen Dezember zum Rücktritt gezwungen hatten.

Zu Beginn des Streiks hielt der Vizepräsident Venezuelas eine 10-minütige Rede, die landesweit über Funk und Fernsehen übertragen wurde. Er bekräftigte darin noch einmal die harte Haltung der Regierung, die nicht zu Verhandlungen bereit sei und er beschuldigte die Medien, die Streikenden zu unterstützen. Eine der ersten Maßnahmen, die Chávez nach seiner Rückkehr an die Macht, zwei Tage nach dem Putsch ergriff, war die Wiedereinsetzung der alten Geschäftsleitung der PDVSA.


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