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Anti-Alca-Aktionen in Quito

Das kaum ein Gipfel internationaler Organisationen wie WTO, IWF, G8 usw. mehr ohne Proteste stattfinden kann, ist mittlerweile so selbstverständlich, dass sie trotz zahlenmässiger beeindruckender Erfolge kaum noch eine Zeile in den großen Medien wert sind - jedenfalls solange kein Blut fließt. Doch das die Dynamik der Antigipfelmobilisierungen längst auch den Süden erreicht hat, wird bisher kaum wahrgenommen. So hatte es im März dieses Jahres gleich zwei Mobilisierungen gegen die Tagung der Interamerikanischen Entwicklungsbank in Brasilien und die UN-Tagung zur Finanzierung von Entwicklung in Mexiko gegeben. Wobei sie genau genommen sogar von dort ausgegangen war: liegt doch eine wichtige Wurzel dieser heute als "Antiglobalisierungsbewegung" bezeichneten Bewegung(en) in Chiapas, Mexico, wo am 1.1.1994 die Zapatistas ihren Aufstand starteten - bezeichnenderweise am Tage des Inkrafttretens der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA).

Nun sollen dieser Vertrages auf den gesamten Subkontinent ausgedehnt und sogar weiter verschärft werden. Und diesmal wird es nicht nur eine kleine, bis dahin unbekannte Rebellenarmee sein, die sich diesen Plänen in den Weg stellt: Wenn am 28. Oktober der ALCA-Gipfel (Amerikanische Freihandelszone, FTAA im englischen) in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito beginnt, werden die Minister der Mitgliedsländer, die mit Ausnahme Cubas alle 34 Nord- und Südamerikanischen Länder umfasst, nicht nur in Quito selber, sondern in der gesamten Hemisphäre mit Protesten konfrontiert werden.

Vorbereitet werden die Aktionen, zu der in Quito zehntausende Indigenas, Campesinos, Gewerkschafter, Studenten und andere AktivistInnen sozialer Bewegungen erwartet werden, u.a. von einer Koordination aller wichtigen Bewegungen des Landes, u.a. der CONFEUNASSC (Konföderation für Soziale Sicherheit der Campesinos) und der CONAIE (Konföderation der Indigenen Nationalitäten Ecuadors). Letztere hatte im Januar 2000 zu Protesten gegen die Pläne des damaligen Präsidenten Jamil Mahuad aufgerufen, den Dollar als einzige Währung einzuführen. Diese Mobilisierungen führten zum Sturz der Regierung und zur kurzzeitigen Machtübernahme einer Volksversammlung, die allerdings kurz darauf nach Drohungen Washingtons zwangsweise wieder aufgelöst wurde.

Ein kurzer Blick auf die Erfahrungen Mexikos mit dem NAFTA zeigt, was die anderen lateinamerikanischen Staaten erwarten könnte, wenn das Abkommen in Kraft tritt: in den 8 Jahren sind zahllose Kleinbetriebe und nicht wettbewerbsfähige Unternehmen Pleite gegangen, so dass die Arbeitslosigkeit immens angestiegen ist und die Armut selbst nach offiziellen Zahlen bei über 60% liegt; zehntausende Campesinos verloren ihr Land, weil das gemeinschaftliche Ejido-Land verkauft wurde und der Markt mit subventioniertem, in US-Agrarfabriken hergestelltem Billig-Mais überschwemmt wurde, so dass Mexiko heute mehr Mais importiert als herstellt. "Nebenbei" gab's Ende '94 eine als "Tequila-Krise" bekannt gewordene Wirtschaftskrise, von der sich das Land bis heute nicht erholt hat. Die durch die regelrechte Deindustrialisierung infolge der Insolvenzen entlassenen Arbeiter mußten sich entweder in den aufblühende "Maquiladoras", den Freihandelszonen, in denen frei von Steuern, Umweltschutz- oder Arbeitsrechten produziert wird, Arbeit suchen, oder sie siedelten sich in den immer grösser werdenden Slums am Rande der Großstädte an. Nicht wenige suchten ihr Heil auch in der Flucht, wobei viele bei dem Versuch, den Neuen "Eisernen Vorhang" an der Grenze zu den USA zu überwinden, ihr Leben ließen.

Wenn schon Mexiko, einer der drei stärksten Volkswirtschaften Lateinamerikas, der Konkurrenz durch den "Großen Bruder" USA nicht standhält, wie sollen dann kleine Länder wie z.B. Ecuador, deren Wirtschaft 468mal kleiner ist als die der USA, mit ihnen in einen "freien und fairen Wettbewerb treten"? Angesichts dieser Ungleichheit gilt mal wieder, was schon Kritiker des Liberalismus Anfang des 19. Jahrhunderts diesem vorwarfen: "Die Freiheit des freien Handels ist die Freiheit der freien Füchse in einem freien Hühnerstall." Unter höchst ungleichen Ausgangsbedingungen führt die formale Gleichheit nicht selten in totale Abhängigkeit. Kein Wunder also, dass der ALCA-Vertrag von sozialen Bewegungen als Acuerdo para Legalizar la Colonización de América Latina, Abkommen, um die Kolonialisierung Lateinamerikas zu legalisieren, bezeichnet wird.

Dabei geht es dem Vertrag nicht "nur" um die Schaffung eines gemeinsamen Marktes mit 800 Millionen Menschen, die die USA angesichts ihrer Rezession als Absatzmarkt und als Gegengewicht zur EU dringend brauchen, sondern er kombiniert die Klauseln des NAFTA, der WTO und des 1998 im Rahmen der OECD gescheiterten Multilateralen Investitionsabkommen (MAI).

Kernpunkte sind dabei die "Meistbegünstigtenklausel" und die "Nationale Gleichbehandlung", die es dem Staat verbietet, irgendwelche Gesetze zum Schutz nationaler Märkte oder Unternehmen zu erlassen bzw. beizubehalten. Ebenso werden Multinationalen Unternehmen rechtlich den gleichen Stand bekommen wie Nationalstaaten; einschließlich eines Klagerechts gegen "Diskriminierungen". Diskriminierungen sind beispielsweise Umweltschutzgesetze oder ArbeiterInnenrechte, die unter dem ALCA nivelliert, d.h. abgebaut werden müssen. Was für fatale Konsequenzen haben kann, zeigt der Fall Ethyl gegen Kanada: Nachdem der kanadische Staat einen nachweislich giftigen und krebserregenden Treibstoffzusatz namens MMT verboten hatte, klagte die Ethyl Corporation mit Sitz in den USA auf 250 Millionen Dollar Schadensersatz wegen Verletzung des NAFTA-Abkommens, weil sie das Verbot als "Enteignung zukünftiger Gewinne" interpretierten. Nachdem der der kanadische Staat sich sicher war, den Fall zu verlieren, zog er das Verbot zurück und schloss mit Ethyl eine außergerichtliche Einigung mit geringerem Schadensersatz ab. Das zeigt deutlich, dass damit künftig auf Jahre hinaus (nach Inkrafttreten ist es frühestens nach 5 Jahren möglich, einen Antrag auf Austritt zu stellen; und selbst dann bleiben der Vertrag weitere 5 gültig) jeder nationalen Regierung unmöglich sein wird, eine "nicht-marktkonforme" Wirtschaftspolitik zu verfolgen. Das heisst, wenn der anonyme Zwang des Weltmarktes nicht ausreicht, werden rechtlich bindende Verträge dafür sorgen, dass niemand aus dem neoliberalen Weg ausschert.

Und dieser "Sicherheitsgurt" für ihren traditionell rebellischen Hinterhof Lateinamerika wird für die USA immer wichtiger: In Mexiko sorgen besagte Zapatistas seit Jahren für Unruhe und in ganz Mittelamerika regt sich Widerstand gegen den Plan Puebla-Panamá, der von dem südmexikanischen Bundesstaat Puebla bis Panamá mittels Mega-Infrastrukturprojekten für die marktgemäße Zurichtung der Region sorgen soll, in Venezuela sitzt ein Hugo Chavez, der durch antiamerikanische Sprüche und antiimperialistische Politik den USA unangenehm auffällt, auf begehrten Ölquellen, in Kolumbien sorgt die FARC-Guerilla für "schlechtes Investitionsklima" und immer mehr wehren sich gegen den sog. Plan Colombia zur militärischen Befriedung und Bekämpfung des Cocaanbaus. In Argentinien hat nach der Wirtschaftskrise niemand mehr Vertrauen in irgendwelche Politiker; und in Brasilien, das von seinen Wirtschaftsdaten her der nächste Kandidat für einen Zusammenbruch werden könnte, ist gerade ein linker Gewerkschafter Präsident geworden, was für die USA ebenfalls nicht gerade vertrauensfördernd ist.

Ob es den USA allerdings gelingen wird, die ökonomisch schwachen und instabilen und politisch unruhigen Länder Lateinamerikas in ein gemeinsames Projekt einzubinden, ist jedenfalls fraglich. Immer mehr Menschen sind jedenfalls angesichts des Hungers, Arbeitslosigkeit und Ausbeutung nach dem mit den IWF-Strukturanpassungsprogrammen begonnenen neoliberalen Projekt überhaupt nicht einverstanden und verstehen die "liebevolle Umarmung des großen Bruders" eher als Würgegriff.

So bahnt sich von Mexiko bis Argentinien eine Rebellion gegen die "Re-Kolonialiserung" durch das ALCA an. Schon am 12. Oktober, am Tag der "Entdeckung" Amerikas, gab es unter dem Motto "Schrei der Ausgeschlossenen" (grito de l@s excluid@s) Aktionen im gesamten Subkontinent. In Ecuador sind seit Wochen Indigenas und Campesinos aus allen Landesteilen unterwegs, um pünktlich zum Auftakt am 27. die Hauptstadt zu erreichen. Es ist gut möglich, dass das Projekt ALCA dort sein Seattle erfahren wird.


Ecuador | ALCA/FTAA | www.agp.org