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Gnadenfrist verlängert
Timo Berger Junge Welt 30.10.2003
http://www.jungewelt.de/2003/10-30/007.php

Zweites Ultimatum der Opposition in Bolivien. Güter ehemaliger Regierungsmitglieder besetzt

Carlos Mesa, der neue Präsident Boliviens, könnte aufatmen. Zwar hat ihm die Opposition in seiner kurzen Amtszeit schon zum zweiten Mal ein Ultimatum gestellt. Doch werden ihm darin 180 statt wie bisher 90 Tage Zeit eingeräumt, um auf die Forderungen der Land- und Minenarbeiter, der Kokabauern und Indigenen zu reagieren. Die beiden Bauernführer Felipe Quispe und Alejo Véliz warnten Mesa am Dienstag allerdings eindringlich davor, ihre Forderungen zu mißachten. In diesem Fall würden sie den Druck wieder erhöhen. Ihr Ton hat sich merklich geändert, seit die Regierung am Wochenende deutlich gemacht hat, an den Exportplänen für Erdgas festzuhalten. Beide Bauernführer bewerten das Verhalten des Staatsoberhauptes als « Provokation ».

Felipe Quispe, der Generalsekretär der Landarbeitergewerkschaft CSUTCB, forderte die Regierung zum Dialog auf. Die Liste der Forderungen ist lang und reicht von der Bereitstellung von 1000 Traktoren über die Freilassung aller politischen Gefangenen bis hin zum Schutz der Kokafelder und einer Abkehr vom neoliberalen Wirtschaftsmodell. Alejo Véliz, Bauernführer aus Cochabamba und Mitglied der CSUTCB, erklärte, seine Organisation habe Mesa bereits zwei Briefe geschickt, auf die dieser nicht geantwortet habe. Das empfinde er als « provokativ » und « beleidigend ». Eine unlängst versandte dritte Aufforderung zum Dialog sei die letzte. Danach würden die Landarbeiter wieder zu Druckmitteln greifen. Das Verhalten der Regierung signalisiere jetzt schon, daß sie sich keine 180 Tage halten werde, sagte Véliz: « Wir sind nicht bereit, Autoritäten zu tolerieren, die das Volk nicht anhören ».

Bereits zu Wochenbeginn kam es wieder zu blutigen Zusammenstößen zwischen der Opposition und den Sicherheitskräfte. Landlose versuchten die Güter von des ehemaligen Verteidigungsministers Carlos Sánchez Berzaín in der Nähe von Cochabamba zu besetzen. Als die ungefähr tausend Landlosen am Montag einige Umzäunungen einrissen, eröffnete das Militär das Feuer. Dabei wurden sieben Landlose verletzt.

Sánchez Berzaín, rechte Hand von Ex-Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada, gilt als Verantwortlicher für die mehr als 80 Toten, die der « Krieg ums Gas » im September und Oktober gefordert hatte. Die CSUTCB betrachtet die Besetzung seines Landes als eine Form « gemeinschaftlicher Justiz ». Bislang hat Carlos Mesa sein Versprechen, es werde « weder Vergessen noch Rache, nur Gerechtigkeit » geben, schließlich nicht eingelöst. Entsprechende Forderungen wies Mesa mit der Begründung ab, daß nur der Kongreß ein entsprechendes Verfahren einleiten könne. Doch der wird zu Zweidritteln von Parteien dominiert, die den Ex-Präsidenten bis zuletzt gestützt hatten. Auch ein Verfahren auf dem Justizwege, wie es die Oppositionspartei MAS anstrebt, muß von einer Zweidrittelmehrheit des Kongresses zugelassen werden.

So haben die Landlosen vorerst die Güter des Ex-Präsidenten Sánchez de Lozada im Visier. Am Montag besetzen sie die Hazienda Collana in La Paz, wo sich 2000 Hektar unbewirtschafteter Boden befinden.

Der Anführer der Bewegung zum Sozialismus (MAS), Evo Morales, sprach sich am Dienstag für die Enteignung der Ländereien des ehemaligen Präsidenten und seines Verteidigungsministers aus. Beide sind vor der bolivianischen Justiz nach Miami im US-Bundesstaat Florida geflohen. « Die Regierung ist verpflichtet, das Eigentum der Justizflüchtlinge zu beschlagnahmen, wenn sie verhindern will, daß die Bevölkerung die Ländereien besetzt », sagte Morales. Mit den Erlösen aus dem Verkauf, so der Vorschlag des MAS-Führers, könnten die Familien der Todesopfer entschädigt werden.

Morales drängte am Dienstag zudem darauf, den Inhalt des von Mesa zugesagten Referendums über die Gasexporte genauer zu definieren. Wem die Treibstoffe gehören, solle demokratisch abgestimmt werden. Schließlich habe eben diese Frage zum Aufstand der Bolivianer geführt und nicht, wie jetzt der Bevölkerung suggeriert werde, der Streit, ob die Rohstoffe über Chile oder Peru ausgeführt würden.

Unterdessen bekräftige Peru am Dienstag erneut seine Bereitschaft, 308 Millionen US-Dollar in den Export des bolivianischen Gases zu investieren. Damit würden die Mehrkosten getragen, welche eine Verlegung der Pipeline nach Chile an die peruanische Pazifikküste verursachen würde.

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