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Opportunist oder Visionär?
Jungen Welt 20.10.2003
http://www.jungewelt.de/2003/10-20/005.php

Bolivien: Ein Dokumentarfilmer als Übergangspräsident
timo

"Die Präsidenten Boliviens: Zwischen Urnen und Gewehrläufen" heißt ein Dokumentarfilm von Carlos Mesa aus dem Jahr 1983. Ein Titel, der ebenso auf das heutige Bolivien zutrifft. Der ehemalige Journalist und Medienunternehmer Carlos Diego Mesa Gisbert hat nun Besserung gelobt. Statt mit Waffen, wie sein Vorgänger Gonzalo Sanchez de Lozada, will er der Bevölkerung als Übergangspräsident mit offenen Ohren entgegentreten. Fraglich, ob damit auch der Übergang zu einem anderen Modell des Regierens und des Wirtschaftens gemeint ist.

Es irrt, wer glaubt, daß der soziale Konflikt durch ein Referendum über die umstrittenen Gasexporte gelöst würde. Der Umgang mit dem Gas war nur der Auslöser von Protesten, in denen die verschiedensten Sektoren der Bevölkerung zusammenfanden. Die Ursachen liegen tiefer: in dem systematischen Ausverkauf der Rohstoffe, in dem Ausschluß der Bevölkerungsmehrheit, in der Korruption und der Vetternwirtschaft der politischen "Elite".

Carlos Mesa hat einen Schritt weg von den traditionellen Parteien und einen Schritt auf die Protestierenden zu gemacht. Daß er lernfähig ist, machte er in seiner Antrittsrede deutlich. Noch im Windschatten von Sanchez de Lozada lehnte er die geforderte Demokratisierung ab. Nun plötzlich öffnet er die Türen zum Dialog. Etwas anderes bliebe ihm aber auch nicht übrig: Mesa ist auf Gedeih und Verderb auf die sozialen Bewegungen angewiesen. Und diese werden ihn nur solange tolerieren, wie er auf deren Forderungen eingeht. Für danach bleibt Mesa immer noch die Filmerei. Möglicher Titel: "Der Übergangspräsident: Opportunist oder Visionär?"

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