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La Paz blockiert
Harald Neuber • Junge Welt 17-9-2003
http://www.jungewelt.de/2003/09-17/001.php

Demonstranten sperren Zufahrten zu Boliviens Hauptstadt

Mehrere zehntausend Demonstranten haben am Dienstag die Zufahrtsstraßen der bolivianischen Hauptstadt La Paz gesperrt, um gegen die Einführung einer neuen Kommunalsteuer und Handelsabkommen mit den USA zu protestieren. Verstärkt wurden die Proteste durch die Beteiligung mehrerer Bauernorganisationen, von denen die Freilassung ihres Vertreters Freddy Huampo gefordert wurde. Der Indigenapolitiker steht unter Anklage, einen Viehdieb getötet zu haben. Da von der Staatsanwaltschaft bislang keine Beweise dafür vorgelegt wurden, vermuten seine Anhänger eine politische Kampagne gegen Huampo.

Entzündet hatten sich die Proteste in der nördlich von La Paz liegenden Gemeinde El Alto, nachdem dort eine neue Kommunalsteuer eingeführt werden sollte. Nach den Plänen der Regierung würde der Erwerb von Wohnfläche oder Grundstücken demnach mit sogenannten Formularios (Steuernachweise) belastet werden.

Gegen die Pläne hatten die « Vereinigung der Bürgerkomitees » und ein regionaler Gewerkschaftsdachverband zu Wochenbeginn einen « zivilen Generalstreik » ausgerufen. El Alto, wo sich das Zentrum der Proteste befindet, ist eine der ärmsten Gemeinden im Verwaltungsbezirk La Paz. Nachdem der Bürgermeister der Haupstadt, José Luis Paredes, die Auswirkungen der Proteste am Montag noch abwiegelte, gab ein Polizeisprecher am gestrigen Dienstag zu, daß « die Hauptstadt quasi abgeriegelt » sei. Als Antwort auf die Forderungen der Menschen mobilisierte der konservative Präsident des Andenstaates, Gonzalo Sánchez de Lozada, daraufhin starke Polizei- und Militärkräfte, um die Straßenblockaden zu durchbrechen.

Besondere Brisanz haben die Proteste, weil sie die neoliberale Regierung zusammen mit bevorstehenden Mobilisierungen anderer Sektoren in arge Bedrängnis bringen könnten. So sind für Freitag in Oruro, der Hauptstadt eines von neun Verwaltungsbezirken, Großdemonstrationen gegen geplante Gasausfuhren für die Vereinigten Staaten von Amerika geplant. Im Vorfeld der ersten Lieferungen hatten sich zahlreiche Politiker und Vertreter sozialer Organisationen gegen den Gashandel mit den USA ausgesprochen. Das alternative Nachrichtenportal Indymedia-Bolivien veröffentlichte einen Aufruf, in dem die sofortige Annullierung der Verträge und eine Volksabstimmung über den Handel mit natürlichen Ressourcen verlangt wird. « Wir werden einem Ausverkauf des Landes nicht tatenlos zusehen », wurde der prominente Präsident der « Bewegung für den Sozialismus » (MAS) zitiert.

Der Unmut der Menschen wird dadurch verstärkt, daß auf der einen Seite Energieträger in die USA verkauft werden, auf nationaler Ebene die Kosten für Strom, Gas und Wasser jedoch in die Höhe schießen. Dabei steht das südamerikanische Land erst am Anfang einer unheilvollen Entwicklung: Vor fast einem Jahr, am 1. Oktober 2002, ist in Bolivien der « Andean Trade Preference Act » (ATPA) in Kraft getreten, ein bilaterales Freihandelsabkommen mit den USA, von dem zudem Kolumbien, Peru und Ecuador betroffen sind. Bilaterale Geschäfte wie das bolivianische Gasabkommen mit den USA werden dadurch erheblich erleichtert. Zur Feier der Einführung des ATPA hatten sich damals hochrangige Regierungsvertreter in Bolivien noch zuversichtlich gezeigt, daß das Abkommen « ein erster Schritt hin zur gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA » sein könnte.

Vertreter der Linken und sozialer Organisationen warnen in Anbetracht der Entwicklung, daß US-Wirtschaftsstrategen aufgrund der massiven Proteste gegen das ALCA in Lateinamerika nun versuchen würden, ihre Pläne mit bilateralen Abkommen schrittweise durchzusetzen. So ratifizierte der US-Kongreß im August ein entsprechendes Freihandelsabkommen mit Chile, das zum 1. Januar kommenden Jahres in Kraft treten soll. Chile ist damit das erste lateinamerikanische Land, das einen entsprechend umfangreichen Vertrag mit den USA unterzeichnet hat. Die US-Regierung erhofft sich von den Abkommen einen « Katalysator-Effekt » für einen stärkeren Handel mit dem Subkontinent, wie der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick nach Bekanntgabe der Kongreßentscheidung verkündet hatte.

Wenige Tage vor den geplanten Demonstrationen gegen den Gasverkauf an die USA forderten in Bolivien die in der « Nationalen Vereinigung für die Verteidigung der natürlichen Ressourcen » zusammengeschlossenen Organisationen erneut die Befragung der Bevölkerung ein. « Wir sind zuversichtlich, daß in Anbetracht der Erfahrungen eine Mehrheit gegen weitere Handelsabkommen mit den USA unter den derzeitigen Konditionen stimmen würde », erklärte ein Vertreter. Das würde erklären, warum die bolivianische Regierung unter Sánchez de Lozada bislang nicht auf den Vorschlag reagiert hat.


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