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datum: 12 Aug 2001 von: "gruenesa"

Genua und nun - auf der Suche nach Perspektiven

Die Auseinadersetzung mit Genua bezieht sich immernooch vorwiegend auf die Gefangenfrage. Der Folgende Text will die Möglichkeiten die erfolgte Soliarbeit skizzieren, diskutieren und weitergehende politische Perspektiven radikaler linker in diese Diskussion miteinbeziehen.

ANTI-REPRESSIONSARBEIT IN DEN LETZTEN DREI MONATEN

Vor einem viertel Jahr war Repression für die Bewegung gegen neoliberale Institutionen noch ein Randthema. Viele merkten, wie die Bewegung an Stärke gewann, und legten ihren Schwerpunkt darauf, die Events für diesen Sommer zu planen, Broschüren wurden geschrieben und verteilt, Vernetzungs- und Vorbereitungstreffen, Busse organisiert, etc Das es ein Fehler war, zu wenig Gewicht auf die Repressionsfrage zu legen, zeigte sicht Spätestens im Zusammenhang mit dem EU- Gipfel in Göteborg. Nachdem AktivistInnen Einreiseverbote erhalten hatten, wurde deutlich, das die Vorhandenen Anti-Repressionsstrukturen in Form von EAs und Roter Hilfe noch nicht in der Lage waren, mit der Internationalisierung des Wiederstandes mitzukommen. Noch bei den Gipfeln in Salzburg und Genua war eine Rechtshilfe zum Umgang mit Ausreiseverboten schwer zu bekommen. Informationen über die juristische Lage nach Festnahmen in Italien waren erst wenige Tage vor dem Gipfel in deutsch oder englisch zu erhalten und Widersprachen sich teilweise.
Noch fataler ist die Situation nach den Gipfeln: Während sich mit den Gefangenen aus Genua die Menge der Soliaktionen recht stark entwickelt, sind die Gefangenen von Göteborg schon fast in Vergessenheit geraten. Nicht, weil sie wieder frei währen - es gab in den letzten Wochen Haftstrafen von über einem Jahr - sondern, weil mit Göteborg, Salzburg und Genua gleich drei Events hochgezogen werden sollten diesen Sommer, dies auch getan wurde und viele gerade ganz schön k.o. sind und die Regierungen auf zwei dieser Events scharf geschossen haben und nun zurückschlagen

REPRESSION NACH GENUA, NGOs UND MEDIEN

Mit der Repression nach Genua sowie dem brutalen Vorgehen der Polizei dort hat sich in der Medialen Öffentlichkeit wie auch in der Szene einiges gewandelt. Spätestens jetzt wurde vielen Menschen aus Nichtregierungsorganisationen in das Bewußtsein geprügelt, daß Polizeigewalt nicht immer nur Militante Gruppierungen trifft.. Nachdem die Polizei gegen gewaltfreie Zusammenhänge auf der Demonstration am Samstag, den 21.7. fast stärker vorging als gegen militante, überfiel sie Abends auf brutalste Art und Weise die Schule Diaz. Dieses harte vorgehen, daß alle an irgendwelchen Aktionen gegen den G8-Gipfel Beteiligten hätte treffen können, war eine Ursache für die Veränderung der Positionen zu Polizeigewalt. Ähnliches gilt für die noch Inhaftierten. Mit den schwachsinnigsten Beweisen (Besitz eines Schwarzen T-Shirts, Brotmesse im Auto gehabt) soll Menschen die Mitgliedschaft in einer angeblichen Organisation Black Block nachgewiesen werden. In den Göteborg Prozessen hagelt es lange Haftstrafen für Leute, die lediglich oder teilweise noch nicht einmal Steine geworfen haben sollen.
Selbst die bürgerliche Presse berichtet nach Genua über Polizeigewalt, Seitenlange Artikel im Stern über arme zerprügelte DemonstrantInnen, die völlig Gewaltfrei waren und niemals auch nur daran denken würden, einen Stein in die Hand zu nehmen.

DIE ERFOLGTE LINKE SOLI-ARBEIT ZU GENUA

"Und ihm kann gar nichts konkretes nachgewiesen werden" oder "gegen Menschen in einer Schule, die dort überhaupt nichts getan haben" sind Sätze, die sich auch in der linken Solidaritätsarbeit häufig finden lassen. Es sind Sätze, die uns juristisch unschuldige Menschen fast näher am Herzen liegend erscheinen lassen als diejenigen, die wirklich einige Scheiben, die es verdient hatten, destabilisierten. Das ist, genauso wie die Freude über den Besuch eines Deutschen Konsuls oder von Grünen- PolitikerInnen in den Knästen, da es um konkrete Menschen geht die raus müssen, sicherlich mehr als verständlich. Vielen FreundInnen von uns kann vielleicht wirklich nichts nachgewiesen werden, und dann ist es in den konkreten Prozessen sinnvoll, daß auf die Waage zu legen und nicht nur ausschließlich zu argumentieren, daß ein Staat nicht dazu berechtigst ist über Menschen zu urteilen. Trotzdem zeichnet sich hier eine Form von Soliarbeit ab, die perspektivisch für einige der Gefangenen fatale Folgen bekommen könnte. Die Frage, was ist, wenn vielleicht Leuten doch mal was nachgewiesen werden kann, stellt sich irgendwann unweigerlich.
Hintergrund der Positionen in der Genua-Soliarbeit ist häufig ein persönliches Betroffenheitsgefühl und der Wille, erst mal die Gefangenen aus den Knästen zu holen (auf juristischem Weg), um dann wieder zur linksradikalen lobbyarbeits-feindlichen Politik zurückzukehren. Doch schon mit dem Konzentrieren der Soliaktionen auf Italien und dem fast vollständigen Vergessen der Göteborger Gefangenen kann dieses Konzept als gescheitert betrachtet werden. Die Herrschenden werden unserer relativen politischen Stärke auf juristischem Wege viel entgegensetzen.

FÜR EINE POLITISCHERE SOLIARBEIT

Wir werden, auch wenn das ein sehr, sehr trauriger Punkt ist und wir alles dagegen tun müssen, damit umzugehen haben, daß vielleicht immer wieder welche von uns Knaststrafen bekommen werden und sich die Soliarbeit nicht darauf beschränken kann, sie kurz nach ihrer Festnahme rausholen zu versuchen und evt.ihnen einen Anwalt zu bezahlen. Wir werden diskutieren müssen, wie wir generell den Punkt in die öffentlichen Diskussionen einbringen, daß wir eine politische Bewegung mit klarer Daseinsberechtigung auch in unseren Ausdrucks- und Aktionsformen sind und somit niemand legitimiert ist, uns in den Knast zu werfen.
Daß das andere auch passieren muß, ist klar. Doch scheint es momentan eher so zu sein, daß sich die Positionen in der Soliarbeit vorwiegend auf die juristische Freilassungsforderung (weil unschuldig) beziehen. Wenn die Forderung, daß gerade Personen, die ihre politische Kritik auch militant vorbringen, freigelassen werden müssen, zumindest einen stärkeren Anteil an der Soliarbeit gehabt hätten, wäre diese deswegen nicht schwächer gewesen. Im Gegenteil: es hätte mehr Anknüpfungspunkte für Diskussionen um Perspektiven radikaler Politik gegeben.
Daß das kein einfacher Job ist, erscheint klar. Doch mit dem Göteborg-Bild (oder mit der Frage, wieviele/wenige sich heute noch um die Prag Gefangenen kümmern), daß Menschen in den Knästen sitzen werden - und daß wir sie mal so eben nächste Woche befreien erscheint wohl kaum wem als wahrscheinlich - ein Umgang her, der nicht die Soliarbeit lediglich als Zusatz oder Alternative zur inhaltlichen Arbeit werden läßt, sondern der beides miteinander verbindet. Nur so werden wir es längerfristig vermieden können, von der Soliarbeit zum politischen Alltag zurückzukehren und die Gefangenenfrage (wenn auch unbewußt) irgendwo liegen zu lassen.

NEBENEINANDER AGIEREN STATT SPALTUNGSDISKUSSIONEN AN DER FRAGE DER MILITANZ FÜHREN

Eine Diskussion, die sich mit der Soliarbeit nach Genua verbinden ließe, ist die Erweichung der Spaltung in militante und gewaltfreie Politik in der deutschsprachigen Szene. Genua hat, wie oben beschrieben, gezeigt, daß der Staatsapparat bei seiner Repression kaum Unterschiede zwischen Militanten und Gewaltfreien macht. Auf der anderen Seite passierte, nicht zuletzt weil im internationalen Raum die Differenzen zwischen Bewegungen anders verlaufen als in Deutschland, einiges, was eine dualistische gewaltfrei/militant Unterscheidung unmöglich werden läßt:

Einige NGOs scheinen, was den militant/gewaltfrei-Dualismus angeht, gar kein so riesiges Interesse daran zu haben, eine Spaltung mit aller Kraft hochzuziehen. Auf der deutschen Homepage von Attac (www.attac-netzwerk.de) sowie in deren Abschlußerklärungen wird das Thema der Militanz von seiten der AktivistInnen eher umgangen, was nach dem ganzen Spaltungsparolen nach den Göteborg- Schüssen deutliche Besserung ist.
Diese Feststellung soll nicht bedeuten, daß es für die radikale Linke richtig wäre, in jedem Fall mit Attac zusammenzuarbeiten. Eine inhaltliche Diskussion mit NGOs, an deren Ende auch verschiedene Wege stehen können, ist sicherlich absolut notwendig. Fatal wäre es jedoch, aufgrund unterschiedlicher Positionen zu Militanz übereinander herzuziehen. In der Situation, wo von NGO- Seite teilweise versucht wird, sich an diesem Punkt nicht zu spalten, wäre es für Militanz-nicht- ablehnende Zusammenhänge wichtig, hier eine Diskussion zu suchen - eine Diskussion um die Frage, wie eher militante und eher gewaltfreie Politikkonzepte sich gegenseitig ergänzen und stärken können.
Hierzu wird die militante Fraktion wohl auch erkennen müssen, daß in Genua einige Dinge weniger optimal gelaufen sind. So wurde sich am Freitag nicht aus einer Richtung auf die Rote Zone zubewegt um dann alle Kräfte darauf zu legen, in diese Einzudringen, sondern sich vor der Roten Zone an parallel zu den Polizeiabsperrungen bewegt (und dabei Autos, Banken und Geschäfte angegriffen), was anderen Bewegungen ihren Plan, ihre Route in Richtung der Roten Zone zu gehen, deutlich erschwerte. Ähnliches passierte am Samstag, als aus der Demo heraus z.B. direkt neben der Route 10 Meter vom Convergence-Point entfernt ein Lufthansa-Büro angezündet wurde (und noch so einiges weiteres zu Bruch ging), was den Demo-Zug für doch recht lange Zeit aufhielt.
Dies sind Punkte, an denen sich militantere Zusammenhänge überlegen sollten, ob sich so was perspektivisch eher minimieren ließe, um eben explizit pazifistischen Zusammenhängen auch die Aktionsmöglichkeiten und den Respekt zukommen zu lassen, der selbst erwartet wird. Denn klar ist: Militanz und Gewaltfreiheit müssen nicht in einem unauflösbaren Widerspruch zueinander stehen. Beide Konzepte können sch gut ergänzen. Nicht zuletzt die Riots haben die Gipfeltreffen immer stärker ins Licht der Öffentlichkeit rücken lassen und damit auch für pazifistische Gruppen sowie NGOs die Möglichkeit, mit ihren Inhalten Gehör zu finden, drastisch erhöht.

SCHILY & CO PLANEN SCHON DIE NÄCHSTE REPRESSIONSWELLE GEGEN UNS

Die erfolgte Positionierung von Teilen der politischen Öffentlichkeit sowie der Medienwelt gegen die erfolgte Folter hält diese nicht davon ab, schon die nächsten Repressionswellen gegen uns zu starten. Die Behauptung, daß "so etwas wie Genua nur im Berlusconi-Italien" passieren kann, ist keinesfalls belegt. Wir müssen feststellen, daß es derart große und militante Demonstrationen wie in Genua in Deutschland sehr lange nicht gegeben hat, daß die in Italien verantwortlichen Polizeichefs innerhalb der italienischen Landschaft nicht besonders weit rechts waren und der Einsatz noch am Freitag abend von seiten führender deutscher PolitikerInen gelobt wurde. "Mit allen Mitteln gegen die Gewalttäter vorgehen" ist, auch wenn dann die erfolgten wie das Massaker in der Schule und Carlos Tod Erschrecken hervorrufen, auch in den deutschen Diskursen vorherrschend. Auch deutsche Cops tragen (nicht Spielzeug-)Pistolen, auch schon beim G8-Gipfel in Köln standen Scharfschützen auf den Dächern rum und schwer halten läßt sich die Behauptung, daß der Polizeieinsatz etwas speziell italienisches war und nicht ein Symbol für die Zukunft eines Europas der Herrschenden. Hinzu kommt, daß Grundrechte bei Diskussionen der europäischen Polit-Elite, wie sie uns weiter angreifen wollen, kaum mehr etwas wert sind, Neben Schilys Ideen europäischer Polizeieinheiten können wir uns fast sicher sein, daß die Praxis der Ausreiseverbote zukünftig noch weiter zunehmen wird. Auch hier zeigt sich, daß diese Verbote relativ willkürlich verteilt wurden, Teilweise gegen Leute, die nie noch nie wegen einer Straftat verurteilt wurden. Das sind Anknüpfungspunkte, an denen wir uns entgegenstellen müssen. Mit der Position, daß es alle, egal ob welchen Zusammenhängen treffen kann. Und niemanden, egal aus welchen Zusammenhängen treffen darf.


Genoa Reports
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