Rhetorik und Realität
Freitag 24 06.06.2003
http://www.freitag.de/2003/24/03240204.php

Rainer Falk

Unübersehbar ist, dass die Legitimitätskrise der G 8 von Jahr zu Jahr offenbarer wird. Dies liegt an mangelhaften Konzepten ebenso wie am undemokratisch-exklusiven Klubcharakter des Treffens, das sich einer Partizipation anderer wichtiger Akteure der Weltwirtschaft verschließt, jedoch mit einem Dominanzanspruch gegenüber dem Rest der Welt einher geht. In Evian konnten zwar Nord-Süd-Fragen für Aufmerksamkeit sorgen, doch erwiesen sie sich erneut als gewaltiger Rohrkrepierer der G 8. Daran änderte auch der pompöse Empfang von Regierungschefs aus der Dritten Welt nichts, der in Evian dem offiziellen Talk vorausging.

Mit erheblichem Getöse war 2001 in Genua der Afrika-Plan/NEPAD beschlossen und seither im schmückenden Beisein afrikanischer Staatschefs verfolgt worden. Doch blieb der sogenannte "Aktionsplan für Afrika" - er stand in Evian erneut zur Debatte - bis heute ein Aktionsplan ohne Aktion. Finanzzusagen für NEPAD lassen auf sich warten. Wenigstens hat sich im Kreis der Erwählten - zumindest auf rhetorischer Ebene - allmählich die Einsicht durchgesetzt, dass der seit Jahren anhaltende Trend zum Rückgang öffentlicher Entwicklungshilfe umgekehrt werden muss. Anlässlich der UN-Konferenz über Entwicklungsfinanzierung in Monterrey (Mexiko/ März 2002) hatten sich die G 8-Regierungen zu Aufstockungen verpflichtet: die USA mit ihrem sogenannten Millenium Challenge Account zu einer stufenweise Steigerung der Hilfe um 50 Prozent bis 2006, die EU-Länder einer Erhöhung auf 0,39 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ebenfalls bis 2006. Gemessen an der allseits anerkannten Schätzung, dass eine Verdoppelung der Transferniveaus nötig wäre, sind diese Vorhaben "Tropfen auf heiße Steine" - von der Zweckentfremdung der Mittel für die Exportförderung einmal abgesehen.

Schon seit dem G 7-Gipfel vor acht Jahren in Halifax/Kanada stehen Maßnahmen zur Entschuldung für die ärmsten Länder auf der Tagesordnung. In Birmingham 1998 wurde eine Entschuldungsinitiative lanciert, in Köln 1999 bekräftigt, doch wurde diese Hilfe zu spät begonnen und zu gering veranschlagt: Nur acht Länder sind bis heute substantiell entschuldet und nach wie vor sichert die damit verknüpfte Strukturanpassung vorrangig Gläubigerinteressen ab. Selbst gemessen an bescheidenen Kriterien werden 19 der 26 hochverschuldeten, armen Länder (HIPC) nach dem Abschluss der Initiative keine nachhaltige Schuldensituation erreichen. Die zusätzlich von den G 8 bereit gestellten Entschuldungsmittel reduzieren vorrangig die Kosten von IWF und Weltbank bei der Schuldenrefinanzierung.

Die G 8 beschwören in ihrem Kommuniqué die "Chancen der Globalisierung". Die Konfrontation ihrer Versprechungen mit der Realität zeigt jedoch: Gemeint sind wohl die eigenen Chancen. Den Verlierern der Globalisierung zeigte auch Evian die kalte Schulter.


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