Aachener Nachrichten, 31.5.03

Gastkommentar

Weltherrscher ohne Legitimation

Von Philipp Hersel, Evian, Frankreich

Wenn sich an diesem Wochenende die Regierungschefs der acht mächtigsten Industrieländer in Evian treffen, wird das auch diesmal viele Kritiker auf den Plan rufen. Ihr Motto lautet "G8 - illegitim". Sie kritisieren die Anmaßung der acht Regierungschefs, über zentrale Probleme der ganzen Welt zu entscheiden, statt dafür eher legitimierte Foren wie die Vereinten Nationen zu suchen.

Die G8 begegnen betonen gerne, das Treffen sei nur ein offener Meinungsaustausch. Und gegen eine stärkere Kooperation zwischen den großen Ökonomien der Weltwirtschaft wäre zunächst nichts einzuwenden, sofern es den acht Regierungen dabei um gerechtere Strukturen für die Weltwirtschaft ginge. Eine krisenfestere und stabilere Weltwirtschaft käme dann auch dem überwältigenden Teil der Weltbevölkerung zugute, der bekanntlich nicht in den G8-Ländern lebt. Leider stehen aber weder das Verhältnis zwischen Dollar und Euro und die Deflationsgefahr auf der G8 Tagesordnung.

Genau hier treffen die Vorwürfe der Kritiker ins Schwarze: G8-Gipfel sind eben kein offener Meinungsaustausch. Die Entscheidungen von Evian werden die acht Regierungen nachher durch ihre Vorherrschaft in den internationalen Institutionen wie IWF, Weltbank, WTO und UN-Sicherheitsrat durchsetzen, mit oder ohne Einverständnis durch den Rest der Welt. Bei allen Differenzen bleiben sich die acht Regierungen in einem Ziel erschreckend einig: Sie wollen ihr Projekt der neoliberalen Globalisierung, also der fortgesetzten Öffnung der Güter-, Dienstleistungs- und Finanzmärkte, um jeden Preis vorantreiben - allen verheerenden sozialen und politischen Folgen zum Trotz.

Die Demonstranten haben recht: Es ist Ausdruck einer zutiefst anti-demokratischen Weltordnung, wenn acht Regierungschefs die Geschicke der Welt bestimmen. Daran ändert auch nichts, dass in Evian ein Beistelltisch für Vertreter der UN und einiger südlicher Regierungen aufgestellt wird. Denn wenn es ans Eingemachte geht wird sich der Beistelltisch schnell als Katzentisch erweisen.

Philipp Hersel ist Geschäftsführer der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Umwelt und Entwicklung (BLUE 21) und Mitglied des Koordinierungskreises von Attac Deutschland.


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