Junge Welt, 31.5.03

Im Sonderzug nach Genf

Globalisierungskritiker bereiten sich auf Protestaktionen gegen Gipfel der G 8 vor

Von Damiano Valgolio, Annemasse

Während die deutschen Medien vor allem dar-über spekulieren, wie lange sich Bundeskanzler Gerhard Schröder und US-Präsident George Bush beim diesjährigen G-8-Gipfel die Hand schütteln werden, sind die ersten deutschen Gegner des Treffens bereits in der Nähe des Tagungsortes am Genfer See eingetroffen. Sie halten überhaupt nichts von shakehands und anderen « informellen Absprachen » der Staatschefs der acht mächtigsten Länder der Welt, deren traditioneller Gipfel am Sonntag beginnt.

Der von dem globalisierungskritischen ATTAC-Netzwerk organisierte Sonderzug der deutschen Demonstranten war bereits am Mittwoch abend in Berlin gestartet. Bei Zwischenstopps in über zehn weiteren Städten stiegen immer mehr Aktivisten zu. In den Gängen des Sonderzuges hingen Fahnen von ATTAC neben dem Konterfei von Che Guevara und dem roten Banner mit Hammer und Sichel. Auch Fahnen der IG Metall waren zu sehen. Die Jugendorganisation der Gewerkschaft hatte sich zum ersten Mal offiziell an der Mobilisierung der Globalisierungskritiker beteiligt. Für Thomas Vlierl, politischer Sekretär beim Vorstand der IG Metall, ist die Zusammenarbeit ein großer Erfolg: « Super, daß wir mit dabei sind. Ich denke, das war ein wichtiger Durchbruch« , sagte er einige Stunden nach Abfahrt gegenüber jW.

In vielen Waggons entwickelte sich eine Stimmung, die so ausgelassen war, als fahre man in den Urlaub und nicht zu einer Großdemonstration gegen den G-8-Gipfel. Doch schon die näher- rückende deutsch-schweizerische Grenze erinnerte die Zuginsassen wieder an den Zweck ihrer Reise. Die Befürchtung machte sich breit, daß Mitfahrer aus politischen Gründen an der Ausreise gehindert werden könnten. Eifrig wurde in den Abteilen diskutiert, wie man sich in einer solchen Situation verhalten solle.

Doch am Donnerstag morgen gab es an der Grenze eine positive Überraschung. Alle durften unbeanstandet ihre Reise fortsetzen. « Die problemlose Abfertigung ist ein Erfolg des Zug-Konzeptes« , meinte ATTAC-Pressesprecher Malte Kreutzfeldt. « Wenn so viele Menschen gemeinsam an der Grenze auftauchen, erzeugt das einen enormen Druck. » Ohnehin waren die Organisatoren sehr zufrieden mit der kollektiven Fahrt. Fast 1000 Menschen gelangten mit dem Sonderzug an den Genfer See.

Auch in Genf gab es keine Probleme. Statt schwer bewaffneter Polizisten warteten dort Sonderbusse auf den Zug, die die deutschen Aktivisten direkt in ihr Camp im nahen französischen Annemasse brachten. Geschmückt war jeder einzelne Bus mit kleinen Regenbogenfähnchen, dem Symbol der Bewegung gegen den Irak-Krieg, das nun auch für die Proteste gegen den G-8-Gipfel zu stehen scheint.

Dieselben bunten Banner begrüßten die Aktivisten bei ihrer Ankunft im « Intergalaktischen Camp« . Hier steigerte sich die entspannte Urlaubsatmosphäre der Zugfahrt noch beträchtlich. Bei strahlendem Sonnenschein bauten Hunderte ihre Zelte vor dem Bergpanorama der Westalpen auf. Bis Freitag mittag stieg die Zahl der Campbewohner auf weit über 5000 Menschen. Die Versorgung des Camps mit Lebensmitteln hat die alternative französische Bauernorganisation « confédération paysanne » übernommen.

Die erste Demonstration der Bewohner des « Intergalaktischen Camps » durch die in unmittelbarer Nähe gelegene Kleinstadt Annemasse geriet zu einer einzigen Jubelfeier. Teilweise erinnerte der Marsch eher an einen fröhlichen Karnevalsumzug. Sicherlich auch deswegen, weil weiterhin weit und breit keine Polizei zu sehen war.

Doch die Demonstranten ließen keinen Zweifel am Grund ihrer Anwesenheit aufkommen: « No pasaran » ist ihre Parole, die aus dem Spanischen Bürgerkrieg stammt. « Sie werden nicht durchkommen« . Gemeint waren die G-8-Chefs und ihr Anhang.

Vor Beginn der Demonstration durch Annemasse hatten die Globalisierungsgegner erklärt, man wolle der Bevölkerung zeigen, « wer die Guten sind« . Das schien den Menschen des Städtchens allerdings schon weitgehend klar zu sein. Von Balkons und aus Wohnungsfenstern wehte den Demonstranten dieselbe Regenbogenfahne entgegen, die sie in der Hand hielten.

Pasqual Derennier aus Annemasse meinte, es gebe im Ort zwar einige Angst vor Ausschreitungen. Aber die Demonstranten seien offensichtlich friedlich.

Der Friede könnte spätestens am Sonntag zu Ende sein, wenn der Gipfel in Evian beginnen soll. Die Aktivisten haben angekündigt, alle Zugangsstraßen zu dem Bergstädtchen zu blockieren. Sie hoffen, daß sich an den Blockaden Hunderttausende G8-Gegner beteiligen werden.

Bis es soweit ist, bleibt den Aktivisten aber noch ein wenig Zeit, um dem neoliberalen Programm der G 8 auch inhaltliche Alternativen entgegenzusetzen. Vor allem Genf ist Schauplatz des « Gegengipfels » der Globalisierungskritiker. Titel der Versammlungen: « Vom ökonomischen zum sozialen, zum militärischen Krieg. » Mit Teilnehmern aus der ganzen Welt soll auf dem Gegengipfel der Zusammenhang zwischen der fortschreitenden Globalisierung, dem globalen Abbau des Sozialstaates und den weltweiten Kriegen aufgezeigt werden. Einige Friedensaktivisten hoffen sogar, am Genfer See kurz nach Ende des Irak-Krieg neue Perspektiven für die gesamte Friedensbewegung entwickeln zu können.

Gleichzeitig sollen in Workshops und Versammlungen auch konkrete Konzepte gegen den neoliberalen Umbau in den Heimatländern der Demonstranten entwickelt werden. Die deutschen Aktivisten aus verschiedenen Gruppen und Gewerkschaften beraten in Annemasse Widerstandskonzepte gegen die sogenannte Agenda 2010 der Bundesregierung und den neoliberalen Umbau der deutschen Universitäten. Die IG-Metall-Jugend hat das Vorbereitungstreffen ihrer « internationalen Brigaden » für Nikaragua kurzerhand von Deutschland nach Annemasse verlegt.


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