Junge Welt, 29.5.03

Evian vor dem Gipfeltreffen der G-8-Staaten: Welche Strategie verfolgen Demonstranten?

jW fragte Alessandro Pelizzari, Sprecher von ATTAC-Schweiz und Vertreter des Forum Social Lemanique, das die Proteste gegen das G-8-Treffen in Evian koordiniert

Interview: Damiano Valgolio

F: An diesem Wochenende werden sich am Genfer See die Regierungschefs der acht mächtigsten Industrienationen zum sogenannten G-8-Gipfel versammeln. Wie sieht das Widerstandskonzept der sozialen Bewegungen aus?

Unser Ziel ist die Blockade des G-8-Gipfels. Wichtig ist deswegen vor allem eine massenhafte Beteiligung an der Demonstration am Sonntag, dem ersten Tag des Gipfels. Viele der G-8-Delegierten reisen über die kleinen Orte Annemasse und Lausanne an. Dort kann die Infrastruktur allein durch die Anwesenheit von 100000 Demonstranten so belastet werden, daß die Anfahrt unmöglich wird. Die Demonstrationen und die Blockaden werden also nahtlos ineinander übergehen. Alle gesellschaftlichen Kräfte, die zum Protestmarsch aufrufen, unterstützen auch die Blockaden der Anfahrtswege nach Evian.

F: Wie wollen Sie den Ablauf des G-8-Gipfels behindern?

Am Sonntag wird es schon frühmorgens Blockaden und andere phantasievolle Aktionen geben, um die Anreise der Teilnehmer des Gipfels zu stören. Die Delegierten sind größtenteils nicht im Tagungsort Evian untergebracht, sondern in den umliegenden Städten. Dort werden die Aktionen dezentral von lokalen Foren vorbereitet. Eine große Bedeutung werden sicherlich der Grenzübergang bei Genf und der Fährhafen von Lausanne am Schweizer Ufer des Genfer Sees haben, über den viele Delegierte nach Evian gebracht werden sollen.

F: Der G-8-Gipfel findet wie auch der Protest auf schweizerischem und auf französischem Gebiet statt. Erwarten Sie Probleme an den Grenzübergängen?

Wir haben von den zuständigen Behörden die Zusage erhalten, daß die grenzüberschreitenden Demonstrationszüge am Sonntag nicht aufgehalten werden. Das gilt auch für Einzelpersonen, die an den übrigen Tagen an den Veranstaltungen in Städten jenseits der Grenze teilnehmen wollen. Umso härter werden dafür wohl die Kontrollen an den Außengrenzen sein. Also an der deutsch-französischen Grenze und an den Grenzübergängen zu Italien.

F: Wie steht die Bevölkerung am Genfer See dem Treffen der Großen Acht und den Gegendemonstrationen gegenüber?

Leider hat in der öffentlichen Wahrnehmung häufig die Angst vor Ausschreitungen dominiert. Immerhin steht der Region am Genfer See der größte Militäreinsatz der Schweiz seit Ende des Zweiten Weltkrieges bevor, das sorgt natürlich für Verunsicherung. Aber in den letzten Wochen ist es uns gelungen, die verheerende Rolle des G-8-Treffens selbst in den Vordergrund zu stellen. Seitdem steigt die Unterstützung aus der Bevölkerung ständig, und wir hoffen auf eine Solidarisierung der Menschen, wie wir sie beim Sozialforum in Florenz erlebt haben. Viele kleine Ladenbesitzer haben sich bereits auf die Seite der Demonstranten gestellt, indem sie kleine Transparente in die Schaufenster hängten.


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