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Quebec: Solidarité - ein Bericht

From I-AFD_2@anarch.free.de (FdA/IFA Hamburg)
Date Fri, 27 Apr 2001 07:58:27 -0400 (EDT)

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## by chuck@tao.ca
From: "Shawn Ewald" shawn@wilshire.net

Das folgende ist mein Bericht ueber die Demonstrationen gegen das FTAA in Quebec; ich will einleitend sagen, dass dies eins der erstaunlichsten und inspirierendsten Ereignisse war, das ich erlebt oder an dem ich teilgenommen habe, und es war ein klarer Sieg fuer alle, die sich beteiligten.

Denen, die nicht dabei waren und Kritik wegen der Gewalt haben, kann ich nur sagen: Wir waren da, um was zu erledigen, und das war, den Gipfel mit allen noetigen Mitteln zu stoppen oder zu stoeren. Dies war ein Treffen, bei dem das Leben und die Zukunft jeder Person in Nord- und Suedamerika verkauft wurde — was in Quebec passierte, war ein Akt der kollektiven Selbstverteidigung. Es gibt da meiner Meinung nach nichts zu diskutieren und zu debattieren. Wenn ihr da *wart* und die Gemeinheit und Brutalitaet der Polizei gesehen habt und trotzdem meint, die Reaktion sei nicht angemessen gewesen, habe ich euch dazu nichts mehr zu sagen.

Es tut mir leid wenn hier einiges unzusammenhaengend ist, ich habe die ganze Nacht daran gesessen, den Bericht zu schreiben, nachdem ich Montag nacht nach Hause kam.

A19 Akwesasne

Wir waren bereit, um 9 Uhr morgens die Grenze in Akwesasne zu ueberqueren. Wir waren zu siebt: meine Partnerin Lyn und ich, beide RadioproduzentInnen und -AktivistInnen; Gretchen und Ben, ein weiteres Paar von Medienaktivi- stInnen, die bei Indymedia und microradio.net dabei sind; Duff und Richard, befreundete Aktivisten aus West Virginia bzw. New York; und Claudia, eine italienische Videofilmerin, die Gretchen als Teil einer PBS/ Frontline-Dokumentation ueber uabhaengige Medien und neuen Medienaktivismus filmen wollte. Wir planten, uns an der Grenze als "Journalisten" darzustellen (was die meisten von uns waren, aber nicht alle) und hofften, dass Claudia uns die noetige Glaubhaftigkeit dafuer verleihen wuerde. Claudia war bereit, uns bei unserem Plan zu helfen.

Wir fertigten in der Nacht vorher falsche Presseausweise fuer diejenigen von uns an, die keine hatten und diskutierten unseren Plan fuer die Durchfahrt durch Akwesasne. Akwesasne ist eine Reservation der Mohawk ca. 17 Meilen oestlich von Massena/New York und erstreckt sich zu beiden Seiten der Grenze zwischen den USA und Kanada. Es ist eine unterdrueckte Community von Native Americans und es gibt einen signifikanten radikalen Anteil in dieser Community. Einige Wochen zuvor hatte diese radikale Anteil in Kooperation mit der Ontario Coalition Against Poverty einen Aufruf zu einem "Tag der Wut" in Solidaritaet mit den geplanten Protesten gegen den sogenannten Amerikanischen Gipfel veroeffentlicht. Viele von uns, insbesondere die aus der anarchistischen Bewegung, begriffen sofort die unglaubliche Bedeutung dieser Ankuendigung und wollten da sofort teilnehmen.

Leider haben die Behoerden und die korrupten Mitglieder der Gesellschaft in Akwesasne auch die Bedeutung dieser Aktion verstanden und alle Anstregungen unternommen, sie zu unterlaufen und die echte Furcht und Ungewissheit in der allgemeinen Gesellschaft in Akwesasne auszunutzen.

Zunaechst fuhren sie skurrile Attacken gegen die OrganisatorInnen des "Tags der Wut", die ihnen alle moeglichen schlimmen Taten ohne Beweise anhaengten und Attacken gegen die meist weissen AktivistInnen, die die Karawanen organisierten, die sich in Akwesasne treffen sollten. Wenn auch ihre Versuche fehlschlugen, ein rassistisches Bild des gefaehrlichen und kriminellen Indianers bei den meist weissen TeilnehmerInnen der Karawanen heraufzubeschwoeren, waren die Appelle an deren weisse Schuld in vielen Faellen erfolgreich. Daher war die Versammlung in Akwesasne viel kleiner als erwartet. Viele meinten zuerst, dass mindestens 2000 Leute anreisen wuerden, aber tatsaechlich waren es dann um 700.

Es sollte gegen Mittag losgehen, aber wir hatten Schwierigkeiten, den Treffpunkt zu finden und kamen ueber eine Stunde zu spaet. Aber obwohl wie verspaetet eintrafen, waren wir sogar noch vor der Karawane aus Vermont da. Als wir ankamen, war da ein großes Kontingent oertlicher und landesweiter Presse und die Mohawk-OrganisatorInnen bereiteten "fry bread" und Fisch und Wild fuer die Karawane zu - unsere Gruppe hatte selbstgebackenes Brot und veganen Salat dabei, die wir dem Festmahl hinzufuegten und viele andere BesucherInnen spendeten auch Lebensmittel.

Obwohl sich alle um den Verbleib der Karawane Sorgen machten, gab uns das die Moeglichkeit, John Boots, einen der hauptsaechlichen Organisatoren des "Tags der Wut" bei den Mohawk zu interviewen. Er sagte uns, bei den Versammlungen des Stammesrats von Akwesasne haben man Filmausschnitte der "gewalttaetigeren" Ereignisse in Seattle, Washington, Philadelphia etc. gezeigt und jeden Versuch unternommen, die bereits bestehenden Aengste bezuegliches dieses Ereignisses innerhalb der Community zu verstaerken. Er berichtete uns von der Korruption des Stammesrates und der Schurkenstreiche des Staates New York und der Provinz Ontario gegen Akwesasne. Er erzaehlte, dass die oertlichen Industriebetriebe wie General Motors Akwesasne im Grunde als Muellkippe benutzen duerften und warum dies, neben vielen anderen Dingen, der Grund war, warum sie ihre Solidaritaet mit den DemonstrantInnen, die nach Quebec fahren, zum Ausdruck bringen wollten und hofften, dass sich hieraus dauerhafte Beziehungen zwischen den Mohawk und der Antiglobalisierungsbewegung in der Region ergeben wuerden.

Schliesslich kam die Karawane aus Vermont und ich habe nicht erfahren, warum sie so spaet kamen, aber sie waren die letzten, und alle waren erleichtert und froh. Sie alle assen mit Appetit und hoerten sich die Redebeitraege an, von Stacey Boots (der Sohn von John), einem Lakota und Repraesentanten des autonomen AIM und wer sonst noch was sagen sollte - es war herzlich und sehr militant.

Bald war es Zeit, ueber die Grenze zu fahren. Der Plan war, alle zu Fuss ueber die Grenze gehen zu lassen und die Fahrzeuge wuerden hinterher kommen. Die meisten unserer Gruppe gingen zu Fuss und Lyn und ich fuhren, hinter den Leuten, und Claudia fuhr mit ihrem Auto vor den Fussgaengern, so dass sie die Ueberquerung der Grenze besser aufnehmen konnte. Sie sollte auf der amerikanischen Seite auf uns warten, aber das liess der Zoll nicht zu und zwang sie, durchzufahren, was unseren urspruenglichen Plan umwarf.

Es war friedlich (obwohl auf der anderen Seite der Bruecke hunderte von RCMP auf uns warteten) und toll zu sehen. Wir hoerten in unserem Radio die Gespraeche mit und anscheinend hatte das groesste Kontingent der Vermonter Karawane (Ya Basta! aus New York) beschlossen, dass wenn nur einE einzigeR von ihnen nicht nach Kanada einreisen koennte, sollten alle umdrehen. Wir kratzten uns am Kopf, wie mensch das tun koennten und hoerten, dass sie eine Gruppe mit den meisten Vorstrafen versammelt hatten, die als erste durch den Zoll sollten, um zu sehen, ob sie abgewiesen wuerden. Um es kurz zu machen, sie wurden abgewiesen und Ya Basta! kehrte um. Es dauerte mehrere Stunden, bis wir durch den Zoll und die Einwanderungsbehoerde durch waren - trotzdem mussten die Leute, die ihren Antrag auf Einreise nach Kanada zurueckzogen, stundenlang warten, bis sie zurueck durften - wir hoerten spaeter, dass einige von der Einwanderung bis Montag festgehalten wurden.

Am Ende des Tages kamen nach Angaben von unabhaengigen AugenzeugInnen und den Einwanderungsbeamten nur zwischen 50 und 100 Leuten von fast 700 durch - was niederschmetternde Nachrichten fuer uns und fuer die in Cornwall waren, die seit Stunden warteten, um uns zu begruessen.

Ich will nicht an der Entscheidung von Ya Basta herumkritteln, aber alle in Quebec, mit denen ich darueber sprach, waren echt erstaunt ueber ihre Entscheidung, umzukehren. Die generelle Einstellung war mehr oder weniger: "Ich kann ja verstehen, dass sie solidarisch sein wollten, aber wir haben hier was zu erledigen und jedeR, aber auch wirklich jede Person zaehlt."

Wir hatte an der Grenze nicht viel Schwierigkeiten - dank der Tatsache, dass wir uns alle an unsere Geschichten hielten, dass unsere Freundin Gretchen sehr charmant sein kann und die Einwanderungsbehoerde nicht allzu interessiert waren an der Presse.

Gegen 21 Uhr waren wir wieder unterwegs und kamen nicht vor 12 Uhr oder so in Quebec an. Mit Ausnahme von Claudia, die sich auf ein bezahltes Hotelzimmer freuen konnte, gingen wir alle davon aus, bei Freunden von Gretchen und Ben auf dem Fussboden zu naechtigen, aber gluecklicherweise verirrten wir uns in der Stadt und trennten uns.

Es war spaet und wir waren alle muede, besonders Claudia und ich, weil wir die FahrerInnen waren. Wir nahmen eine falsche Abfahrt an der Autobahn und als wir zurueckfuhren, nahm ich die eine Ausfahert und Claudia versehentlich eine andere. Wir hatten aber beide Funken dabei und konnten uns bei einem Motel wiedertreffen, das wir beide von der Autobahn aus sehen konnten. Danach beschlossen wir, eine Tankstelle anzufahren, um einen Kaffee zu ziehen und fuer den naechsten Tag aufzutanken. Und da trafen wir es echt gut. Hier trafen wir naemlich Pierre, einen langjaehrigen Aktivisten aus Quebec (seit den 60er Jahren), der ein großes leeres Haus am St. Lawrence-Fluss hat, das er renoviert. Er wollte eigentlich eine Gruppe Freunde aus Montreal aufnehmen, aber die waren nicht gekommen und er bot uns nun sein Haus zum uebernachten an. Es sind Gelegenheiten wie diese, wo du denkst, du bist auf dem richtigen Weg und der Weg wird dir auch noch freigemacht.

Wir fuhren mit Pierre nach Hause, ein wunderbarer, geselliger Mensch, der sich freute, dass wir AmerikanerInnen da waren. Wir trafen auch Melanie, die einzige von seinen Montrealer FreundInnen, die kommen war, sie war lustig und aufgedreht, und trotz der Sprachbarriere wurden wir gute Freunde uebers Wochenende (Pierre war fliessend zweisprachig, aber Melanie konnte nur wenig Englisch und wir nur ein bisschen Franzoesisch).

A20 Quebec City

Die Demo des Tages war von CLAC und CASA organisiert, wie alle der wirkungsvollen Events am Wochenende. CLAC und CASA sind zwei anarchistische/anti-autoritaere Gruppen aus Montreal bzw Quebec. Andere beteiligte Gruppen waren SalAMI (liberale Antiglobalisierungsgruppe), Alternatives (große kanadische NGO) und Occupe (ich weiss immer noch nicht, was die machen); diese Gruppen taten nicht mal ein Zehntel der Arbeit, die CLAC und CASA machten, obwohl sie das Hundertfache an Ressourcen haben. Anscheinend verwendeten sie mehr Energie darauf, CLAC und CASA zu marginalisieren (besonders SalAMI) und eine "legale" Demo zu organisieren, die tausende GewerkschafterInnen von der Sicherheitszone wegfuehrte zu einer absurden Kundgebung in einem Stadium.

Ein Mitglied von CAW meinte spaeter zur "legalen" Demo: "Warum lief der "legale Protest" meilenweit weg von der Sicherheitszone? Wenn ich gewusst haette, dass wir auf einen Parkplatz losmarschieren, dann waer ich zu Hause geblieben und auf den Scheissparkplatz von unserem Einkaufszentrum gefahren."

Diese Konzentration auf kontraproduktive Aktivitaeten durch die groesseren Organisationen ueberliess das Feld fast ausschliesslich CLAC, CASA und verbuendeten Gruppen. Unter der von ihnen bewaeltigten Arbeit war: das Herumreisen durch Ontario, Quebec und den Nordosten der USA zu zahllosen Teach-Ins ueber Demonstrationen, sie erzaehlten von Demonstrationen und wie die Desinformation seitens der Medien zu kontern ist durch die mit CASA verbuendete Gruppe Comite Populaire du St. Jean Baptiste, das Verteilen von 10.000 vierseitigen Flugblaettern in den Vierteln, in dem die meisten Aktionen stattfinden sollten (St. Jean Baptiste und Limoliou), sie bauten ein "Adopt-An-Activist"-Programm auf, das die BewohnerInnen bat, durchreisende DemonstrantInnen ueber das Wochenende aufzunehmen (Hunderte von DemonstrantInnen wurden auf diese Weise untergebracht) und das Koordinieren der mehr auf Konfrontation ausgerichteten (und daher effektiveren) Aktionen, die am Wochenende stattfinden sollten.

Kurz gesagt, die wichtigste Arbeit (das Organisieren der Bemuehungen, den Gipfel zu stoppen oder zu stoeren und Unterstuetzung bei den BewohnerInnen aufzubauen) wurde von CLAC und CASA getan. Bei frueheren Demonstrationen wie in Seattle oder Washington wurden dezentrale "anarchistische" Strategien von Gruppen wie DAN und Mobilization for Global Justice mit großem Erfolg eingesetzt. An diesen Gruppen beteiligen sich auch viele AnarchistInnen und Anti-Autoritaere, aber diesmal wurde der Hauptteil der Organisationsarbeit offen von AnarchistInnen und anderen radikalen Anti- Autoritaeren bewaeltigt.

Der Freitag begann mit einer traditionellen Demo von der Laval- Universitaet den Boulevard Rene Levesque runter bis zur "Mauer" [der Zaun], was ein eher unheilverheissender Start fuer einen erstaunlichen Nachmittag und Abend schien. Aber es gab praktische Gruende - die meisten Unterkuenfte fuer angereiste DemonstrantInnen waren auf dem Campus der Laval-Universitaet. Der Marsch ging ueber mehr als eine Meile und blieb nicht ohne Zwischenfaelle: eine Auseinandersetzung zwischen einem Uni- Sicherheitsmenschen (der den Zwischenfall provozierte) und einem Demonstranten, in deren Verlauf der Wachmann seine Waffe zog. Diesen Zwischenfall bekam ich selbst mit, aber sonst war es eine ereignislose Demo. Waehrend der Demo hoerte ich auch das erste Mal die Rufe der Quebecer Radikalen und des Schwarzen Blocks. Eine einfache und sehr angebrachte Parole, die ausdrueckte, worum es an diesem Wochenende ging: Sol! Sol! Sol! Sol-i-dar-i-té!

Was auch bemerkenswert war: vom Anfang der Demo in der Laval bis hin zur Sicherheitszone sah ich nirgendwo einen einzigen Bullen. Das ist interessant, weil die Medien seit Monaten eine Kampagne der Angstmacherei auf die BuergerInnen von Quebec losgelassen hatten, um ihre Furcht vor den DemonstrantInnen zu schueren und sie gegen diese einzunehmen. Was die Abwesenheit der Bullen auf dem ganzen Weg der Demo mir sagte - und auch den EinwohnerInnen von Quebec sagen sollte - ist, dass sie Behoerden am Arsch vorbeigehen. Es waren Tausende auf den Straßen, wir haetten die Stadt niederbrennen und pluendern koennen, gar kein Problem, und kein einziger Bulle waere dagewesen, um uns aufzuhalten. Was noch interessanter ist: die Polizei der Stadt Quebec hatte nichts mit der Verteidigung des Gipfels zu tun, die Gipfelverteidigung wurde von der Polizei der Provinz Quebev, der RCMP und dem CSIS (die kanadische Entsprechung von FBI und CIA gleichzeitig) gestellt.

Cirka einen Block vor der Sicherheitszone, an der Kreuzung der Rene- Levesque und der Rue L'Amerique-Francaise, wurden die Leute gefragt, ob sie links zur "gruenen" gewaltlosen/ungefaehrlichen Aktion oder zu den "gelben" und "roten" Aktionszonen gehen wollten, die eine Kombination aus militantem gewaltlosem buergerlichem Ungehorsam und direkter Aktion gegen Zaun und Polizei sein sollten. Ich weiss nicht, wie viele nach links gingen; Lyn, Duff, Ben, Richard, David (einer der wenigen Mitglieder des New Yorker Ya Basta!, die ueber die Grenze kamen) und ich gingen in die rote Zone. Gretchen war in der Menge, aber nicht bei uns, sie ging aber auch in dieselbe Zone.

Es dauerte nur ein paar Minuten, dann hatte der Schwarze Block den Zaun an der l'Amerique-Francaise umgerissen und blad darauf kam die erste Ladung Traenengas, die mit einem Hagel von Steinen und Flaschen von den DemonstrantInnen beantwortet wurde. Und so ging es zwei Stunden lang weiter.

Ich war am 16. April 2000 bei den Demons gegen WB/IWF in Washington im Schwarzen Block gewesen und da gingen die Bullen am liebsten mit Stiefeln und Knueppeln vor. Sie haben sich nicht groß mit Traenengas abgegeben. In Washington waren sie ganz wild drauf, uns zu Mus zu knueppeln, uns mit Motorraedern zu ueberfahren und uns mit Pferden oder sonstwie niederzu- trampeln. In Seattle war es unzusammenhaengende Gewalt von einer imkompetenten Polizei, aber in Quebec standen wir einer erfahrenen und disziplinierten Polizei gegenueber (mit einiger Erfahrung im Umgang mit großen Mengen), die extreme Gewalt und Terrorstrategien geschickt einsetzten. Rueckblickend betrachtet hatte alles, was sie taten, ein gewisses Mass an Logik und Taktik, auf das die meisten Leute nicht vorbereitet waren.

Hier am 20. April kriegten Lyn und ich unsere erste Ladung Traenengas ab und es blieb nicht bei einer. Wir hatten uns israelische Gasmasken in Washington gekauft, aber sie nicht nach Quebec mitgenommen, weil wir dachten, die wuerden an der Grenze sowieso beschlagnahmt. Daher waren wir voellig ohne Schutz. Wir waren genau hinter dem Schwarzen Block, vielleicht 6 m hinter der vordersten Reihe, als die erste Salve Traenengas abgeschossen wurde. Gluecklicherweise war der Wind fast den ganzen Tag auf unserer Seite und blies das Traenengas gleich wieder zu den Bullen zurueck, und die Kanister wurnden gleich von Leuten aus dem Schwarzen Block und anderen DemonstrantInnen aufgehoben und zurueckgeschmissen.

Bis zur zweiten oder dritten Salve bekamen wir direkt nichts ab — es tat natuerlich scheissweh, aber wenn wir ein paar Meter weggingen und das Gesicht in den Wind hielten, erholten wir uns schnell. "Ist ja gar nicht so schlimm", meinten wir, aber nach jeder neuen Dosis dauerte es laenger, bis wir uns wieder erholt hatten.

Nach ungefaehr einer Stunde waren Lyn und ich total im Arsch vom Traenengas und suchten fuer mehrere Minuten hinter einem Wohnhaus Schutz. Als wir zurueckkamen, hatte die Polizei zwei Wasserwerfer HINTER den DemonstrantInnen aufgefahren und versuchte, sie zwischen l'Amerique- Francaise und Turnbull festzusetzen und den Schwarzen Block vom Zaun wegzulocken. Der letzte Teil des Planes ging auf, aber nicht so, wie sie es erwartet hatten. Der Schwarze Block und viele andere DemonstrantInnen, die nun nach einer Stunde Begasung mit Traenengas ziemlich wild waren, griffen die Wasserwerfer entschlossen an — sie zerschlugen die Scheiben und versuchten, die Tueren zu oeffnen und die Fahrer rauszuziehen. Die Reaktion der Menge muss ein ziemlicher Schick fuer die Polizei gewesen sein, weil sich die Wasserwerfer hastig zurueckzogen und nicht mehr gesehen wurden — ab dem Zeitpunkt behielten sie die Wasserwerfer an mehreren Stellen hinter dem Zaun in Sicherheit.

Allmaehlich gelang es der Polizei, eine Seite des Blocks einzunehmen, sie jagten die Leute ueber die Straße und schlugen viele. Sie wurden aber zurueckgeworfen und das Ganze ging von vorne los.

Wir blieben noch eine Stunde und versuchten nun, dem Gas so weit wie moeglich aus dem Weg zu gehen. Buchstaebliche Hunderte von Leuten hatten im Radio und Fernsehen mitbekommen, was da los war und kamen und beteiligten sich oder beobachteten die Vorgaenge. Die Gesichter der BeobachterInnen spiegelten Wut und Schrecken wieder, nicht die DemonstrantInnen betreffend, sondern wegen der Brutalitaet der Polizei.

Nach drei oder mehr Stunden ohne Schutz vor dem Gas mussten wir fuer eine Weile raus und gingen in die naechste Straße zu einem Restaurant, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnern kann. Richard kam mit uns, Ben und Duff blieben vor Ort. Die Leute im Restaurant waren sehr freundlich und entgegenkommend. Der Raum war gedraengelt voll mit DemonstrantInnen, die dort Zuflucht suchten oder sich erholen wollten, bevor sie wieder zur Straßenschlacht zurueckgingen.

Komischerweise, nach all dem Traenengas, brauchten Lyn und ich erstmal eine Zigarette, aber wir waren in der Nichtraucherabteilung des Ladens. Unser Ober holte uns einen Aschenbecher, als er uns die Zigaretten anzuenden sah. Das erinnerte mich an den Besuch von Jaggi Singh, einem Organisatoren von der CLAC, der fuer ein Teach-In nach Ithaca kam. Wir kannten uns seit Jahren per E-Mail, und da hatte ich das Vergnuegen ihn persoenlich zu treffen. He machte Witze darueber, dass Quebec die Raucherzone von Nordamerika sei und dass die Restaurants nur zwei Zonen haetten: fuer Raucher und fuer starke Raucher.

Spaeter erfuhren wir, dass waehrend der ersten beiden Stunden der Schlacht auf der Rene Levesque die Polizei (wahrscheinlich der CSIS) Jaggi buchstaeblich gekidnapt hatten - Jaggi ist einer der sichtbarsten und effektivsten SprecherInnen der Aktionen. Die Polizisten, die ihn kidnapten, waren wie Demonstranten angezogen. Sie umstellten ihn, schlugen ihn heftig und warfen ihn in ein Zivilfahrzeug, das rasch davonfuhr. Zu diesem Zeitpunkt war Jaggi in der Naehe der "gruenen" Zone, die genauso erbarmungslos begast wurde und versuchte, die Leute dort zu beruhigen, um eine panische Flucht zu verhindern. KeineR wusste waehrend der ganzen Nacht, wo Jaggi hingebracht wurde, und bis jetzt ist er nicht freigekommen.

Als wir aus dem Restaurant kamen, fanden wir die meisten DemonstrantInnen noch auf der Straße. Die Bullen hatten sie aus der Rene Lebesque in die Turnbull und den Huegel runter abgedraengt. Wir hatten den ganzen Tag Aufnahmen gemacht und nahmen sofort die Minidisc raus und rannten den Huegel hoch. Wir trafen auf einen Mann und eine Frau mit einem Megaphon, die uns fragten, ob wir vielleicht eine Ausgabe der kanadischen Verfassung dabei haetten. Wie es so ging, hatten Lyn und ich eine Ausgabe von einem Legal Oberserver bekommen, als wir uns bei der CMAQ am Morgen um Presse- ausweise bemuehten... Lyn gab ihnen ihre.

Zuerst las der Mann, das war ganz okay, aber dann nahm die Frau das Mega, ging auf die Polizeikette zu und las mit sich steigernde Wut in der Stimme. Ich stand neben ihr und machte Aufnahmen. Sie war noch beim Vorlesen als ein Riot-Bulle mit seinem Traenengasgewehr direkt auf sie zielte. Leute in der Menge fingen an zu schreien "Nicht schießen!". Der Bulle senkte sein Gewehr, dafuer hob der Bulle neben ihm seins und schoss eine Traenengasgranate nach der anderen in die Menge. Ich und ein paar andere Leute fingen an zu rufen: "Gehen!.... Walk! .... Marche!" um zu verhindern, dass eine Panik ausbricht und Leute umgerissen werden, als wir alle versuchten, so schnell wie moeglich aus der dicken Wolke von Traenengas zu kommen. Als wir unten am Huegel angekommen waren, schaute ich mich um und sah, dass eine dichte, undurchdringliche Wolke von CS-Gas die kleine Wohnstraße, in der wir vorher waren, voellig zudeckte. Dies war der erste von zahllosen Gasangriffen in reinen Wohnstraßen, den ich in den naechsten 2 Tagen erlebte.

Die Luft war so voll Gas, dass die Leute mehrere Blocks weiter erst wieder halbwegs reine Luft bekamen. Das reichte uns. Wir schlossen uns unseren Freunden wieder an und fuhren zu Pierre zurueck, um uns zu erholen. Spaeter hoerte ich, dass die Straßenschlacht bis zum Morgengrauen weiterging und dass wuetende AnwohnerInnen dort weitermachten, wo die DemonstrantInnen nicht mehr konnten.

A21 Quebec City

Der Versammlungspunkt am naechsten Mittag war auf der Charest. Dies war der große Tag. Am Vortag waren 15-20.000 auf den Straßen, heute waren es allein 60.000 GewerkschafterInnen, nach Information der OrganisatorInnen, und 10-15.000 DemonstrantInnen und wuetende AnwohnerInnen im Verlauf des Tages. Dies sollte ein Tag erstaunlichen Mutes und (fuer die meisten GewerkschafterInnen, die von der Aktion weggefuehrt werden) der Enttaeuschung und des Frusts.

Lyn und ich waren nun vorbereitet. Wir hatten uns Augenschutz besorgt und Essig gegen das Traenengas. Heute gingen wir mit dem Schwarzen Block. Wir fanden einen Teil des Schwarzen Blocks ein paar Haeuserblocks unterhalb des Parks zwischen l'Eglise und Couronne, von wo wir zur Cote d'Abraham runtergingen und in die wildeste und tapferste Straßenschlacht, die ich je erlebt habe.

Es gab einen gemieteten LKW mit großen Lautsprechern, aus dem Reggae, Funk und Hip-Hop ertoente. Der hielt am Park, der "Temporaeren Autonomen Zone" (mehr dazu spaeter) an. Ein paar Fenster von Banken wurden eingeschmissen, nichts großes insgesamt. Eine Gruppe von DemonstrantInnen hatte am Vormittag ein Stueck Autobahn samt Auf- und Abfahrten besetzt und trommelte auf die Leitplanken der Autobahn, was noch mehrere Blocks weiter zu hoeren war. Die Auf/Abfahrten lagen offenbar in der Naehe des Gipfels und sie versuchten, den Gipfel zu stoeren, indem sie Tag und Nacht trommelten, was sie auch in die Tat umsetzten. Soweit ich es mitbekommen habe, fing das Trommeln vormittags an und ging weiter, bis es gegen 4 Uhr morgens gewaltsam aufgeloest wurde. Die ganze Zeit waren diese Leute direkten Angriffen mit Traenengas, Wasserwerfern und Plastikgeschossen ausgesetzt. Der Schwarze Block kam, um sie zu verteidigen und das Feuer von ihnen abzuziehen.

Was folgte, was erstaunlich. Die Leute, die sich an der Verteidigung hier beteiligten (Maenner, Frauen, Schwarze, Weisse, AsiatInnen, First Nations, Quebecer, Anglos) zeigten unglaublichen Mut, Entschlossenheit und Durch- haltevermoegen. Schauer von Traenengas, Plastikgeschossen und aus den Wasserwerfern wurden beantwortet mit einem Hagel von Steinen und Ziegeln, brennendem Muell und Traenengaskanister wurden zu den Bullen zurueckgeworfen. Die TrommlerInnen auf der Autobahn und die VerteidigerInnen wechselten sich ab — es lief informell, eineR wurde muede oder verletzt und da war immer einE andereR, um den Platz einzunehmen, jedenfalls fuer die ganze Zeit, in der ich da war. Diese Schlacht ging buchstaeblich ueber STUNDEN.

Die Leute, bei denen ich war, erlitten entweder Verletzungen, oder bekamen zuviel Gas ab oder wurden muede (ich machte den dummen Fehler zu versuchen, einen Traenengaskanister wegzutreten, nachdem er schon ein paar Sekunden in Gang war. Essig auf der Kleidung schuetzt ja ganz gut vor CS- Gas, aber nicht, wenn du bloed genug bist, in eine ganze Wolke reinzulaufen) und wir beschlossen, weiter zu St Jean zu gehen. Wir hoerten, dass dort auch heftig gekaempft wurde. Auf dem Weg dahin sahen wir ebenso erstaunliche Sachen. Insbesondere die Großzuegigkeit und Freundlichkeit der EinwohnerInnen von Quebec.

Im Folgenden nur ein paar Ereignisse, nicht unbedingt in chronologischer Reihenfolge: eine tolle Frau mittleren Alters, die einen Wasserschlauch aus dem Fenster ihrer Wohnung im 2. Stock hielt und den Leute unten zulachte, als diese ihre Augen ausspuelten und ihre Wasserflaschen auffuellten. Ein Ladenbesitzer draussen auf der Straße, der dasselbe tat. Ein Opa mit Kindern und Enkeln, die auf der Treppe sassen, als wir vorbeigingen, meinte er gerade: "Mais oui! Mais oui! C'est admirable!" [Aber ja, aber ja, das ist bewundernswert!] Wir suchten in einer Nachbar- schaftskneipe Zuflucht und der Barkeeper machte uns darauf aufmerksam, dass es schoenes kuehles Wasser im Klo gaebe; freundliche Gespraeche mit den Gaesten aus dem Viertel auf franzoesisch und englisch. Der Schwarze Block marschierte unter dem Jubel von DemonstrantInnen und AnwohnerInnen durch eine Straße.

Den Rest des Tages verbrachten wir damit, zur Rene Levesque und zurueck zu gehen, hier einige meiner Erlebnisse:

St. Jean:
Half ohne Erfolg beim Versuch, einen Teil des Zauns an der St. Jean umzureissen (na gut, ein Teil wurde dann doch umgerissen). Ich sah einen kleinen Jungen, der dort wohnte, wie er von den Bullen hinter dem Zaun begast wurde und konnte nichts fuer ihn tun. Ich hoerte einen Bericht, dass der Gipfel wegen der Proteste verspaetet sei und alle jubelten, DemonstrantInnen genauso wie AnwohnerInnen.

Rene Levesque:
Die Leute werfen Traenengaskanister zu den Bullen zurueck.

Als wir wieder an der Cote d'Abraham ankamen, wurde es dunkel. Wir kamen am Fuss der Straße um die Ecke und sahen, dass die Polizei dabei war, sich den Huegel herunter zu draengen. Wir beschlossen, zur hinteren Seite des CMAQ (dem an Indymedia angeschlossenen Medienzentrum) zu gehen, das an der Saint-Vallier liegt und dort Pause zu machen und eine zu rauchen. Fuer die folgenden Ereignisse ist es noch wichtig zu wissen, dass die Cote d'Abraham eine gewundere Straße ist, die einen steilen Huegel hinunter fuehrt. Die vordere Front des CMAQ hat zwei Stockwerke, die hintere ca. fuenf. An der Seite des CMAQ ist eine lange steile Treppe, die von der Cote d'Abraham hinunter zur Saint Vallier fuehrt, wo wir uns auf den Bordstein setzten und kloenten. Viele AnwohnerInnen sammelten sich und mischten sich unter die AktivistInnen. Ploetzlich, wie aus dem Nichts, kamen Leute kreischend die Treppe runtergerannt und eine Wolke von Traenengas folgte ihnen. Die Bullen hatten es geschafft, die Front zwei Blocks den Huegel hinunter zu druecken, aber die "TrommlerInnen" besetzten noch die Autobahn und hielten durch.

Das Gebaeude, in dem sich das CMAQ befindet, hat kein Belueftungssystem und daher mussten sie alle Tueren schließen und die Ritzen abdichten, damit kein Gas ins Haus drang. Draussen bruellten die AktivistInnen und die AnwohnerInnen die Polizei an und insbesondere die AnwohnerInnen fingen an, sie mit Flaschen und Steinen zu bewerfen und kassierten dafuer noch mehr Traenengas. Es kam uns so vor, als ob es eine Stunde dauerte, bis die Bullen sich wieder zurueckzogen, aber dieser Angriff war der Tropfen, der das Fass zum ueberlaufen brachte. Es ist Samstag abend, die Kneipen und Straßen sind voll mit wuetenden weissen, schwarzen und asiatischen ArbeiterInnen, die in den umliegenden Vierteln St. Jean Baptiste und Limoilou wohnen, die den ganzen Tag ueber ununterbrochen begast worden waren. Wir gingen dann etwas die Straße runter, um etwas zu essen zu organisieren, weil es ganz danach aussah, das eh nichts besonderes passiert.

Weiter den Huegel runter, im Park an der Ecke Coronne und Charest, brannte ein Lagerfeuer schon seit einer Weile, da waren mehr AnwohnerInnen als AktivistInnen und es gab Party. Das Feuer wird groesser und groesser, die Leute tranken auch, kifften, das Soundsystem droehnte und die Leute amuesieren sich. Die Leute auf der Cote d'Abraham kriegten mehr und mehr von den Bullen ab, und die AnwohnerInnen kamen runter zu ihren FreundInnen und NachbarInnen unten am Feuer, die AktivistInnen sammelten ihre Leute, die ein paar Bloecke weiter weg waren und es geht eine Spontandemo die Charest runter, die sich mit den AnwohnerInnen und den anderen AktivistInnen gerade rechtzeitig trifft, die unter einer Autobahnunter- fuehrung vorkommen und "Sol! Sol! Sol! Sol-i-dar-i-té!" rufen.

Bis wir zum Park kamen, hatten wir in der Funke das Neueste gehoert. Ich hatte den CMAQ-Kanal gefunden und denen berichtet, was hier los war, und danach habe ich von 23 Uhr bis 4 Uhr morgens die Kommunikation mit dem CMAQ aufrecht erhalten, waehrend die AnwohnerInnen sich die ganze Nacht an den Bullen raechten. Bis wir am Park waren, gehoerte die ganze Kreuzung Charest/Couronne den AnwohnerInnen und AktivistInnen und das Lagerfeuer wurde noch groesser und 3 Meter hohe Flammen praktisch mitten auf der Straße aufloderten.

Eine weitere erstaunliche Straßenschlacht ging auf der Cote d'Abraham los, und dieses Mal steuerten die AnwohnerInnen ihre Ressourcen bei. Irgendwann haben sie einen Zaun geradezu herbeigezaubert und marschieren die Cote d'Abraham rauf und greifen die Bullenkette oben auf dem Huegel an. Die Schlacht ging zwischen 23.30 Uhr und 4 Uhr morgens hin und her, bis die Bullen schliesslich die Oberhand gewinnen und alle runter in den Park treiben. Zwischendurch hoerten wir, dass es immer noch Kaempfe auf der St. Jean und Rene Levesque gab, aber wir hatten genug. Die Bullen loesen die Ansammlungen jetzt brutal auf, wo sie den Vorteil haben und auf die andere Seite des Huegels ist kein Durchkommen mehr.

Wir gingen nach Hause und redeten noch mit Melanie und tauschten unsere Erlebnisse aus. Wir hatten vor, das Abschlusstreffen bei CLAC/CASA in der Laval-Universitaet am naechsten Tag mitzumachen. Die anderen FreundInnen von Pierre waren doch noch aufgetaucht und erzaehlten, wie stolz sie auf die militanten Quebecer AktivistInnen sind, die demonstriert und gekaempft haben. Wir alle haben Geruechte gehoert, dass die kanadische Armee zu Hilfe gerufen werden soll; dieses Geruecht geht seit einiger Zeit rum, aber sie bezweifeln das. Sie sagen, wenn die wirklich die Armee auffahren lassen, dann geht hier die Revolution los. Die QuebecerInnen hassen die Armee, sie erinneren sich noch gut daran, was die Armee in den 70er Jahren waehrend der Buergerrechtskaempfe in Quebec angerichtet hat.

A22 Quebec City: Nachbetrachtung

Am Sonntag morgen hoerten wir, dass cirka 455 Personen festgenommen wurden und nur von ungefaehr 300 ist der Aufenthalt bekannt. Wir hoeren von anderer Seite, dass mindestens 4 Personen spurlos "verschwunden" sind — es ist nicht bekannt, ob sie im Gefaengnis sind oder untergetaucht.

Es gibt ein Treffen, wo beschlossen wird, eine Solidemo fuer die inhaftierten DemonstrantInnen zum Justizministerium zu machen. Die Demo ist klein, aber interessant. Die Laval-Uni liegt im gehobenen Stadtteil Saint-Foy - eine mehr oder weniger nuechterne Ansammlung von Einkaufszentren und teuren Autos - ein harter Kontrast zur Schoenheit der Stadt Quebec. Trotzdem zeigen die PendlerInnen und PassantInnen Unterstuetzung und sie sind sichtlich veraergert von der Kette von Riot- Bullen, die unserer kleinen Demo von 300 Leuten den ganzen Weg folgen. Eine Pressekonferenz findet vor dem Ministerium statt und es wird auf franzoesisch und englisch eine Erklaerung verlesen. Wir kehrten danach zur Laval-Uni zurueck, verabschieden uns von Melanie und beschließen, uns im Sommer mit ihr zu treffen.

Frueher am Tag trafen wir Nicholas, einen der CASA-OrganisatorInnen und haben mit ihm abgemacht, am Abend ein Interview zu machen.

Nicholas ist sehr aktiv im Comite Populaire du St.Jean-Baptiste, einer Anti-Armutsgruppe, die im Viertel St.Jean-Baptiste arbeitet. Er und seine GenossInnen waren fuer einen Großteil der Infoarbeit im Viertel und bei den oertlichen LadenbesitzerInnen vor den Demonstrationen verantwortlich. Er sagt, dass er normalerweise kein sonderliches Interesse an Großdemos hat, aber diese war in seiner Stadt, also hat er dafuer gearbeitet, dass sie ein Erfolg wird.

Er ist der Meinung, dass die AnarchistInnen mehr Arbeit in ihren Gemeinden leisten sollten, da koennen wir etwas erreichen. Er meint, dass die ganze Globalisierungsscheisse eine "Laune" ist, die Kapitalisten stellen ihre Arroganz zur Schau. Sie glauben, dass sie gewonnen haetten und wollen uns das nochmal richtig unter die Nase reiben, aber wenn sie genug Widerstand erfahren, gehen sie (in gewisser Weise) wieder in Deckung, aber nichts wird sich grundsaetzlich aendern.

Nachdem ich die unglaubliche Wirkung gesehen habe, die seine und die Arbeit der anderen AktivistInnen bei der Organisierung vor Ort vor den Demonstrationen hatte, muss ich ihm zustimmen. Das haette ich ohnehin getan, weil er Recht hat. Die antikapitalistische Bewegung (die sich in vieler Hinsicht von der Antiglobalisierungsbewegung unterscheidet) hat viel Arbeit zu tun.

Quebec war bisher das erfolgreichste Ereignis beim Kampf gegen die Globalisierung in der Ersten Welt und es ist nicht wahrscheinlich, dass es in naechster Zeit einen groesseren Erfolg geben wird. Aber wir duerfen die Energie, die wir mit nach Hause nehmen, nicht verpuffen lassen, wir muessen sie in unsere Gemeinden einbringen, wo der richtiger Kampf anfangen muss.

Shawn

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