Wir haben gewählt - Antikapitalismus globalisieren

...Trouble an der Heimatfront.
Aufruf zum Demonstration gegen Joseph Fischer und seine Kriegspropagandashow am Samstag, den 10. August 2002 in Göttingen.

Demonstration:
Sa - 10. August - 11 Uhr - Campus - 12 Uhr Marktplatz

For whom the bell tolls...

Wahlkampfzeiten
Wahlkampfzeiten waren früher Zeiten, in denen die großen Parteien ihre jeweiligen Wahlkampfprogramme vorstellen und ihre Kandidaten und ihre üblichen Wahlversprechen groß in Szene setzen. Doch davon ist im Jahr 2002 noch nicht viel zu spüren. Eher kleine Scharmützel und verschiedene kleine und große Bauernopfer bestimmen das Geschehen. Die Parteien verzichten fast gänzlich auf größere Versprechen bzw. müssen diese nach der Prüfung, ob diese denn finanzierbar seien, wieder zurücknehmen. Ideologische Gefechte gehören offensichtlich der Vergangenheit an, so kommt es zu einem Wahlkampf der Kandidaten. Ob der Kanzler mit ruhiger Hand, der Bayer, der zuviel Kreide fraß, oder die FDP, die ihren erstmalig gekürten Kanzlerkandidaten im Guidomobil durch die Lande fahren lässt und dabei Spaß als Programm verkündet: alles eine Frage der Inszenierung. Und die Grünen, die vier Jahre Regierungspolitik hinter sich und damit das geschafft haben, was ihnen wenige zutrauten, nämlich schon voll regierungstauglich zu sein, haben als Spitzenkandidaten den beliebtesten Politiker Deutschlands. Den deutschen Außenminister, der in einer kaum vergleichbaren Rhetorik Deutschland wieder in einen Krieg führte und, anders als seine Vorgänger in diesem Jahrhundert, diesen auch noch gewann. Dieser Menschenrechtskrieger bildet das Flaggschiff der Grünen und kommt jetzt auf seiner Wahlkampftour auch in das liberale, weltoffene Göttingen. Es könnte ein Heimspiel werden, wenn auf die Prozentwerte der Grünen in Göttingen geschaut wird, natürlich mit der üblichen Kritik, die sich die Grünen und im speziellen der Außenminister immer gefallen lassen müssen. Immerhin war es ja eine Partei der Friedensbewegung, und nicht alle Reste dieser Bewegung sind davon überzeugt, dass die Grünen auf dem richtigen Weg sind. Und so wird Kritik und Protest vorgetragen, um auf die scheinbaren Irrwege aufmerksam zu machen und Gehör zu finden. Für die Grünen gehört dies zu ihrem Image, sich der Diskussion zu stellen, auch unangenehme Fragen zuzulassen und immer offen für QuerdenkerInnen zu sein. Wer nicht Teil dieses Dialogs sein will, muss sich in Konfrontation dazu begeben und sich außerhalb dessen positionieren. Dabei sollte auch den Grünen nicht einmal der Gefallen getan werden, sie als VerräterInnen zu bezeichnen, denn Verrat konnten die Grünen nicht begehen, nicht mit irgendeinem Krieg, irgendeiner Regierungsbeteiligung. Mit ihrer Gründung als Partei im Jahr 1980 begannen sie den Marsch durch die Institutionen, der Eintritt in Parlamente war der Austritt aus einer radikalen Bewegung, und er konnte nie etwas anderes sein.

Demokratie, Parlamente und der Rest
War das Auftreten der Grünen lange an sich schon eine Provokation, waren Parlamentarier anfangs schockiert, stellte sich schnell die Frage, was Stricken im Abgeordnetenhaus vom Zeitungslesen eigentlich unterschied. Und wenn der Außenminister heute noch Turnschuhe tragen würde, es verstöße vielleicht gegen so manche Etikette, aber an den geschaffenen Fakten würde es nichts ändern. Entscheidend bleibt, was hinten rauskommt.
Im deutschen Nationalstaat mit einer parlamentarisch organisierten Demokratie, in der der politische Gestaltungsspielraum zwischen verschiedenen wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Interessengruppen ausgehandelt wird, scheinen die Grünen als VertreterInnen der humanistischen Gruppen noch das kleinste Übel. Dieser Rahmen steht selbstredend auch nur auf der Grundlage einer kapitalistisch verfassten Weltordnung.
Jede Regierungspolitik findet so ihre Basis im Wettbewerb der Nationalstaaten, den attraktivsten Wirtschaftsstandort zu präsentieren und parallel die innerstaatliche Ordnung und Sicherheit aufrecht erhalten zu müssen.
War Wählen schon immer nur ein Akt, in dem die Annahme des politischen Systems zum Ausdruck gebracht wurde und damit auch die ökonomische Grundlage, auf dem es basiert und welche es verwaltet, scheinen bei dieser Wahl fast alle Unterschiede zwischen den Parteien gefallen zu sein. Im Angesicht einer weltwirtschaftlichen Krise, leerer Kassen und des Wirtschaftsstandorts, kann nur noch unter dem Primat des Sachzwangs eine Verwaltungstätigkeit wahrgenommen werden, die im Sinne der "wirtschaftlichen Gesundung" des Landes agiert. So setzt sich ein Trend der Entideologisierung des Wahlkampfes fort und gipfelt vorerst in einem Personenwahlkampf, der deutlicher denn je aufzeigt, worum es bei jeder Wahl geht: Personen zu wählen, die den ökonomischen Sachzwängen entsprechend Deutschland verwalten.
Und die Grünen, wie könnten sie sich diesen Sachzwängen entziehen, müssen sie doch auch um jeden Cent im Staatssäckel kämpfen, um wieder mehr politischen Gestaltungsraum zu gewinnen. So bleibt ihnen die Wahl, mitzuziehen und in der Konkurrenz der Parteien mehr für Deutschland rauszuholen. Dafür kämpft der jetzige deutsche Außenminister mit Leib und Seele. Denn wer glaubt schon ernsthaft, dass jemand die deutschen Interessen im Ausland besser repräsentieren könnte als dieser Altachtundsechziger? Zumindest in den letzten vier Jahren hat er dies mit Bravour erledigt. Kaum jemand bezweifelt dies, weder in Deutschland noch im Ausland, weder die Regierung, noch die Opposition und die radikale Linke schon gar nicht. Ausnahme bleiben wohl ein paar Linksliberale und enttäuschte Grüne selbst, die die Hoffnung hatten, der neue deutsche Außenminister würde etwas anderes mit seinem Amt anfangen, als deutsche Außenpolitik zu betreiben.

Farbenwechsel auf Regierungsebene
Mit dem Regierungswechsel 1998 sah sich die radikale Linke seit 16 Jahren zum erstenmal wieder nicht mit einer schwarz-gelben Regierung konfrontiert. Der kurze Schock und die Verwunderung, dass Deutsche doch in der Lage waren, einen Kanzler abzuwählen und dann auch noch den Kanzler der Einheit, war schnell überwunden, und auch die Erkenntnis, dass die neue Regierung wie angekündigt, nicht alles anders, aber vieles "besser" machen würde, deutete sich auch schnell an. "Besser" machen bedeutet schlicht und einfach, die letzten 4 Jahre Regierungspolitik betrachtend, Deutschland zu modernisieren. Deutschland zu einer Nation zu formen, die wie jede andere ihrem ökonomischen Gewicht entsprechend ihre weltpolitische Rolle wahrnehmen kann und genauso im Stande war, innenpolitisch mit belastenden Relikten deutscher Geschichte aufzuräumen. Exemplarisch stehen dafür, die Modifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts, die ZwangsarbeiterInnenentschädigung und der Aufstand der Anständigen. Diese Vergangenheitsbewältigung im Innern verknüpft mit einem neuen außenpolitischen Selbstvertrauen, mit der im Vertrag von Nizza erreichten neuen Stimmgewichtung im Parlamentarischen Rat der EU, welche Deutschland hier jetzt das größte Gewicht gibt, die Fähigkeit, wieder Kriege zu führen, militärisch weltweit zu agieren und demnächst in der EU bzw. WEU das größte Truppenkontingent zu stellen. Dass diese Entwicklung in dieser Form, dieser Geschwindigkeit und mit der begleitenden Rhetorik nur mit Altachtundsechzigern an der Spitze der Regierung möglich war, ist unbestritten. Dass dies alles nur die konsequente Fortführung bisheriger deutscher Politik ist, sollte dabei nicht aus dem Blick verloren werden. Es verdeutlicht, dass deutsche Interessen deutsche Interessen bleiben und jede Regierung sie ihren Möglichkeiten entsprechend versucht wahrzunehmen. Viele unterschiedliche Begriffe versuchen, diesen Prozess zu beschreiben, ob "Normalisierung", als ob Deutschland eine Zeitlang "unnormal" gewesen wäre, oder "neues deutsches Selbstbewusstsein". Was aber an dem Selbstbewusstsein der deutschen Nation so spezifisch neu oder deutsch ist, wird nicht deutlich. Auch dass das Selbstbewusstsein der "Volksseele" 1990 mit Gewinn der Fußballweltmeisterschaft und Wiedervereinigungstaumel schon höher geschlagen hat in der Nachkriegsgeschichte, wird damit unter den Teppich gekehrt. Die genauste Einschätzung, was sich unter rot-grün verändert hat, lieferte der bisher nicht für seine genauen Analysen bekannte amerikanische Präsident Bush. So entschlüpfte es seinem Mund, worauf deutsche PolitikerInnen seit 1945 warten. Bush stellte kurz nach dem 11.September und dem Beschluss des Bundestages, Soldaten für den Krieg gegen den Terror bereitzustellen, fest, dass Deutschlands Nachkriegsgeschichte endgültig zu Ende sei. Deutschland ist dort, wo der Rest der westlichen Nationen längst angekommen ist, die Frage bleibt nur, ob trotz oder wegen Auschwitz.

"Wer nicht für uns ist - ist gegen uns!"
Dass es in dieser Zeit kaum ins Gewicht des öffentlichen Bewusstseins fällt, wenn der größtenteils sowieso nur belächelte Verteidigungsminister seinen Hut nehmen muss, und somit eine Auswechslung des obersten deutschen Truppenbefehlshabers statt findet, spricht Bände. Obwohl Deutschland Soldaten auf dem Balkan, in Afghanistan, in Kuwait, am Horn von Afrika etc. stationiert hat, will scheinbar niemand wahrhaben, dass Krieg ist. Deutschland befindet sich mit der Verkündigung des Nato-Bündnisfalls im Krieg und dies schlägt sich sowohl in der Truppenpräsenz nieder, als auch wie in jedem Krieg in der Innenpolitik. Sicherheitspakete, die eine Katalogisierung der Bevölkerung nach sich ziehen, werden verabschiedet. Rasterfahndung nach rassistischen Kriterien betrieben. Trotz dieser Vorgänge scheint sich die Arbeit der Regierung und der Medien neu zu gestalten, so anders wie sich der Krieg gegen den Terror selbst gestaltet. Der alltägliche Kriegszustand wird in den Hintergrund gedrängt, es findet nicht mehr wie zu Anfang eine Mobilmachung der Bevölkerung gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen statt, sondern eine Mobilmachung für die "westliche Wertegemeinschaft". Die westliche Welt wird zum Hort der Freiheit und des Wohlstands erklärt, die ihre Werte in der restlichen Welt verkünden und verteidigen muss. Dieses Bild wird im Gegensatz zu den fanatisch fundamentalistischen Gotteskriegern aufgebaut, auf deren Seite Gewalt, Rücksichtslosigkeit und Unterdrückung verortet werden. Wenn der Feind das unfassbare Böse ist, so kann dessen Gegner nur der Gute sein. In diesem Gegensatz erscheint die westliche Welt noch heller als sie sich sonst darstellt. Die Berufung auf die Werte der westlichen Welt, welche nicht nur die Potenz der Vernichtung in sich trägt, sondern auch nur durch alltägliche Gewalt und Ausbeutung bestehen kann, die Gewalt, Rücksichtslosigkeit und Unterdrückung des kapitalistischen Verwertungsprozesses, die sich über individuellen Arbeitszwang bis hin zum einkalkulierten Massenelend manifestiert, sollen in den Hintergrund gedrängt werden.
Eine linksradikale Bewegung kann sich im Angesicht der Kriegsparteien und derer Ideologien nicht dem Schweigen verschreiben, da es keine Chance für emanzipative Bewegungen gibt. Das Integrationsangebot der grün-humanistischen BedenkenträgerInnen, die meinen, nur Schlimmeres zu verhindern, muss genauso ausgeschlagen werden, denn es bleibt eine Einladung zur Rückkehr in die gesellschaftliche Mitte. Die militärisch und innenpolitisch geschaffenen Fakten und Tendenzen gilt es, entschieden zu kritisieren und zu bekämpfen, genauso wie die zivilgesellschaftliche Mobilmachung für den Kapitalismus und seine Werte.

Wir haben gewählt!
In Zeiten des FÜR oder GEGEN, scheint es schwer, sich auf ein anderes GEGEN zu beziehen als das gemeinte. Doch um der eigenen Kapitulation vor den Zuständen zu entgehen, ist es gerade in diesen Zeiten notwendig, die grundsätzliche Kritik am Bestehenden zu artikulieren und zu praktizieren. Den sich während verschiedenen Gipfeln antikapitalistisch manifestiert habenden Widerstand gilt es aufzugreifen und sich mit den dahinterstehenden Bewegungen, Gruppierungen und Netzwerken auseinander zu setzen. Dies gilt nicht allein für Kongresse, Camps und Seminare, deren Notwendigkeit nicht bestritten werden soll. Doch auch die scheinbar von diesen Ereignissen losgelöste Praxis gilt es in diesen Zusammenhang zu setzen. Dass der "summer of resistance" praktische Folgen für jede andere linksradikale Praxis hatte, dass der Faden wiederaufgenommen gehört, der antikapitalistischem Widerstand wieder Gehör verschaffte, wird bei vielen Debatten um die Ereignisse an sich verdrängt. Sich in diesen Zusammenhang, die eigene Praxis in diese Kontinuität zu stellen, um dieser Einpunktbewegung, die sich gleichzeitig als Bewegung der Bewegungen versteht, eine linksradikale Ausrichtung zu geben, erscheint vielen anmaßend. Doch außerparlamentarische linksradikale Praxis steht gerade wegen eines 11. Septembers immer unter den Vorzeichen des "summer of resistance". Die Größe, die Radikalität, die Vielfalt und die Militanz dieses Sommers, die sich gegen das bestehende System richtete, haben die Strategen der Inneren Sicherheit nicht vergessen. Diese Bewegung hatte den vorgegeben Rahmen verlassen, und dies ganz bewusst. Nun gilt es, den Faden weiterzuspinnen und nicht erst in Prag oder Kopenhagen. Wir stellen unsere Politik seit Jahren in den Kontext linksradikaler außerparlamentarischer Bewegungen, wir wollen den gegebenen Rahmen verlassen, weil wir etwas anderes als diesen Rahmen wollen. Das wird am 10. August genauso unser Ziel sein, wie es das in Köln 1999 oder in Genua 2001 war.

Wir haben gewählt: Antikapitalismus globalisieren!

im August 2002
Autonome Antifa [M]

 

Plakat

coming soon!