Rede der Autonomen Antifa [M] auf
der Abschlusskundgebung der Bündnisdemonstration gegen den Naziaufmarsch am
29. Januar 2000 in Göttingen
Hallo Antifaschistinnen und Antifaschisten, ich begrüße Euch im
Namen der Autonomen Antifa (M).
Auch wir sind erfreut, dass wieder einmal kein Naziaufmarsch in Göttingen
stattfinden konnte, dass wieder so viele Menschen verschiedener politischer
Spektren auf die Strasse gegangen sind, um ihre Ablehnung faschistischer Ideologien
kundzutun. Das sollte allerdings kein Grund sein, sich auf die Schulter zu
klopfen und beruhigt zurückzulehnen, weil das eigene Stück Heimatboden erfolgreich
verteidigt wurde. Faschistische Aufmärsche sind in der BRD mittlerweile zu
einer traurigen Normalität geworden, die nicht dadurch eingedämmt wird, indem
man fernab des Geschehens seinen Protest ausdrückt oder auf staatliche Verbote
hofft.
Es
gibt gute Gründe, diesen Redebeitrag heute maskiert zu halten. Einer davon
sind natürlich die Aktivitäten der Anti-Antifa, also der Faschisten. Daß die
Gefahr faschistischer Übergriffe auf linke AktivistInnen nicht zu unterschätzen
ist, hat zuletzt die Warnung vor Briefbombenattentaten gegen antifaschistisch
tätige Menschen in Göttingen gezeigt. Auf der anderen Seite zeigt auch die
Polizei einen starken Willen zur Verfolgung und Kriminalisierung linken antifaschistischen
Widerstands. Dies äußerte sich vor kurzem in der Observation des Unicampus
durch die politische Polizei, die angeblich dazu dienen sollte, nächtliche
Plakatierer dingfest zu machen. Tatsächlich ging es bei dieser Aktion um nichts
anderes als die Einschüchterung und Verfolgung linker AktivistInnen. Die richtige
Antwort auf derartige Repressionsversuche sind breite Bündnisse und Demonstrationen
wie die heutige. Wir lassen uns in unserem politischen Kampf nicht aufhalten
- heute nicht und zu keinem anderen Zeitpunkt.
Vielerorts haben in den letzten Jahren Naziaufmärsche stattgefunden, teilweise
mit mehreren tausend Teilnehmenden. Auch dort kam es zu mehr oder weniger
grossen Gegenmobilisierungen, manchmal positionierten sich ebensoviele Gruppen
wie hier in Göttingen gegen den Aufmarsch. Eine politische Bewegung trat in
jedem Fall an, um sich den Nazis entgegenzustellen, um die Aufmärsche der
selbsternannten Herrenmenschen anzugreifen und zu verhindern: Autonome Antifaschistinnen
und Antifaschisten. Und auch heute, wie schon am 6. November letzten Jahres
stellen sie den grössten Teil der Anwesenden. Autonome Antifas sind es, die
das ganze Jahr über faschistische Strukturen aufdecken und angreifen, und
die auch Naziaufmärschen keinen Milimeter Boden überlassen werden.
Kein Naziaufmarsch ohne Antifa-Gegenmobilisierung!
Doch zur direkten Konfrontation mit den Nazis kommt es bei den Aufmärschen
nur selten. Seit jeher ist eine weitere extreme rechte Gruppierung an diesen
Tagen auf der Straße. In der Regel gut ausgerüstet und mit grosser Anzahl
vor Ort, beansprucht sie für sich, Recht und Gesetz auf der Strasse durchzusetzen;
ich spreche von den Einheiten der Länderpolizeien und des Bundesgrenzschutzes
(BGS) – dem Polizeiapparat. Kaum ein Ereignis hat in den letzten Jahren für
so grosse Polizeieinsätze
gesorgt, wie die jeweiligen angekündigten Naziaufmärsche. In der Regel folgten
darauf zwei Szenarien: Entweder wurden Totalverbote über die jeweilige Stadt
verhängt, meist mit dem öffentlichen Verweis auf die antifaschistische Gegenmobilisierung
und einer dadurch entstehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und
Ordnung. Erlaubt wurden dann nur Demonstrationen, die von vorneherein nicht
auf eine Verhinderung der Naziaufmärsche abzielten. So auch die Bündnisdemonstration
am 6.11. in Göttingen, als die Antifademonstration ebenfalls von der Stadt
verboten wurde. Riesige Polizeiaufgebote setzten diese Verbotsverfügungen
durch. Im anderen Falle, wenn die Aufmärsche genehmigt wurden, sorgte ein
martialisches Polizeiaufgebot dafür, dass diese stattfinden konnten. AntifaschistInnen,
die dagegen mobilisierten, wurden eingekesselt, verprügelt, in Gewahrsam genommen
und in der öffentlichen Berichterstattung als Chaoten diffamiert. Dem Naziaufmarsch
hingegen wurde der Weg freigeprügelt. Beiden Varianten ist eines gemeinsam:
Die riesigen Polizeistaatsaufmärsche und die Diffamierung des antifaschistischen
Widerstandes. Beides sind Ausdrücke eines voranschreitenden rechten Vormarsches.
Die traurige Realität heißt heute:
Kein Naziaufmarsch ohne Polizeistaatsaufmarsch!
War es vor einigen Jahren noch ein Anliegen breiter gesellschaftlicher Kreise,
sich faschistischen Ideologien notfalls auch auf der Strasse in den Weg zu
stellen, gelingt es heute Staat und Medien ohne grossen Widerspruch, Antifaschistinnen
und Antifaschisten, die zur Verhinderung aufrufen, im Sinne der Totalitarismustheorie
mit faschistischen Gruppen gleichzustellen. Beide werden als Extreme bezeichnet,
die die Gesellschaft bzw. den Fortbestand der Demokratie gefährden würden.
Einer Demokratie,
deren Ziel nichts anderes ist als die Gewährleistung der kapitaIistischen
Konkurrenzverhältnisse. Indem linke Ideen als verbrecherisch abgestempelt
werden, soll die Vorstellung einer radikalen Systemalternative für immer aus
den Köpfen verschwinden. Der Aufschwung, den die faschistische Bewegung erfährt,
findet nicht isoliert von Staat und Gesellschaft statt. Linke Ideen und Prinzipien,
sofern sie überhaupt Geltung hatten, werden zurückgedrängt und weichen autoritären
Lösungsmustern und der kapitalistischen “jeder gegen jeden”-Ideologie. Diese
Rechtsentwicklung können sich die Faschisten zunutze machen, indem sie ohnehin
bestehende politische Forderungen ins Extreme kehren. Hieraus erklärt sich
auch das zeitweise rigorose Vorgehen staatlicher Behörden gegen die Nazibewegung.
Wer sich nur deutlich genug gegen rechts und links abgrenzt, kann sich selbst
in der Mitte verorten. Das bedeutet:
Kein Rechtsextremismus ohne rechten Vormarsch!
Der Grund für das staatliche Vorgehen gegen die autonome Antifabewegung hingegen
liegt auf der Hand: Revolutionäre Antifapolitik bleibt eben nicht bei isoliertem
Anti-Nazi-Protest stehen. Faschisten müssen bekämpft werden – mit allen Mitteln.
Aber ebenso bekämpfenswert ist ein Staat, der seine weltpolitischen Interessen
mittlerweile wieder durch aktive Kriegsführung durchsetzt; ein Staat, der
Folter, Hunger und Tod weltweit mitveranwortet und gleichzeitig durch seine
rassistische Flüchtlingspolitik
ein Grossteil der hier Zufluchtsuchenden in den Tod zurückschickt; ein Staat,
der durch zunehmenden Sozialabbau immer mehr Menschen verarmen lässt und gleichzeitig
seinen autoritären Polizeiapparat immer weiter ausbaut. Der Widerstand gegen
faschistische Gruppen geht also einher mit Widerstand gegen die kapitalistischen
Verhältnisse, die Faschismus erst hervorbringen, mit der Erkämpfung linker
Positionen auf allen Ebenen, mit der Aufrechterhaltung der Idee einer linksradikalen
Alternative zu den bestehenden Verhältnissen. Kein Widerstand gegen faschistischen
Terror ohne Widerstand gegen die kapitalistischen Verhältnisse! Wir können
uns also nicht auf die Schulter klopfen und beruhigt zurücklehnen. Auch hier
wurde durch Stadt Göttingen ein Totalverbot verhängt, auch hier wurden Nazis
und autonome Antifaschistinnen und Antifaschisten gleichgesetzt, auch hier
wurde versucht, antifaschistischen Widerstand zu entpolitisieren und als Randale
abzutun. Auch hier sollten Tausende von Polizisten für Ruhe in der Stadt sorgen.
Und auch hier wird ab morgen wieder der alltägliche, kapitalistische Normalzustand
einkehren. Wir fordern Euch also auf, es nicht bei dieser Aktion stehenzulassen.
Organisiert Euch in revolutionären Antifagruppen!
Leistet Widerstand!
Faschisten bekämpfen – zusammen. auf allen ebenen. mit allen mitteln.
Kampf dem Faschismus heisst Kampf dem kapitalistischen System!
Für den Sozialismus!

Autonome Antifa [M], Januar 2000
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