08.11.06, Redebeitrag:

Redebeitrag zur Kundgebung zum gedenken der Opfer deutscher Pogrome in Neunkirchen/Saar


Meine Damen und Herren, liebe Neunkircherinnen und Neunkircher.
Schon wieder eine Kundgebung und schon wieder hat sie den Nationalsozialismus als Thema. Doch es bleibt nach wie vor wichtig, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen. Denn die Folgen des deutschen Faschismus sind auch heute noch überall sicht- und spürbar. Der Anlass dieser Kundgebung hört sich wenig spektakulär an. Gedenken der Opfer deutscher Pogrome, für den ein oder anderen mag das etwas sehr andächtig klingen, aber es geht hier und heute nicht darum Mittleidsbekundungen auszutauschen und Schweigeminuten abzuhalten. Es geht viel mehr darum, sich zu fragen, welche Auswirkungen die Reichspogromnacht heute noch hat. Es gilt zu hinterfragen, auf welche Art mit Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft umgegangen wird. Es gilt rechte Tendenzen in unserer Gesellschaft beim Namen zu nennen und ihnen entgegenzuwirken!
68-mal schon haben sich die Pogrome vom November 1938 heute gejährt. Sie waren der vorzeitige Höhepunkt des Judenhasses im dritten Reich und markierten den öffentlichen Umbruch, hin zu offener Gewalt gegen Juden. Die jahrelange Hetze gegen Juden hatte nun endlich in breiten Bevölkerungsschichten Anklang gefunden und der am 7.11. erschossene deutsche Diplomat, gab dem aufgebrachten Mob den Anlass zu mehr.
Sich die Ereignisse dieser Tage vorzustellen, versetzt einen immer wieder in Schrecken. Die von Juden betriebenen Geschäfte, die schon zuvor gesetzlich als solche gekennzeichnet werden mussten, wurden demoliert und geplündert. Ihre Besitzer mussten ihr komplettes Eigentum der NSDAP vermachen und wurden anschließend in eines der Konzentrationslager deportiert, um dort auf ihren beinahe sicheren Tod zu warten. Für die, die nicht deportiert wurden, war das Leben nicht viel angenehmer. Sie waren jeden Tag mit den Bildern der abgebrannten Synagogen und Gebetshäuser konfrontiert. Sie waren dem Terror aus der gesamten Gesellschaft hilflos ausgesetzt. Alle diese Ereignisse sind keine Auflistung aller in diesen Tagen geschehenen Gräueltaten, sondern waren im gesamten damaligen Reich und auch hier in Neunkirchen, der Normalfall.
Dass Taten wie diese so völlig ungestört ablaufen konnten, zeigt, dass es auch von staatlicher Seite, insbesondere von Seiten der Polizei und der Feuerwehr, kein Einschreiten gab. Zwar war das Nichtstun befohlen worden, jedoch gab es Freiräume, wie den befohlenen Schutz nichtjüdischer Häuser, die auch ein zweckentfremdetes Eingreifen möglich gemacht hätten.
Doch nicht nur damals war der Polizei die Rolle des willigen Vollstreckers von politisch angeordnetem Unrecht, die Angenehmere. Die Verfolgung politisch unpassender Menschen ist kein Kapitel düsterer Vergangenheit, sondern auch Heute noch gängige Praxis. Während Kundgebungen und Demonstrationen der NPD und anderer militanter Neonazis überall in Deutschland ungehindert stattfinden dürfen, übernimmt die Polizei anscheinend gerne mal den Dienst der Ordner dieser Demonstrationen und entfernt, wie in Merzig am ersten Juli dieses Jahres, alle unerwünschten Personen aus der Stadt. Faschisten sollen also ungehindert ihr mörderisches Weltbild, hübsch verpackt in pseudosozialen Forderungen, in die Köpfe der Menschen einpflanzen. Widerstand gegen diese Verbrechen soll möglichst verfolgt, vertrieben, kriminalisiert und ins Abseits gestellt werden. Gleichzeitig wird Gewalt von Rechtsextremen entweder als unpolitisch verharmlost, die Opfer als Provokateure dargestellt oder die Vorfälle werden einfach geleugnet, um nur drei aktuelle Beispiele aus Neunkirchen zu nennen.
Die Folge dieses Verhaltens des Staates ist, dass rechte Tendenzen nur noch als Problem der Jugendkultur wahrgenommen werden. Selbst dort wo Rechtsextremismus ganz offen zu Tage tritt, wird dieser nicht als solcher benannt.
Charakteristisch hierfür ist das Verhalten bezüglich den Wahlerfolgen der NPD in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Nach einem kurzen Aufschrei, der wohl mehr das schlechte Gewissen nehmen sollte, nichts dagegen unternommen zu haben, hüllt man sich wieder in hübsches Schweigen und argumentiert höchstens noch hier und da, die Beschäftigung mit Rechtsextremismus würde diesen, nur noch hervorheben und bestärken. Auch hier hat das Verhalten von Staat und Medien anscheinend seine Früchte getragen, denn den Rechtsextremismus bestärken würde seine Thematisierung nur dann, wenn er ein Randproblem und für die Öffentlichkeit irrelevant wäre. Dass er dies nicht ist, zeigen ja gerade die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Das allseitige Schweigen hat letztendlich zu einer Stärkung der NPD und anderer Neonazis in ganz Deutschland geführt. Insgesamt zehn Abgeordnete der NPD sitzen in saarländischen Parlamenten und auch militante Neonazis können sich immer mehr auf die Ignoranz der deutschen Behörden verlassen, die jede noch so fadenscheinige Ausrede gelten lassen, damit Straftaten nicht als politisch motiviert aufgefasst und somit in den Verfassungsschutzbericht aufgenommen werden müssten. Aus Angst vor Imageverlusten bleibt eine öffentliche Thematisierung des Rechtsextremismus aus, was letztlich zu Ereignissen wie den Brandanschlägen auf Asylheime in Rostock 1992 führt. Doch wie so oft, wird sich auf staatlicher Seite damit begnügt, Vorfälle wie diese zu isolieren und als Einzelfälle darzustellen und damit einer Auseinandersetzung oder einer Ursachensuche aus dem Weg gegangen.
Rechtsextremismus in Deutschland bleibt weiterhin ein Thema für die öffentliche Debatte. Es darf nicht soweit kommen, dass erst wieder die mörderische Konsequenz rechten Denkens eine Öffentlichkeit für dieses Thema schafft, die letztlich nur auf Sensationslust beruht. Dem Treiben von Gesellschaft und Staat im Umgang mit Rechtsextremismus darf nicht länger bloß zugeschaut werden. Wenn Politik und Gesellschaft überfordert oder nicht Willens sind, rassistischen und antisemitischen Auswüchsen entgegenzuwirken, ist es die Pflicht eines jeden bewusst handelnden Menschen, sich in politische Prozesse einzubringen und sich selbst Zusammenhänge zu schaffen. Das Fundament auf das Neonazis aufbauen können, liegt mitten in unserer Gesellschaft. Dieses Fundament gilt es anzugreifen, denn Faschismus ist und bleibt keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Ein Verbrechen an der Menschheit, ein Verbrechen am Leben, ein Verbrechen an der Freiheit und ein Verbrechen an der gesamten Welt!
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