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Mon Feb 19 18:42:08 1996
 

An alle, die sich mit
dem Thema HBW/Sexismus
beschäftigen

Köln am 24/4/94

Denen, die das HBW-Statement zum Hamburger Sexismusvorwurf aufmerksam gelesen haben, wird aufgefallen sein, daß dort von "7 von 8 Mitgliedern von HBW" die Rede ist, die hinter diesem Papier stehen. Daher kommt hier jetzt mein "Minderheiten"-Statement, da ich mit vielen Inhalten im HBW-Papier grundsätzlich nicht übereinstimme.

Vorab möchte ich sagen, daß HBW nicht das straighte Projekt ist, für das es von vielen Leuten gehalten wird. Die "Inhalte" der Show sind nur ein Sammelsurium von verschiedenen Sichtweisen innerhalb der Gruppe. Themenbezogene konkrete Diskussionen sind daher leider sehr selten.

So kam auch über den Sexismusvorwurf keine inhaltliche Diskussion zustande. Es wurde nur über eine Reaktion und über Verhaltensweisen zum Vorwurf geredet, dessen Ergebnis eben jenes HBW-Statement und die kurzfristige Szenenänderung waren.

Ich sehe die ganze Sache eigentlich als eine Chance mal wieder über das nachzudenken, was wir als HBW für Reaktionen und Gedankengänge auslösen. Und dies nicht nur bei denen, die HBW zur Zeit kritisieren, sondern auch bei denen, die durch vielleicht mißverstandene Sketche sich bestätigt fühlen. Ich kann mich nicht auf die Aussage zurückziehen "Ich weis, was ich meine, was die Anderen drin sehen ist deren Problem", wenn sich übelste sexistische Arschlöcher im Publikum auch noch bestätigt anstatt angegriffen fühlen. Und das war in der Flora in Hamburg nun mal heftigst der Fall. Es herrschte eine "Gröhl- und Saufstimmung", die in letzter Zeit bei HBW und, wie mir Flora-Leute sagten, auch dort immer öfter vorkommt.

Mittlerweile weiß ich, daß wenn wir nur unser Programm runternudeln und auf so ne Scheiße nicht mehr reagieren, vielen Leuten "klar" wird, daß wir das auch so meinen, wie irgendwelche Idioten es verstehen.

Das Leute in der Flora auf die Bühne kamen um ihre Meinung zum Programm zu sagen, hat mich an sich nicht überrascht. Was mich überrascht hat, ist die Tatsache, daß das erst nach ca. 100 Auftritten passierte, denn ich hatte schon von Anfang an mit Zweien der kritisierten Nummern ("Telefonsex" und "Lindenstraße") gewisse Probleme. Mir war einfach nicht klar, ob jene Nummern nicht die Grenze des Verstehbaren und der Ironie überschreiten (Damit will ich mir jetzt keine weiße Weste andichten, denn das der Sketch "Orgasmusschwierigkeiten" Probleme bereiten könnte, darauf wäre ich nicht gekommen). Da ich in der Produktionsphase mehr oder weniger allein mit meiner Position in der Gruppe war, habe ich erst einmal auf die Reaktion des Publikums gewartet. Und da kam keine heftige Reaktion, wie ich das erwartete. Irgendwann habe ich mir eingeredet, daß ich das alles doch zu problematisch sehe. Das ist auch etwas, was ich mir selber ankreide: das ich meine Einschätzung der beiden Stücke nicht heftig genug vertreten habe, und statt dessen auf das Publikum gesetzt habe.

Die Ganze Sache stellt eigentlich auch in Frage, in wie weit ich meine Ideen zu HBW und die Realität in Einklang kriege. Ich sehe eigentlich HBW als Möglichkeit Faxen und linksradikale Inhalte zu verbinden. Zum einen will ich gerne meine politischen Ideen auf die Bühne bringen, zu anderen mache ich auch gerne einfach nur Quatsch. Es tut halt auch gut die Leute zum lachen zu bringen. Außerdem kommen auch immer mehr Kids zu unseren Konzerten; und das sehe ich als einmalige Chance, eben die korrekt zu politisieren. Aber defacto sieht das momentan eher so aus, daß sie bei uns zu gröhlenden Dumpfbacken werde. So traurig das auch klingt. Die Hoffnung, das daran in HBW etwas geändert wird, habe ich eigentlich mittlerweile aufgegeben. So steht auch für mich fest, das aus diesem und auch vielen anderen Gründen nach der LIVE-Tour, die im September zu ende sein wird, meine Lebensinhalte außerhalb von HBW liegen werden.

Zum Schluß muß ich noch sagen, daß das, was ich jetzt hier in meinem Brief geschrieben habe, nur ein kleiner Teil dessen ist, was mir zu dem Thema im Kopf rumschwirrt, sprich der Brief ist zu kompakt und zu kurz. Aber alles in einem Brief zu packen geht wohl auch nicht, dafür ist das Thema zu komplex. Daher ist es mir auch verdammt wichtig hier jetzt nicht Schluß zu machen, sondern weiterhin mit interessierten Leuten zu reden. Da ich jetzt mit HBW auf Tour bin, geht das wohl nur vor oder nach den Auftritten.

Bis denne

Wolli von HBW