nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Fri Sep  4 00:23:29 1998
 

Die Welt online vom 14. Juli 1998 - Deutschland

Erhöhter Druck auf Lübecker Ermittler
Neues Geständnis zum Brandanschlag auf Asylbewerberheim - Bundesgerichtshof verhandelt über Revision im Fall Eid

Von DIETHART GOOS
Lübeck - Das neue Geständnis des 20jährigen Maik Wotenow zum Brandanschlag im Asylbewerberheim an der Lübecker Hafenstraße stellt die Staatsanwaltschaft der Hansestadt vor eine ihrer größten Bewährungsproben.

Denn neben den jahrelangen Ermittlungen über die Todesursache des früheren Ministerpräsidenten Uwe Barschel, die ohne eindeutiges Ergebnis eingestellt wurden, stellen sich im Verfahren Hafenstraße immer mehr bisher nicht eindeutig beantwortete Fragen.

Da ist zum einen der Prozeß gegen den 21jährigen Hausbewohner Safwan Eid. Er war von Zeugen bezichtigt worden, in der Nacht zum 18. Januar 1996 das Feuer in der von 50 Asylsuchenden aus Afrika und dem Nahen Osten bewohnten Unterkunft gelegt zu haben. Zehn Bewohner starben, die meisten der 40 Überlebenden wurden teilweise schwer verletzt.

Im Verlauf der langwierigen Hauptverhandlung mit mehr als 100 Zeugen und Sachverständigen von September 1996 bis Juni 1997 konnte dem 21jährigen weder vorsätzliche noch fahrlässige Brandstiftung nachgewiesen werden.

Gegen den Freispruch von Safwan Eid legte die Familie des Libanesen Walid El-Omeri Revision beim Bundesgerichtshof ein. Sechs Familienangehörige traten im Prozeß als Nebenkläger auf, denn sie lebten ebenfalls im Heim Hafenstraße und hatten beim Brand Sohn und Bruder verloren.

Am 14. Juli wird der Bundesgerichtshof in Karlsruhe über die Revision verhandeln.

Zum anderen sorgen vier junge Männer aus dem mecklenburgischen Grevesmühlen immer wieder für Schlagzeilen. Die Verteidigerinnen von Safwan Eid, Gabriele Heinicke und Barbara Klawitter, sind bis heute der festen Überzeugung, daß Rene B., Heiko P., Dirk T. und Maik W. statt ihres Mandanten auf die Anklagebank gehört hätten.

Denn gegen das westmecklenburgische Quartett gibt es aus ihrer Sicht reichlich Verdachtsmomente. Dazu zählen unter anderem Erkenntnisse über die Zugehörigkeit zum rechten Spektrum, ausländerfeindliche Äußerungen, ihre Anwesenheit am Lübecker Tatort und das keinesfalls hieb- und stichfeste Alibi für die Zeit des Brandausbruchs.

Ein Punkt hat für die Verteidigerinnen von Eid sowie etlichen Prozeßbeobachtern im Gegensatz zur Einschätzung der Lübecker Staatsanwaltschaft besonderes Gewicht: Maik W. hat sich und seine drei Kumpane schon im Februar und jetzt erneut der Brandstiftung bezichtigt.

Allerdings stellt dieser seine Glaubwürdigkeit immer wieder selbst in Frage. Denn kurz nach dem ersten Geständnis widerrief der im Neustrelitzer Jugendgefängnis wegen anderer Straftaten einsitzende junge Mann seine Aussage.

Aber sein erneutes Schuldeingeständnis im "Spiegel" heizt die Debatte um Schuld und Unschuld wieder kräftig an.

Die Staatsanwaltschaft hat keinen leichten Stand, denn sie muß nun auch Farbe bekennen. Nach seinem ersten Geständnis und dem Widerruf wurde W. mehrfach von den Lübecker Ermittlern verhört.

Seine erneute, äußerst gründliche Vernehmung sowie die seiner drei Freunde ist jetzt unumgänglich, um Widersprüche und Unklarheiten endgültig auszuräumen.

Die zentralen Fragen lauten: Wo waren die vier bei Ausbruch des Brandes? Kannten sie Hausbewohner der Hafenstraße aus Drogen- und Kfz-Geschäften? Woher stammen ihre versenkten Augenbrauen und Kopfhaare? Was ist mit dem angeblichen Unbekannten, der sie aus politischen Motiven mit 20 000 Mark für den Brandanschlag bezahlt haben soll?

Im Kieler Justizministerium gibt es keinen Zweifel: Mit äußerster Akribie muß sich Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Schulz trotz aller Zweifel an W.s Darstellungen um Aufklärung bemühen. Sonst bleibt der Brandanschlag Hafenstraße wie der Tod von Uwe Barschel ein Dauerthema.

© DIE WELT, 14.7.1998

[Lübeck - Hauptseite | Presse | Was gibt's Neues | Inhalt | Feedback ]