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01.07.97 - Seite 1

DIE WELT


Lübecker Brandprozeß endet mit Freispruch
Angeklagter Safwan Eid erhält Haftentschädigung

Von DIETHART GOOS
Lübeck - Die Große Jugendstrafkammer des Lübecker Landgerichts hat den Libanesen Safwan Eid gestern von der Anklage schwerer Brandstiftung freigesprochen. Ihm wurde außerdem eine Entschädigung für die Zeit der Untersuchungshaft aus der Staatskasse zugesprochen. Nach 59 Verhandlungstagen folgte das Gericht mit dem Urteil den Plädoyers von Verteidigung und Staatsanwaltschaft. Beide Seiten hatten Freispruch beantragt.

Damit bleibt das verheerende Feuer vom 18. Januar 1996 im Asylantenheim an der Hafenstraße, bei dem zehn Bewohner umkamen und 38 zum Teil schwer verletzt worden waren, vorerst ungeklärt. Die Staatsanwaltschaft will prüfen, ob sie Revision beim Bundesgerichtshof einlegt.

Nach dem Urteilsspruch kam es im Gerichtssaal zu Tumulten. Auf der Empore des Gerichtssaals beklatschte die Familie Eid gemeinsam mit vielen Zuschauern den Urteilsspruch. Die Familie El-Omari, die bei dem Brand ein Kind verloren hatte, reagierte dagegen mit Protest. Einige Familienangehörige sprangen auf und stießen Drohungen in Richtung der Anklagebank aus.

Nachdem sich die Unruhe etwas gelegt hatte, begründete Richter Rolf Wilcken das Urteil mit dem juristischen Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten". Wilcken sagte dazu: "Ein solches Ergebnis mag unbefriedigend sein, aber es ist nicht ungewöhnlich."

Der Gerichtsvorsitzende sparte in der mündlichen Urteilsbegründung nicht mit Kritik. Bei den polizeilichen Ermittlungen vermißte Wilcken die erforderliche Gründlichkeit. Es gebe Beweislücken. Der Staatsanwaltschaft hielt er vor, es sei ungewöhnlich, sich bereits vor dem Urteilsspruch öffentlich zur möglichen Revision zu äußern. Der Verteidigung hielt er vor, sie habe einen Teil der Medien für ihre Belange eingespannt. Die beabsichtigte Politisierung des Verfahrens sei fehl am Platze gewesen.

Staatsanwalt Michael Böckenhauer nannte das Urteil einen "Freispruch zweiter Klasse". Es spreche seitens der Anklage "nicht wenig" dafür, Revision einzulegen. Verteidigerin Gabriele Heinecke zeigte sich erleichtert. "Wir haben erreicht, was wir wollten."

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Copyright: DIE WELT, 1.7.1997


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