nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Fri Sep  4 00:23:11 1998
 

DIE WELT


Freispruch zeichnet sich ab
Lübecker Richter hält Beweise gegen Safwan Eid nicht für ausreichend

Von DIETHART GOOS
Lübeck - Am 53. Verhandlungstag im Strafprozeß um die Brandkatastrophe im Asylbewerberheim Hafenstraße ist gestern deutlich geworden, was sich schon seit Wochen anbahnte: Der Vorsitzende Richter Rolf Wilcken und die weiteren Mitglieder der Großen Strafkammer rechnen offenbar nicht mit einer Verurteilung des angeklagten Libanesen Safwan Eid.

Offen bleibt, wann der seit dem 16. September 1996 laufende Prozeß abgeschlossen wird. Der wegen seiner souveränen Verhandlungsführung sowohl von Verteidigung wie Staatsanwaltschaft geschätzte Richter Wilcken sah sich gestern veranlaßt, ein vorläufiges Resümee des Gerichtsverfahrens zu ziehen. Danach reichen der Kammer die bisher vorgelegten Beweise nicht aus, um den jungen Libanesen der Täterschaft zu überführen. Eine hinreichende Belastung des Angeklagten sehe er nicht als gegeben an, sagte Wilcken.

Safwan Eid lebte mit Eltern und sieben Geschwistern in dem Heim der Lübecker Diakonie für Asylsuchende, das in der Nacht zum 18. Januar 1996 durch ein verheerendes Feuer ausbrannte. In den Flammen starben damals zehn Heimbewohner, mehr als 40 erlitten teilweise schwere Verletzungen. Durch die Aussage eines Sanitäters wurde Safwan Eid dringend verdächtigt, den Brand aus Rachegelüsten gegenüber anderen Bewohnern gelegt zu haben. Der junge Libanese bestritt diesen schweren Vorwurf, kam aber trotzdem in sechswöchige Untersuchungshaft. Unter der Anklage schwerer gefährlicher Brandstiftung wurde ihm der Prozeß gemacht.

Im Verlauf der bisherigen Beweisaufnahme gelang es der Staatsanwaltschaft nicht, ihre Anklage mit eindeutigen Fakten und Zeugenaussagen zu belegen. Wie Richter Wilcken gestern bilanzierte, habe sich bei den weit mehr als 100 Zeugenvernehmungen gezeigt, daß es im Heim unter den verschiedenen Nationalitäten aus Schwarzafrika und Nahost Streit gegeben habe. Ob dies allerdings Motiv für eine Brandstiftung sei, erscheine "sehr, sehr fragwürdig". Keine Zweifel hat das Gericht nach den Worten seines Vorsitzenden, daß der Brand in der ersten Etage des dreigeschossigen Altbaus ausbrach, obwohl Brandbeschleuniger dort nicht festgestellt wurden. Darin seien sich alle ernstzunehmenden Sachverständigen einig, sagte Wilcken mit einem Seitenhieb auf Ernst Achilles, den Gutachter der Verteidigung. Nach dessen Überzeugung war das Feuer im hölzernen Vorbau des Eingangsbereichs ausgebrochen und könnte durch Brandstiftung von außen verursacht worden sein.

Aus Sicht der Verteidigung, die sich immer wieder wirkungsvoll für ihren Mandanten in Szene setzte, kommen vier Jugendliche aus der mecklenburgischen Kleinstadt Grevesmühlen als Verdächtige für einen Anschlag in Frage. Eine Täterschaft war ihnen im Zuge der Ermittlungen aber nicht nachzuweisen. Völlig unklar ist für das Gericht der Tod eines Heimbewohners, dessen verkohlte Leiche in dem Vorbau gefunden worden war. Möglicherweise stand er mit der Brandstiftung in Verbindung.

Copyright: DIE WELT, 24.4.1997