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Die Angst des jungen Libanesen vor Gericht

Der Prozeß gegen Safwan Eid hat begonnen

Von DIETHART GOOS
Acht Monate nach der verheerenden Brandkatastrophe in der Lübecker Flüchtlingsunterkunft, bei der zehn Menschen umkamen und 38 verletzt wurden, hat der Prozeß gegen den Libanesen Safwan Eid begonnen. Der Staatsanwalt ist überzeugt, daß der 20jährige nach einem Streit mit Hausbewohnern das Feuer gelegt hat. Für die Demonstranten vor dem Gericht steht fest: Die Anklage trifft den Falschen.

Lübeck - Das Gerichtshaus an der Travemünder Allee gleicht einer Festung. Zwei Hundertschaften Bereitschaftspolizisten im olivgrünen nahtlosen Overall mit schwarzen Baseballmützen sichern das weitläufig abgesperrte Gelände. An den wenigen Schleusen mit Zugang zu Justitia wird überaus strikte Personen- und Aussweiskontrolle praktiziert. Wer keine Besucherkarte oder Journalisten-Akkreditierung vorweisen kann, hat keine Chance, in den Bannkreis des Landgerichts vorzudringen. Warum der strikte Sicherheitskordon angeordnet wurde, zeigen rund 100 jugendliche Demonstranten an den Absperrgittern mit ihren Transparenten. Vor einer großen Jugendstrafkammer des Landgerichts beginnt nahezu acht Monate nach dem verheerenden Feuer im Asylantenheim Hafenstraße der Prozeß gegen den mutmaßlichen Brandstifter Safwan Eid aus dem Libanon.

Die auf Distanz zum Gerichtsgeschehen gehaltenen Protestler sind sicher, das mit dem 20jährigen der Falsche auf der Anklagebank sitzt. Sie verkünden wütendend mit ihren Spruchbändern: "Schluß mit den rassistischen Ermittlungen! Freiheit für Safwan Eid! Abzug von Möckenhauer und Schulz aus dem Verfahren!" Und auch dieser Vorwurf wird erhoben: "Die Brandstifter laufen frei herum.!"

Mit 20 Minuten Verspätung öffnet sich die Tür, es erscheint der Kammervorsitzende Rolf Wilcken mit zwei richterlichen Beisitzern, und zwei Schöffen. Im Gefolge drei Ersatzschöffen. Dazu die Staatsanwälte Michael Möckenhauer und Axel Biehler, zahlreiche Sachverständige, die beiden afrikanischen Nebenkläger Makudila und Bunga, die in der Brandnacht ihre Frauen und Kinder verloren.

Über den Besucherzugang hält die Verteidigung mit dem Angeklagten Sawfan Eid, der im Juli aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, und stattlichem Gefolge Einzug: Die Hamburger Anwältin Gabriele Heinecke, ihre Kollegin Barbara Klawitter aus Hannover, der Lübecker Pflichtverteidiger Hans-Jürgen Wolter und eine Vertrauensdolmetscherin.

Safwan Eid im beigen Sakko, schwarzer Hose und offenen Hemd wirkt gelassen, begutachtet die Szenerie. Ein schwarzer Oberlippenbart gibt dem rundlich-jugendlichen Gesicht Ausdruck. Bei diesem Andrang geht es auf der Anklagebank nicht ohne einiges Stuhlerücken, bis alle Platz gefunden haben.

Kaum hat Richter Wilcken die Verhandlung eröffnet, bittet Anwalt Wolter um das Wort und beantragt, ihn von der Pflichtverteidigung zu entbinden. Bei den beiden couragierten Juristinnen, die das Verfahren Safwan Eid seit Wochen souverän managen und dabei die Staatsanwaltschaft schon tüchtig in Bedrängnis brachten, sieht er für sich keine Gestaltungsmöglichkeit mehr. Immerhin hat Hans-Jürgen Wolter die libanesische Großfamilie Eid in den sechs Jahren seit der Ankunft in Lübeck betreut. Noch bevor die Verhandlung richtig begonnen hat, landet Verteidigerin Heinecke ihren ersten Coup. Unter den Zuschauern habe sie zwei Kriminalbeamte als "organisierte Prozeßbeobachter" ausgemacht, die möglicherweise noch als Zeugen gebraucht würden und die möglicherweise die Aussagen der geladenen Polizisten beeinflussen könnten. Daher seien sie zu entfernen. Nach kurzer Beratungspause lehnt die Kammer den Antrag ab, die Kripobeamten dürfen bleiben.

Mit dem Verlesen der Anklageschrift nimmt sich Staatsanwalt Möckenhauer nicht viel Zeit. Er bezichtigt den Libanesen, als Bewohner des Asylantenheims in der Nacht zum 18. Januar dieses Jahres in der ersten Etage des mehrstöckigen Gebäudes Feuer gelegt zu haben, um sich an Mitbewohnern zu rächen. In den Flammen starben zehn Bewohner, 38 der insgesamt 50 Ausländer wurden teilweise schwer verletzt. Der Strafvorwurf lautet auf besonders schwere Brandstiftung und Körperverletzung. Ihren ursprünglichen Mordvorwurf hatte die Staatsanwaltschaft vor einigen Wochen zurückgezogen.

Umgehend erwidert Verteidigerin Heinecke auf den Vorhalt der Staatsanwaltschaft, ihr Mandant weise den Anklagevorwurf zurück, weil er unschuldig sei. An diesem ersten Verhandlungstag wolle sich Safwan Eid nicht zur Sache äußern, weil er zu aufgeregt sei. Die Erregung des jungen Libanesen legt sich auch nicht während einer knapp einstündigen Verhandlungspause. Gabriele Heninecke versichert dem Gericht: "Eid sieht sich nicht in der Lage, die Fragen zur Person zu beantworten. Er ist durch den Presserummel zu sehr mitgenommen." Das Gericht akzeptiert und ruft den Vater des Angeklagten in den Zeugenstand.

Bei der Befragung von Marwan Eid, geboren am 31. Juli 1951 im Libanon, Vater von acht Söhnen und einer Tochter, kommt es zu den erwarteten Sprachproblemen. Er spricht nur arabisch, ein vom Gericht beauftragter Dolmetscher übersetzt in beide Richtungen, erntet dabei immer wieder Kopfschütteln der Vertrauensdolmetscherin, die auch mehrfach korrigierend eingreift.

Aufgewachsen seien seine Kinder erst in Tripoli nördlich Beiruts, berichtet der Vater. Als dort der Bürgerkrieg immer heftiger wurde - "Unser Haus wurde von Granaten getroffen" - flüchtete die Familie in die Berge und kam schließlich am 14. März 1990 nach Deutschland, beantragte in Lübeck Asyl für die ganze Familie. Ob er Sohn Safwan bei den deutschen Behörden älter als sein tatsächliches Alter gemacht habe, will Richter Wilcken wissen. Der Vater verweigert die Antwort.

Keine Auskunft gibt Marwan Eid auch auf die Frage von Staatsanwalt Biehler, ob die Familie "normal" oder mit Hilfe von Schleusern in die Bundesrepublik kam. Als Biehler fragt, ob Vater Eid sich über die Voraussetzungen zur Gewährung von Sozialhilfe an die Kinder bei den Behörden erkundigt habe, wird auf ein laufendes Ermittlungsverfahren wegen Betrugsverdachts gegen ihn verwiesen. Wieder kommt keine Antwort.

Äußerte sich Vater Eid auf die anfänglichen Fragen zögernd und stockend, sprudelt es bei Fragen nach der Brandnacht regelrecht aus ihm heraus. Im Halbschlaf sei er gegen 3.30 Uhr von Türgeräuschen im Erdgeschoß aufgewacht. Er habe im Treppenflur Flammen gesehen und sofort die Familie geweckt. Während ihm Sohn Safwan fast uninteressiert zuhört, schildert sein Vater die dramatische Rettungsaktion der Feuerwehr, deren eine Drehleiter umstürzte, bevor die libanesische Familie aus dem lichterloh brennenden Obergeschoß mit nur leichten Verletzungen gerettet werden konnte.

Copyright: DIE WELT, 17.9.1996


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