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Fri Sep  4 00:26:27 1998
 

Stellungnahme der Projektgruppe Antinazismus

Sofortige Einstellung des Verfahrens gegen Safwan Eid!
Schluß mit dem Abschiebeterror!
Die Nazi-Mörder müssen bestraft werden!

Warum diese Dokumentation?

Wir arbeiten als aktive GewerkschafterInnen in der Projektgruppe Antinazismus der IG Medien, weil nach unserem Selbstverständnis gewerkschaftliches, internationalistisches und antinazistisches Engagement eng miteinander verbunden sind.

Denn für uns kann der Ausgangspunkt jeder gewerkschaftlichen Aktivität nur die internationale Interessenseinheit der Ausgebeuteten sein, und nicht irgendwelche angeblich "gemeinsamen Interessen" mit den Unternehmern des 'eigenen' Landes oder der 'eigenen' Nation. Unser Selbstverständnis schließt also den Kampf gegen alle Formen von Rassismus, deutschen Nationalismus und Nazismus notwendig mit ein.

Die Projektgruppe hat es sich zur Aufgabe gemacht, in das immer bedrohlichere gesellschaftliche Klima in Deutschland einzugreifen, mit dem langfristigen Ziel, es zu verändern. Wir wollen uns dem alltäglichen Nationalismus und Rassismus und ihrer mörderischen Konsequenz entschieden entgegenstellen.

Über diese allgemeine Aufgabe hinaus begreifen wir als GewerkschafterInnen aus dem Organsationsbereich der Industriegewerkschaft Medien es dabei als einen wichtigen Teil unserer Arbeit, auch die Rolle der Medien im Prozeß des gesellschaftlichen 'Rechtsrucks' kritisch zu beleuchten.

Deshalb war es für uns als antinazistische GewerkschafterInnen eine zentrale Aufgabe, uns gerade auch in den ”Fall Lübeck” einzumischen.

Nach ausführlichen Diskussionen in unseren eigenen Reihen haben wir uns zunächst zu Wort gemeldet mit einer ersten Stellungnahme im Februar. In der darauffolgenden Zeit nahmen wir an verschieden Demonstrationen und Kundgebungen für die Freiheit von Safwan Eid (in Lübeck, Karlsruhe und Trier) teil. Darüber hinaus haben wir uns bemüht, auch weitergehend Öffentlichkeit zu schaffen gegen die von staatlichen Behörden mit Unterstützung der Massenmedien betriebenen Politik, von den möglichen Nazi-Tätern abzulenken und die Opfer zu Tätern zu machen.

Auch vor dem Hintergrund, daß die Publikationen des DGB und der Einzelgewerkschaften - im Gegensatz zur antirassistisch-internationalistischen Gewerkschaftsidee - das Thema nicht behandelt haben, haben wir uns entschieden, mit einer Dokumentation erneut an die Öffentlichkeit zu treten. Diese liegt hiermit vor.

Wir wollen durch die Zusammenstellung von Fakten und Presseberichten, von Dokumenten und Stellungnahmen der antifaschistischen Gegenöffentlichkeit und vor allem auch der Opfer des Brandanschlags die Arbeit der tatsächlich an einer Aufklärung des Falles interessierten Kräfte inner- und außerhalb Deutschlands und auch der Internationalen unabhängigen Untersuchungskommission unterstützen.

Und wir wollen damit auch zu Diskussionen inner- und außerhalb der Gewerkschaften anregen. Zum Beispiel zu Diskussionen über das Verhalten und Nichtverhalten der Gewerkschaften gegenüber dem mörderisch-rassistischen Klima in diesem Land.

Und zu Diskussionen über die von allen demokratischen und antinazistischen Kräften zu ziehenden Konsequenzen aus der Tatsache, daß es den politisch Verantwortlichen, den staatlichen Stellen und den Medien in Deutschland möglich ist, wie im "Fall Lübeck" vorzugehen. Daß es wieder möglich ist, zugunsten des "Ansehen Deutschlands" von nazistischen Tätern abzulenken und einen unbedingten Verurteilungswillen gegen einen Unschuldigen zu kombinieren mit einer Haltung gegenüber der internationalen Öffentlichkeit, die jede kritische Stimme im Stil der Verleumdung als "Feindpropaganda" abtut.

Wie Opfer zu Tätern gemacht werden...

Unserer Meinung nach ist der Brandanschlag in der Lübecker Hafenstraße am 18. Januar 1996, bei dem 10 Flüchtlinge ermordet und 38 teils schwer verletzt wurden, nicht nur der bisher mörderischste nazistische Brandanschlag seit 1945, sondern darüber hinaus auch einer der größten Skandale der deutschen Justiz nach 1945.

Denn durch die genaue Beobachtung der folgenden Ereignisse, der Arbeit der Ermittlungsbehörden und der Verlautbarungen der offiziellen Stellen, drängt sich uns unweigerlich der Schluß auf, daß hier mit Methode die Wahrheit verdreht und Fakten vertuscht werden.

Wir gewinnen den Eindruck, daß es für die ermittelnden Behörden um alles andere als um die Wahrheitsfindung geht, wir erkennen, daß hier ein unbedingter Verurteilungswille gegen Safwan Eid existiert, daß es im "Fall Lübeck" in erster Linie darum geht, von den wirklichen Nazi-Tätern abzulenken, indem die Opfer zu Tätern erklärt werden.

Ein paar "Streiflichter" auf die Vorgänge genügen, um deutlich zu machen, wie schreiend die Widersprüche und Ungereimtheiten in der offiziellen Darstellung sind:

Die drei bzw. vier deutschen Rassisten aus Grevesmühlen, die in der Brandnacht in unmittelbarer Nähe des Hauses von einer Polizeistreife kontrolliert wurden, werden zunächst laufen gelassen, obwohl einer offensichtlich das übliche Nazi-Skin-Outfit zur Schau trägt und per Haftbefehl gesucht wird.

Einen Tag später erst werden sie von der Polizei verhaftet, doch schon nach wenigen Stunden wieder freigelassen. Obwohl einer von ihnen bereits wegen der Schändung eines jüdischen Friedhofs mit Hakenkreuzschmierereien für zwei Monate im Gefängnis saß, keinen Hehl aus seiner Nazi-Gesinnung macht und sich z.B. gerne als ”Klein-Adolf” bezeichnen läßt. Obwohl er am Vortag bei der Kontrolle direkt beim Tatort falsche Personalien angegeben hatte.

Alle vier haben Brandspuren an den Haaren, die nachgewiesenermaßen aus der Tatnacht stammen. Zunächst werden diese Versengungen mit einem "abgefackelten Auto" erklärt. Dieses Auto existiert nicht. In der Folge geben sich die Ermittlungsbehörden mit den absurdesten Geschichten ("Hund angesteckt", "mit dem Feuerzeug nachgesehen, ob noch Sprit im Tank ist") zufrieden.

Einer der Rassisten besitzt einen Rucksack wie den, den ein Zeuge unmittelbar vor Ausbruch des Brandes bei einer Person direkt am Tatort gesehen hatte, und auch die Personenbeschreibung paßt. Der Inhalt des Rucksacks interessiert die Ermittlungsbehörden nicht.

Als angeblich "hieb- und stichfestes Alibi" lassen Polizei und Staatsanwaltschaft gelten, daß sie sich 20 Minuten vor der Brandlegung an einer Tankstelle aufhielten, die angeblich "zu weit entfernt vom Tatort" gelegen habe. Konkret betrug die Entfernung zum Haus in der Hafenstraße 5-6 km, die drei waren im Auto unterwegs.

Einer von ihnen hatte zuvor einem Freund angekündigt, daß er "in Lübeck was anstecken" wolle, in seinem Zimmer hing die "Reichskriegsflagge".

Kontakte von Grevesmühlenern Nazis zur verbotenen "Nationalistischen Front" sind belegt, doch angeblich gebe es dort "keine rechtsextreme Szene".

Obwohl also alles, auch früher verübte rassistische Anschläge auf das Haus in der Hafenstraße (z.B. im Dezember 95), auf einen nazistischen Brandanschlag hindeutet, obwohl es also überdeutliche Spuren zur Grevesmühlener Nazi-Szene gibt, gelten diese Fakten der Polizei bereits drei Tage nach dem Verbrechen als ”völlig abgearbeitet” und "von einem Brandanschlag wird nicht mehr geredet".

Am 21. Januar schließlich wird Safwan Eid, ein Flüchtling aus dem Libanon, verhaftet. Er selbst war mit seiner Familie Bewohner des Hauses in der Hafenstraße und damit Opfer des Brandanschlages.

Der Sanitäter Jens L. meldet sich mit widersprüchlichen Behauptungen bei der Polizei und wird zum Hauptbelastungszeugen gegen Safwan Eid. Er meldet sich unmittelbar nach der Aussetzung einer Belohnung von 50.000 DM für "sachdienliche Hinweise".

Jens L. belastet Safwan Eid mit seinen Behauptungen über ein angebliches "Geständnis", die im Widerspruch stehen zu den Aussagen zweier Zeugen, die schon vor dem Sanitäter mit Safwan über den Brandanschlag gesprochen hatten.

Seine zweifelhafte Aussage wiegt für die Ermittlungsbehörden und für die Medien in der Folgezeit mehr als die Aussage von Safwan und allen Flüchtlingen aus der Hafenstraße zusammen.

Entgegen allen Aussagen der HausbewohnerInnen wird als "mögliches Motiv" zunächst ein ”Eifersuchtsdrama" erfunden, dann von Seiten der Ermittlungsbehörden von einem Streit im Haus geredet. Wie die übereinstimmenden Aussagen der überlebenden Opfer aus der Hafenstraße belegen, gab es diesen Streit nicht.

Im Juli zeichnet sich ab, daß Jens L. Kontakt zu zumindest einem der Grevesmühlener Nazis hat. Der Name Jens L. findet sich in dessen Aufzeichnungen ebenso wie der von einem Freund - Matthias H., der auch als ”Retter” in der Brandnacht am Tatort war und allem Anschein nach selbst rechtsextrem ist. Ende der 80er Jahre wurden in seinem Spind detaillierte Protokolle zum Aufbau einer "Wehrsportgruppe" in Lübeck gefunden.

Die offiziellen Stellen produzieren über die Medien zwar fleißig Dementis, sind jedoch nicht in der Lage, die entsprechenden Indizien und Hinweise überzeugend zu widerlegen. (Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Dokumentation sieht alles danach aus, als ob auch an diesem Punkt die Wahrheit mit allen Mitteln übertüncht wird.)

Dem LKA gilt schon nach kurzer Zeit als "bewiesen", daß ein "Anschlag von außen auszuschließen" ist und das Feuer im ersten Stock ausgebrochen sei, auf keinen Fall im Erdgeschoß.

Nach der unabhängigen Untersuchung des Brandexperten Dr. Achilles aus Frankfurt a.M. jedoch ist genau das - eine Brandlegung z.B. im hölzernen Vorbau der Haustür im Erdgeschoß - "sehr wahrscheinlich".

Nach dem Brandgutachten des LKA wäre das Feuer mit einem Brandbeschleuniger - Benzin - an einer Tür gelegt worden, die es nicht gibt. Ebensowenig finden sich Spuren eines Brandbeschleunigers an der Kleidung oder am Körper von Safwan Eid, laut LKA-Brandgutachten jedoch müßte das der Fall sein.

Das Benzin müßte nach dem LKA-Gutachten bergauf geflossen sein - konkret eine Steigung von 13 cm.

Dort, wo es nach LKA-Gutachten am stärksten gebrannt haben müßte, hing bei der Besichtigung durch Dr. Achilles eine noch unversehrte Rolle Klopapier.

Dazu kommt, daß vor diesem Hintergrund plötzlich Beweisstücke, eine Spanplatte mit angeblichen Einbrennungen, und eine Zarge der angeblich "verriegelten" Haustür "verschwunden" sind.

Und daß z.B. nach Skizzen des Hauses, die von der Polizei angefertigt wurden, eines der leicht von außen zu öffnenden Fenster im Erdgeschoß, die klarmachen, daß ein Anschlag sehr leicht möglich war, überhaupt nicht vorkommt.

Auch die mittlerweile bewiesenen Tatsachen, daß Sylvio Amoussou, dessen Leiche man mit einem Draht am Körper im Eingangsbereich, im hölzernen Vorbau des Hauses fand, nach medizinischen Gutachten nicht an den Folgen des Brandes gestorben ist, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach schon vorher getötet wurde, offenbar durch eine Explosion, ist den Ermittlungsbehörden keine weitere Untersuchung wert.

Die folgenden Ereignisse wirken auf uns wie eine unverschämte Demonstration des unbedingten Verurteilungswillens der staatlichen Stellen gegen Safwan Eid:

Die Gespräche von Safwan Eid in der Untersuchungshaft werden abgehört und auf Grundlage der Übersetzungen eines offensichtlich inkompetenten Dolmetschers dazu benutzt, einen "erhärteten Verdacht" zu konstruieren.

Der Zeuge Victor Attey, selbst ein Opfer des Brandanschlages, wird nach Nigeria abgeschoben. Ein Akt extremer Unmoral.

Und wieder machen sich die Massenmedien in ihrer übergroßen Mehrzahl zu Mittätern, indem sie nicht selbst recherchieren, nicht nachhaken, sondern sich darauf beschränken, die Statements aus den Institutionen und Behörden weitgehend unhinterfragt wiederzugeben. Schon zuvor, nachdem erste Widersprüche und Ungereimtheiten in den Ermittlungen allzu offensichtlich wurden und daraufhin eine Nachrichtensperre verhängt worden war, betrieben die Medien fast ohne Ausnahme "vorauseilenden Gehorsam", in Selbstzensur.

Erst die weiteren unabhängigen Untersuchungen und die kritische Hinterfragung der Ermittlungsmethoden durch die Anwälte von Safwan Eid und vor allem auch die aus prominenten Juristen bestehende internationale unabhängige Untersuchungskommission, die seit April arbeitet, decken vermehrt die offenen Fragen und Widersprüche auf und tragen durch eine großangelegte Pressearbeit dazu bei, daß die teilweise schon vorher von antirassistischen Kräften wie der "AG zu rassistischen Ermittlungen beim Antirassistischen Telefon Hamburg" und dem "Lübecker Bündnis gegen Rassismus" recherchierten Ungereimtheiten nicht länger ganz so einfach totgeschwiegen werden können.

Aufgrund dieser unabhängigen Arbeit und auch aufgrund der Proteste und Aktionen einzelner antirassistischer Gruppen und Initiativen gerät die Anklage immer mehr ins Wanken: So muß zunächst die Mordanklage gegen Safwan Eid auf den Vorwurf der "schweren Brandstiftung mit Todesfolge" heruntergeschraubt werden. Schließlich muß Safwan Eid im Juli - nach fast einem halben Jahr in Untersuchungshaft - freigelassen werden.

Aber trotz alledem soll Safwan noch immer der Prozeß gemacht werden. Trotz alledem laufen die wahren nazistischen Täter immer noch frei herum und haben scheinbar nichts zu fürchten.

Zum Aufbau dieser Dokumentation

Zunächst mag die Fülle des von uns zusammengestellten Materials vielleicht "erschlagend" wirken. Wir halten eine so umfangreiche Dokumentensammlung jedoch für ein wichtiges Mittel, um mit Tatsachen und Beweisen eine solide Aufklärungsarbeit über die wahren Hintergründe des rassistischen Brandanschlags und die schreienden Widersprüche und Verfälschungen in der offiziellen Darstellung der angeblichen "Tatsachen" leisten zu können.

Wir haben nicht einfach chronologisch verschiedene Artikel zusammengestellt, sondern uns bemüht, in erster Linie nach inhaltlichen und an unserer Einschätzung der verschiedenen Etappen der bisherigen Entwicklung orientierten Kriterien das uns vorliegende Material übersichtlich zu gliedern.

Damit auch bei einem "Überfliegen" unserer Zusammenstellung auf den ersten Blick die aus unserer Sicht in den jeweiligen Pressemeldungen wichtigen Punkte, Widersprüche und Fakten direkt erkennbar sind, haben wir diese markiert.

Wo es uns notwendig schien, haben wir auch kommentiert, vor allem im Bezug auf aus unserer Sicht üble Methoden der angeblich "objektiven Berichterstattung".

Der Teil I dieser Dokumentation beginnt mit ersten Pressemeldungen. Hier wird deutlich, daß in der öffentlichen und von den Medien transportierten Meinung das "Ansehen Deutschlands" oder der "Ruf" der Stadt Lübeck oder Grevesmühlen offenbar wesentlich mehr Grund zur Sorge bereitet als die Tatsache, daß in Lübeck zehn Menschen ermordet und mehr als 30 verletzt wurden - und das allem Anschein nach von Nazis. Dann folgen darin die beiden Etappen "es waren doch nicht die Nazis" als erster, "sondern einer von denen..." als zweiter wesentlicher Schritt in der Vertuschungsstrategie der verantwortlichen Stellen, bis schließlich als weiterer zentraler Einschnitt - nachdem die frappantesten Widersprüche in den Ermittlungen allzu offensichtlich wurden - die Nachrichtensperre verhängt wird.

Dieser Teil enthält auch die Berichterstattung der "Deutschen Nationalzeitung", der erschreckend klar macht, wie einfach Nazis in ihrer Propaganda zum "Fall Lübeck" auf die Verlautbarungen von Polizei und Staatsanwaltschaft aufbauen können, und daß die Unterschiede in der Berichterstattung im Vergleich zu "seriösen" Medien in weiten Zügen kaum wahrnehmbar sind.

Auch Teil II besteht großteils aus chronologisch angeordneten Pressemeldungen, aber auch aus den Dokumenten z.B. der Internationalen unabhängigen Untersuchungskommission, die im April ihre Arbeit aufgenommen hat. In diesem Teil geht es uns darum, die weitere Entwicklung und die Reaktionen der Ermittlungsbehörden und der staatlichen Stellen auf die Arbeit unabhängiger Experten und Beobachter im Zusammenhang darzustellen.

Teil III beinhaltet die Dokumente der kritischen und antirassistischen Gegenöffentlichkeit und die Stellungnahmen der Opfer des Brandanschlags selbst und ist in sich wiederum mehrfach untergliedert. In diesem Teil haben wir weder Hervorhebungen vorgenommen noch kommentiert, da wir es im Zusammenhang dieser Dokumentation nicht als unsere Aufgabe ansehen, politisch zu werten.

Teil IV der Dokumentation besteht lediglich aus verschiedenen nach Safwan Eids Haftentlassung veröffentlichten Pressemeldungen. Wir haben diesen Teil bewußt hinter der Dokumentation der verschiedenen Proteste und Aktionen der antinazistischen Bewegung angeordnet, um deutlich zu machen, daß es unserer Ansicht nach neben der Arbeit der internationalen unabhängigen Kommission gerade auch der Druck dieser demokratischen Kräfte war, der die Parole "Freiheit für Safwan!" als ersten wichtigen Schritt im Kampf für eine lückenlose Aufklärung der Wahrheit real hat durchsetzen können. Und der dazu geführt hat, daß auch große Presseorgane teilweise gezwungen waren, die Arbeit der Ermittlungsbehörden kritisch zu kommentieren.

Teil V schließlich weist nach, daß der "Fall Lübeck" zwar im Ausmaß, keineswegs aber in der Methode ein Einzelfall ist, sondern daß vielmehr immer häufiger bei nazistischen Brandanschlägen auf Wohnungen oder sonstige Unterkünfte von Flüchtlingen und ausländischen Menschen bereits nach kurzer Zeit, ohne genaue Untersuchung der Brandursachen ”jeder fremdenfeindliche Hintergrund ausgeschlossen" wird oder auch mit der Methode, wie in Lübeck die Opfer zu Tätern zu machen, von der Tatsache abgelenkt wird, daß rassistische und nazistische Verbrechen und Morde in Deutschland mehr denn je Alltag sind.

Lübeck ist kein Einzelfall...

So bei einem Brand in Stuttgart am 17. März 1994,: wo sieben Flüchtlinge ermordet wurden. Sofort hieß es gleichlautend in den Massenmedien, ein ”fremdenfeindlicher Hintergrund wird ausgeschlossen”. Dann wurde über eine mögliche Täterschaft von "Drogenabhängigen" oder Wohnungslosen spekuliert, bis schließlich im Zusammenhang mit diesem Brandanschlag niemand mehr von Nazis redete. Damit war nicht nur das "Ansehen Deutschlands" gerettet, sondern - unserer Einschätzung nach in augenfälliger Parallele wiederum zum "Fall Lübeck" - auch jeder Protest von Antifaschisten im Keim erstickt. Die Methode der Verunsicherung der demokratischen Kräfte funktionierte.

Zwölf Monate später gestand ein deutscher Mann, diesen und weitere 17 Brände gelegt zu haben, als Grund gab er schlicht an: ”Ausländerhaß”.

Das war den deutschen Massenmedien dann gerade mal noch eine Randnotiz wert, die sieben Toten waren lange vergessen.

Als in Hattingen am 05.06.1993 - eine Woche nach dem Brandanschlag von Solingen, durch den Nazis fünf Menschen ermordet hatten - das Haus der türkischen Familie Ünver angezündet wurde, sind selbst die offensichtlichsten Spuren in die Nazi- Szene nicht verfolgt worden. Stattdessen wurde Frau Ünver verhaftet und der Brandlegung beschuldigt. In kaum faßbarer Unverschämtheit wurde ihr als Motiv unterstellt, sie hätte den Brand gelegt, um eine wie nach den Brandanschlägen in Mölln und Solingen versprochene Entschädigung zu bekommen, um also die Welle der rassistischen Anschläge zum "eigen Profit" auszunutzen.

Wer das von Stammtischniveau geprägte Bewußtsein der Bevölkerungsmehrheit in Deutschland kennt, weiß, welche Reaktionen mit einer solchen Meldung in der öffentlichen Meinung provoziert werden (sollen): "Siehst Du, die stecken sich selber an und erzählen dann, wir wären es gewesen - jetzt kam das ausnahmsweise einmal raus...". So wird rassistisches Bewußtsein gedüngt.

Nach dem Aufdecken wesentlicher Widersprüche in der behördlichen Darstellung des Anschlags durch den Anwalt der Beschuldigten und durch die Arbeit der gebildeten UnterstützerInnengruppe mußte das Verfahren gegen Frau Ünver von einem Essener Gericht eingestellt werden.

Auch hier sind die Täter frei. Auch hier werden dadurch objektiv militante Rassisten und die organisierte Nazi-Szene ermutigt, weiterzumachen.

Denn vor wem sollten sie Angst haben?