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taz 25.07.1998

Zum BGH-Urteil über die Neuauflage des Lübecker Brandprozesses

Schwierige Suche nach der Wahrheit

Die Richter am Bundesgerichtshof haben entschieden, daß ein neuerlicher Prozeß gegen Safwan Eid stattfinden muß. Und das ist klug. Sie haben sich ausdrücklich gegen das Votum der Bundesanwaltschaft gestellt. Diese hat den Aufnahmen, die von Gesprächen zwischen Eid und Mitgliedern seiner Familie im Gefängnis aufgenommen wurden, keine weitere Wichtigkeit beigemessen für das, was in der Brandnacht wirklich geschah. Der Bundesgerichtshof befand dagegen kühl: Ob die Aufzeichnungen relevant sind, habe das Landgericht zu entscheiden gehabt, auf jeden Fall nicht die Bundesrichter.

Doch die Entscheidung, das Verfahren neuerlich aufzurollen, begründeten die BGH-Richter nicht allein mit dem ihrer Meinung nach legalen Lauschangriff. Auch weitere Indizien würden darauf hindeuten, daß Safwan Eid schuldig sein könnte. Zu prüfen wird also abermals sein, daß ein Brandsanitäter vom Angeklagten den Satz "Wir war'n 's" gehört haben will; daß in einem Zimmer der Familie des Angeklagten im Brandhaus ein Benzinkanister gefunden wurde; daß Angehörige Eids versucht haben, die Familie El- Omari in ihrer Zeugenaussage auf eine nachweislich falsche Zeit des Brandausbruchs zu verpflichten; daß Eid seinen Nachtrock im Laufe der Brandnacht in den Container eines Krankenhauses geworfen hat. All dies wollten die Richter nicht dahingehend gewertet wissen, daß der Angeklagte schuldig ist- doch insgesamt sahen sie es als zwingend an, daß das Verfahren gänzlich neu beginnen müsse.

Ob allerdings die Wahrheit in diesem Fall herauskommen kann, ist zu bezweifeln. Das Landgericht wird sich abermals mit einem Angeklagten auseinandersetzen müssen, der sich einer linken Solidarität sicher wissen konnte - und weiterhin kann. Für seine Unterstützergruppe wird er a priori der unschuldige Held sein, der stellvertretend für viele andere Asylbewerber die Bundesrepublik auf die (politische) Anklagebank gesetzt wird. Auch die Hausbewohner - außer den El-Omaris - werden zur Wahrheitsfindung mutmaßlich nichts beitragen. Bereits beim ersten, vor einem Jahr beendeten Prozeß erwiesen sie sich als Zeugen der Verteidigung, die faktisch mit Hilfe ihrer Nebenklägeranwälte einem alternativen Zeugenschutzprogramm unterworfen worden waren.

Erhellendes haben sie zu den wirklichen Tatumständen in der Brandnacht, über das Leben und die Konflikte im Asylbewerberheim nicht beitragen können - und offenkundig auch nicht wollen. Unisono gaben sie zu Protokoll, daß alle Bewohner des Heimes sich gut verstanden hätten. Lediglich die Familie El- Omari, in deren Auftrag überhaupt das Revisionsbegehren vor dem BGH angestrengt wurde, reihte sich in diese Solidaritätsfront nicht ein.

Schon das Lübecker Gericht erwies sich als kundige, informierte und geduldige Instanz, die sich jedweder politischer Instrumentalisierung verweigerte. Schon dessen Richter hätten gewiß gerne die Wahrheit herausgefunden. Beispielsweise, welche Rolle die (rechtsgesinnten) Grevesmühlener Jugendlichen bei diesem Brand spielten. Warum hatten sie angesengte Gesichter, obwohl sie nach heutigem Wissen zum Zeitpunkt des Brandausbruchs nicht in unmittelbarer Nähe des Tatortes waren? Was aber haben sie in dessen Nähe zu suchen gehabt?

Trotz des (mittlerweile widerrufenen) Geständnisses des einen Grevesmühleners bleibt zu fragen, was sie mit Safwan Eid und anderen Hausbewohnern zu tun hatten. Gab es - wie seitens der Staatsanwaltschaft im Prozeß angedeutet - Händel um Drogen und Drogengeld? Welche Abhängigkeiten, Zwistigkeiten und Ärgernisse gab es überhaupt im Haus an der Lübecker Hafenstraße, in dem zehn Menschen grausig ums Leben kamen? Wer profitierte von wem, wer von wem nicht?

Es wäre jetzt tatsächlich an der Zeit, die Bewohner aussagen zu lassen, wenn sie etwas zur Aufklärung des Lebens in jenem Hause beitragen könnten. Notwendig ist es nun bis zum nächsten ersten Prozeß, auf Emotionen zu verzichten. Denn sicher ist nur eines: Selbst wenn Safwan Eid schuldig gesprochen werden sollte, hieße das nicht im Umkehrschluß, daß damit die unmenschliche Asylpolitik der Bundesrepublik reingewaschen wäre. Auf der Angeklagebank sitzt ein einzelner. Nicht ein Staat. Und vor allem nicht die Asylbewerber.

Jan Feddersen

TAZ Nr. 5591 vom 25.07.1998 Seite 9 Meinung und Diskussion 87 Zeilen
Kommentar Jan Feddersen