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taz 25.07.1998

Analyse

Keine Wohnung

Der Bundesgerichtshof erleichtert das Abhören im Gefängnis

Auch ein Untersuchungshäftling hat Anspruch auf eine Privatsphäre", so entschied einst das Lübecker Landgericht. Im April vorigen Jahres erklärte der Vorsitzende Richter Rolf Wilcken, daß im Prozeß gegen Safwan Eid mehrere Tonbandprotokolle nicht verwertet werden können. Eid war damals bei Gesprächen mit seinem Vater und seinen Brüdern im Besuchsraum des Gefängnisses abgehört worden.

Vor Einführung des Großen Lauschangriffs waren Lauschangriffe zur Strafverfolgung in Wohnungen noch tabu. Die entscheidende Frage lautete daher: Ist ein Besuchsraum in der Haftanstalt einer Wohnung gleichzustellen oder nicht? Der Amtsrichter, der die Abhöraktion einst anordnete, verneinte dies, während das Landgericht im Prozeß gegen Eid den Wohnungsbegriff weiter auslegte. Für Gespräche mit Angehörigen stelle das Besuchszimmer der Haftanstalt faktisch einen Wohnungsersatz dar, so die Lübecker Landrichter.

Der Bundesgerichtshof ist dieser Auffassung jetzt aber nicht gefolgt. Das Besuchszimmer könne schon deshalb keine Wohnung sein, weil das Hausrecht bei der Anstalt und nicht beim Häftling liege. Damit ist diese Frage nun höchstrichterlich geklärt. Überraschend kommt diese Entwicklung allerdings nicht. Mit ähnlicher Begründung hatte nämlich schon das Bundesverfassungsgericht den eigentlichen Haftraum nicht als "Wohnung" im Sinne des Grundgesetzes anerkannt. Damals ging es um die Beschwerde eines Gefangenen, der von seinen Wärtern forderte, sie sollten gefälligst anklopfen, bevor sie seine Zelle betreten. Die Verfassungsbeschwerde wurde abgelehnt.

Jetzt, nach Einführung des Großen Lauschangriffs, ist die Unterscheidung zwischen Wohn- und sonstigen Räumen zwar nicht mehr ganz so entscheidend, aber auch nicht völlig unerheblich. Zwar dürfen nun auch Wohnräume zur Strafverfolgung abgehört werden - zur Gefahrenabwehr ist dies schon länger möglich -, allerdings ist die Genehmigung hier ungleich schwerer zu erlangen. Vor dem Abhören einer Wohnung muß sich nun eine spezialisierte fünfköpfige Strafkammer mit dem Fall beschäftigen. Bei Hafträumen genügt der Beschluß eines Amtsrichters. Das Abhörverbot gegenüber Strafverteidigern und Pfarrern gilt allerdings wohl auch in der Haftanstalt. Dagegen sind Gespräche mit Verwandten, wie im Falle Safwan Eids, nicht besonders geschützt. Obwohl hier eigentlich deren Zeugnisverweigerungsrecht unterlaufen wird, ist nur das (überall geltende) Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten. Vorausetzung für eine Lauschaktion ist jeweils, daß die Abhöraktion zur Aufklärung mindestens mittelschwerer Straftaten (ab Geldfälschung aufwärts) erforderlich ist.

Christian Rath

TAZ Nr. 5591 vom 25.07.1998 Seite 2 Aktuelles 50 Zeilen
TAZ-Bericht Christian Rath