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TAZ Nr. 5266 vom 01.07.1997 Seite 5 Inland 184 Zeilen

Ein Freispruch und viele offene Fragen

Safwan Eid ist frei. Ungeschoren kam beim Lübecker Brandprozeß jedoch keiner davon: Der Vorsitzende Richter kritisierte Staatsanwaltschaft, polizeiliche Ermittler sowie die Verteidigung

Aus Lübeck Jan Feddersen

Richter Rolf Wilcken gab am letzten Prozeßtag zu verstehen, daß es ein "grauenhafter" Brand war. Sein Mitgefühl gelte den Überlebenden. Dank hätten die Feuerwehrleute verdient, die bis zur Erschöpfung darum kämpften, daß das Feuer nicht noch mehr Opfer kostete. Dann kam er zur Sache: "Der Angeklagte wird freigesprochen." Die Kosten des Verfahrens übernimmt die Staatskasse; Safwan Eid wird für die fünfeinhalbmonatige Untersuchungshaft mit 20 Mark pro Tag entschädigt.

Die entscheidenden Sätze waren kaum ins Bewußtsein der Menschen im vollbesetzten Saal des Lübecker Landgerichts gedrungen, da setzte Beifall ein. Zunächst von vielen aus der Szene der Unterstützungskomitees, besonders heftig aber bei der libanesischen Familie El-Omari, deren Mitglieder sich unter keinen Umständen einbinden lassen wollten in den Solidaritätskanon auf den Angeklagten. Sie klatschten einfach weiter. Böse, ironisch, erregt, aufgebracht. Beim eben Freigesprochenen löste dies keine Regung aus. Dann schrien die El-Omaris auf arabisch und zeigten mit Fingern auf ihn: "Verräter." Und: "Allah wird euch richten."

Der Tenor des Richterspruchs gab der Staatsanwaltschaft zumindest in einem Punkt recht: Nicht wegen erwiesener Unschuld, sondern "in dubio pro reo", im Zweifel für den Angeklagten, ist Safwan Eid freigesprochen worden. Das sei, so Richter Wilcken, "nicht ungewöhnlich", also nicht als Freispruch zweiter Klasse zu werten. Das Gericht sah im Grunde nur wenig als erwiesen an. Nach seiner Auffassung habe sich der Angeklagte in der Tat in mancherlei Hinsicht verdächtig gemacht. Mehrmals sei er, anders als andere Hausbewohner, aus dem Rettungsomnibus gestiegen, um mit seinem Handy zu telefonieren; auch habe er nicht im Krankenhaus die Spuren des Brandes abgeduscht, sondern in der Wohnung eines Freundes der Familie. Diese Indizien allein seien jedoch nicht hinreichend, um eine Täterschaft zu erklären, zumal ein mögliches Motiv für die Tat ganz unersichtlich sei. "Ist es möglich, daß einer ein Feuer legt, das ihn selbst und seine Familie umbringt?" Die Kammer mochte dies nicht glauben. Gleichwohl würdigte sie eine Zeugenaussage, nach der Eid kurz vor der Feuersbrunst eine Hausnachbarin mit den Worten beruhigte, es sei falscher Alarm und höchstens ein kleines Feuer.

Zu den Aussagen des faktischen Kronzeugen Jens Leonhard, der vom Angeklagten im Rettungsbus den Satz "Wir war'n's" gehört haben will, bemerkte das Gericht nur, daß es keinen Hinweis auf eine mögliche Falschaussage gebe. An die Adresse der Verteidigung gab Wilcken noch zu bedenken, daß er deren Beharren auf Leonhards möglichen rechtsradikalen Hintergrund für absurd und prozessual irrelevant hält.

Was den Brandursprungsort anbetrifft, gab das Gericht zu verstehen, daß es wohl zwei "primäre Brandherde" gegeben habe: im ersten Stock und im Vorbau des Hauses - bei verschlossener Tür und geschlossenem Fenster. Damit verwies die Kammer Theorien über einen Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim in den Bereich der "Spekulationen". Überhaupt gab das Gericht in ungewohnter Klarheit zu erkennen, daß es zunehmend verschnupfter auf den Hergang des Verfahrens reagierte.

Die Anklage der Lübecker Staatsanwaltschaft interpretierte Wilcken als mehr oder weniger professionell. Sie habe vor allem Hinweise auf eine Belastung des Angeklagten gesucht, es aber umgekehrt an der Sorgfalt fehlen lassen, Safwan Eid zu entlasten. Ohne die verworfene Würdigung der in der Untersuchungshaft gesammelten Abhörprotokolle von einem Gespräch Eids mit seinem Bruder näher zu erläutern, teilte Wilcken mit, daß auch eine Zulässigkeit des Lauschangriffs die Position der Anklage nicht verbessert hätte. Bei dieser Gelegenheit mokierte sich Wilcken, der offenbar am Wochenende viel Zeit zur Lektüre von Magazinen hatte, über einige Meldungen in den Medien, nach der die Staatsanwaltschaft in die Revision gehen würde, weil der Bundesgerichtshof die verworfenen Abhörprotokolle doch für beweiskräftig halten werde. "Erstaunt" sei er über dieses Ansinnen, formulierte Wilcken - was juristisch einer Ohrfeige ohne pädagogischen Inhalt gleichkommt. Darüber hinaus hätte sich das Gericht des Eindrucks nicht erwehren können, daß die Polizei nicht genügend ermittelt habe. Viele Fragen hätten schon deshalb nicht im Prozeß beantwortet werden können, weil es am Material fehlte.

Doch auch die Verteidigung bekam von der Kammer in einer Hinsicht keine Höchstnoten: Wilcken kritisierte scharf die "Politisierung" des Verfahrens. Die sei ebenso unerträglich gewesen, wie sie aber zugleich nicht gegen den Anklagten gewendet werden dürfe, denn der könne für diese Art der Wahrnehmung des Verfahrens ja nichts. Ebenso gab Wilcken sein Mißfallen über die "offensichtlich gefärbten" Zeugenaussagen der Hausbewohner "zugunsten des Angeklagten" zu Protokoll: "Die Vorgänge im Haus konnten auch deshalb nicht weiter erhellt werden." Die Kammer legte viel Stoff vor, um einer möglichen Revision vor dem Bundesgerichtshof vorzubeugen: keine Andeutungen über mögliche Täter, die von außen eine Brandbombe gelegt haben könnten; um so mehr Stoff für die staatlichen Rechercheure von der Polizei, die mehr als konfus der Staatsanwaltschaft zugearbeitet hatten.

Staatsanwalt Michael Böckenhauer mochte gestern keine Auskunft darüber geben, wie seine Behörde sich im Laufe der Woche entscheiden wird - für oder gegen eine Anfechtung des Urteils: "Das müssen wir in der Behörde diskutieren." Die Familie El-Omari würde gern in die Revision gehen, sie will ihr Vorgehen von der Staatsanwaltschaft abhängig machen. Die Familie El-Omari und Safwan Eid liefen schließlich an der Tür des Gerichts aneinander vorbei. Eid ohne Freude im Gesicht, seine früheren Nachbarn wie versteinert. Sie verabschiedeten sich nicht.

Bemerkung: Reportage