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Nachrichten aus Deutschland und der Welt vom 14. Oktober 1996


Ereignisse der Brandnacht noch im Dunkeln

Lübeck Zu behaupten, die bisherigen acht Verhandlungstage im Prozeß um den Brand-anschlag auf ein Lübecker Asylbewerberheim hätten nichts gebracht, wäre zu einfach und falsch zugleich. Läßt man einmal die Tatsache beiseite, daß bis heute die Kernfragen - nämlich, wer hat warum und wo gezündelt - unbeantwortet blieben und stellt man die Geschehnisse der Nacht vom 17. auf den 18. Januar 1996 als ein Bild in den Raum, so zeichnet sich allmählich zumindest der Rahmen jener Ereignisse ab, die zehn Menschen das Leben kosteten.

Bemerkenswert an den Aussagen der mittlerweile rund 40 gehörten Zeugen sind vor allem zwei: Die Aussagen der beiden Arbeiter einer benachbarten Mühlenfirma, die als einzige einen beigefarbenen Wartburg gesehen haben wollen und damit der Spekulation, für das Feuer könnten Jugendliche aus Grevesmühlen verantwortlich sein, neue Nahrung gaben. Unklar ist, zu welchem Zeitpunkt sie in der Hafenstraße waren.

Ein parkender Wartburg allein, zumal er bislang nur von zwei Zeugen gesehen wurde, ist noch kein Indiz für eine Täterschaft. Andererseits fielen drei dieser Jugendlichen durch Sengspuren im Gesicht auf, für die sie mehr oder weniger fadenscheinige Erklärungen abgaben.

Das vermeintliche und erst zwei Tage nach dem Brand bekanntgewordene Geständnis des Safwan E. genügte der Staatsanwaltschaft, den Libanesen anzuklagen. Sechs Monate saß Safwan in U-Haft, zwei Wochen vor dem Haftprüfungstermin durch das Oberlandesgericht wurde er freigelassen. Begründung damals: Es fehle der dringende Tatverdacht.

Safwan E. sitzt seit dem 16. September auf der Anklagebank. Er selbst bestreitet die Tat, will damals im Bus nicht "wir warn's", sondern "die warn's" gesagt haben.

Der einzige Zeuge dieses Satzes, ein 26jähriger Sanitäter, dagegen blieb auch vor Gericht bei seiner belastenden Aussage gegen den Libanesen. Inwieweit der junge Rotkreuzler bei seinem Einsatz damals allerdings an seine physischen Grenzen stieß und damit nur noch bedingt aufnahmefähig war, muß unbeantwortet bleiben.

Bewegend, fast beklemmend waren die Aussagen der Feuerwehrmänner, die als erste am Brandort eintrafen. Zehn Monate nach dem Großbrand schilderte einer, wie er zwei Kinder an einem Fenster des zweiten Geschosses gesehen habe, ohne ihnen helfen zu können, wie das Feuer heftiger geworden sei und wie die Kinder plötzlich verschwunden waren - jener Moment, in dem das Feuer nach oben durchzündete.

Was alle Feuerwehrkräfte übereinstimmend aussagten: Beim Eintreffen hätten sie Flammen im ersten Stock gesehen, eine Beobachtung, die sich mit den Gutachten des LKA und BKA deckt. Deren Gutachter hatten den Brandherd im ersten Stock ausgemacht.

Doch die Feuerwehrmänner hatten noch etwas anderes gesehen: Flammen und Qualm im hölzernen Vorbau des Eingangsbereiches. Einer der Zeugen brachte es auf den Punkt: "Für mich war kein Zusammenhang zwischen diesen Brandherden zu erkennen." Feuer im Eingangsbereich würde die These der Verteidigung untermauern, es handele sich um einen Anschlag von außen.

Stellt man nun beide Beobachtungen gegenüber, gibt es drei Möglichkeiten. Erstens: Gab es möglicherweise zwei Feuer in jener Nacht? Eine Zufälligkeit, die eher unwahrscheinlich ist.

Zweitens: Ein Anschlag innerhalb des Hauses, das Feuer entfachte sich rasend schnell und kam durch herabstürzende brennende Deckenteile ebenso schnell zum Vorbau.

Drittens: Ein Anschlag von außen, der oder die Täter gelangten bis in den ersten Stock, vergossen brennbare Flüssigkeit bis hin zum Eingangsbereich und setzten sie in Brand. Zugegeben, die etwas großzügigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Richtung Anschlag von außen und die zum Teil sehr unterschiedlichen Zeugenaussagen machen es der Verteidigung und der Anklagebehörde nicht einfach, die Wahrheit zu finden. Doch gerade die Wahrheit ist es, die in diesem Prozeß eine ganz sensible Rolle spielt.

Für die Angehörigen der Opfer etwa, die wissen wollen, warum sie ihre Familienmitglieder verloren haben.

Eines immerhin ist ausgeblieben: Das Verfahren gegen den Libanesen geriet nicht zum politischen Schauprozeß. Daran ändern können und dürfen auch nichts die ab und zu vor dem Gerichtsgebäude aufgestellten Transparente und die kursierenden Flugblätter aus der linken Szene.

Die Verteidigung nahm sich nach anfänglichen Härten zurück und zeigt sich zu jedem Verhandlungstag perfekt vorbereitet. Die Staatsanwaltschaft löst sich allmählich aus ihrer defensiven Rolle und agiert mehr im Prozeßgeschehen.

Bleibt das Gerangel um den Frankfurter Gutachter Professor Ernst Achilles. Der als "Gutachter der Verteidigung" ins Spiel gebrachte und inzwischen vom Gericht bestellte Brandexperte sieht sich mittlerweile zwei Befangenheitsanträgen gegenüber - einer kam immerhin vom Staatsanwalt Dr. Michael Böckenhauer.

Das Gericht hat nun darüber zu entscheiden, ob der von ihm selbst bestellte Gutachter wieder entbunden wird - bliebe immer noch die Möglichkeit, Achilles als sachverständigen Zeugen im Verfahren zu belassen. Rund 40 Zeugen wurden gehört, etwa einhundert werden noch zu hören sein. Dazu die Sachverständigen und - fast schon vorhersehbar - zusätzliche Beweisanträge der Verteidigung und Staatsanwaltschaft. Manfred Rüscher


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