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Das SVZ online Archiv
Nachrichten aus Deutschland und der Welt vom 20. Januar 1996


Asylheime werden zum Trauma

Opfer wollen das Krankenhaus nicht verlassen

Lübeck (AP) Als Jean-Daniel Makodila in der Nacht zum Freitag nach Lübeck zurückkehrte, waren alle tot: seine vier Kinder, seine Frau sowie deren drei Geschwister. Die acht nächsten Angehörigen Makodilas gehören zu den Opfern der verheerenden Brandkatastrophe, bei der am frühen Donnerstag morgen in der Hansestadt mindestens zehn Menschen den Tod fanden.

Gestern wurde nach weiteren Opfern und nach den Ursachen des verheerenden Brandes gesucht. Fotos: AP (2)

Als der Mann aus Zaire in dem Heim ankam, in dem die unversehrt gebliebenen Menschen Unterschlupf gefunden haben, schwiegen alle. Ein paar Frauen und Kinder fingen an zu weinen.

Das dreistöckige Haus, das die Menschen nun beherbergen soll, ist das größte der neun Heime für Asylbewerber in der Hansestadt. Mehr als 80 Menschen aus 19 Ländern leben dort. Die meisten hier haben ihre Heimat wegen Krieges oder politischer Verfolgung verlassen. Bei einer Rückkehr dorthin müssen sie mit dem Schlimmsten rechnen. Doch hat das tödliche Feuer und dessen merkwürdige Umstände ihre Sicherheit in dem Land, in dem sie einen Asylantrag gestellt hatten, erheblich in Frage gestellt. "Meine Einstellung hat sich sehr, sehr geändert", sagte etwa Mambasi Kanda, 38 Jahre alt und vor vier Jahren aus Zaire nach Deutschland gekommen.

Während sich die Bewohner des Hauses gegenseitig trösteten und den Brand diskutierten, versammelten sich einige Mitarbeiter des Heims in den Büroräumen. Einige machten die Regierung und ihre Asylpolitik für die ausländerfeindliche Stimmung verantwortlich.

"Die Spannungen sind in den letzten Jahren gewachsen", sagte Carsten Zins, der die Verwaltung der neun Lübecker Heime leitet. Viele der Asylbewerber seien schon länger als fünf Jahre in Deutschland, lebten aber noch immer in einer übergangssituation, gab er zu bedenken.

In den Lübecker Unterkünften leben Zins' Angaben zufolge mehr als 300 Asylbewerber; von rund 100 von ihnen seien die Asylanträge bereits abgelehnt worden. Die Berufungsverfahren dazu seien alle noch am Laufen. Die Heime seien überfüllt, sagte er, und manchmal müßten Antragsteller wieder weggeschickt werden. In dem abgebrannten Haus waren offiziell 47 Menschen registriert, nach den Angaben eines Sprechers der Feuerwehr lebten aber mehr als 60 Menschen dort.

In den Krankenhäusern werden indesssen die Verletzten behandelt. Einen Tag nach der schlimmsten Katastrophe in seinem erst 23jährigen Leben ist der Libanese Mohammed Aid immer noch geschockt. Nein, er will nicht wieder in ein Ausländerheim, wenn er aus dem Krankenhaus entlassen wird: "Ich gehe hier nie wieder weg!" Der junge Mann entkam am Donnerstag nur knapp dem Brand in dem Lübecker Asylbewerberheim. Jetzt teilt er sich mit seinem Vater und drei Geschwistern ein Zimmer im Krankenhaus Travemünde-Priwall. Die Mutter liegt in einem anderen Krankenhaus. Sie hat beim Sprung aus dem Fenster schwere Wirbelsäulenverletzungen erlitten.

Aid und seine 18jährige Schwester Jinan machen den Behörden schwere Vorwürfe. Es hätte sich noch niemand von der Stadt nach ihnen erkundigt, die betreuende Diakonie habe auch noch nichts von sich hören lassen. Nur ein paar Freunde haben Kleidung gebracht. Mohammed beschuldigt die Lübecker Behörden, sie in dem später abgebrannten Haus festgehalten zu haben: "Wir wollten umziehen, ich habe als Maurer eigenes Geld verdient. Aber die Behörden haben es nicht erlaubt, weil wir nur geduldete Asylbewerber sind", empört sich der junge Mann. "Wenn wir woanders hätten wohnen dürfen, wäre uns das nicht passiert", sagt Mohammed Aid.

Ein paar Zimmer weiter liegt Aida Aliaz mit ihren drei kleinen Söhnen in einem Zimmer. Auch sie hat noch nichts von den Behörden gehört, weiß nicht wohin. Als die Familien von Reportern erfahren, daß die Verdächtigen von der Polizei laufengelassen worden sind, reagieren sie mißmutig: "Das ist doch klar, daß es ein Anschlag war. Mein Vater hat Glas klirren hören, danach eine Art Explosion", sagt Mohammed Aid.
Einen elektrischen Kurzschluß schließt er aus.


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