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JUSTIZ:

Biedermann oder Brandstifter?

STERN-Autor Peter Sandmeyer über den Lübecker Prozeß gegen Safwan Eid und die Stimmungsmache von Verteidigung und "Antirassisten"

Das Gegentribunal mobilisiert Massen. Zur "Aufklärungsveranstaltung" über "die Morde von Lübeck" haben mehr als drei Dutzend Organisationen - von den Verfolgten des Nazi-Regimes über die Jusos bis zum "Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD" - aufgerufen. Die Katharinenkirche an der Frankfurter Hauptwache ist überfüllt.

Safwan Eid, der Angeklagte von Lübeck, sitzt im Publikum. Er wird - angeblich hat es Morddrohungen gegeben - gut abgeschirmt. Seine Anwältin Gabriele Heinecke, die auch schon den Ex-DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph und das autonome Kampfblatt "radikal" verteidigt hat, steht am Mikrofon und plädiert: nicht nur für Freispruch ihres Mandanten, sondern auch für Ermittlungen gegen die Lübecker Justiz. "Es war eine politische Entscheidung, Safwan Eid anzuklagen, weil es dafür keine juristische Begründung gibt! Und es war eine politische Entscheidung, die dringend tatverdächtigen Jugendlichen, die ausgewiesenermaßen aus dem rechtsradikalen Umfeld kommen, wieder laufen zu lassen, weil es auch dafür keine juristische Begründung gibt!" Stürmischer Beifall.

Das Tribunal zieht sich derweil hin. Seit dem 16. September wird vor dem Landgericht in Lübeck verhandelt, aber nur selten blitzt in diesem Prozeß das auf, worum es eigentlich geht: das Grauen einer Nacht, in der Kinder verkohlten, Mütter erstickten, Väter ihre Familien verloren. Es war die Nacht vom 17. zum 18. Januar, als gegen vier Uhr morgens plötzlich das Asylbewerber-Haus in der Hafenstraße in Flammen stand - "lichterloh", wie die Zeugen den Brand immer wieder beschreiben.

Seit Zwölf Verhandlungstagen versucht die II. Große Strafkammer von diesen Zeugen zu erfahren, wann wer wo was gesehen hat, was dafür und was dagegen spricht, daß der angeklagte Libanese Safwan Eid sich der besonders schweren Brandstiftung schuldig gemacht hat und für den Tod von zehn Menschen verantwortlich ist.

Halbe Sätze, kleine Details wecken manchmal die Erinnerung an deren Schicksal. Ein Polizist, der beschreibt, wie er einer auf der Straße liegenden Frau helfen wollte und dann nur noch eine Leichendecke für sie holen konnte. Ein anderer, der erzählt, wie er einem Feuerwehrmann ein gerettetes kleines Kind abnahm, es unter seinen Parka steckte, um es vor der grimmigen Kälte zu schützen, und einen Platz in einem Rettungswagen suchte. "Aber die waren alle belegt."

Auch der Rettungssanitäter Jens L., der in der Brandnacht ein Geständnis des Angeklagten gehört haben will und deswegen der wichtigste Zeuge der Anklage ist, läßt etwas von der Erschütterung des miterlebten Schreckens spüren, als er dem Gericht mit leiser Stimme schildert, wie er am folgenden Morgen duschen wollte, in den Spiegel blickte und dann in Tränen ausbrach. Er muß sich dafür von der Verteidigerin Gabriele Heinecke die Frage gefallen lassen, warum er sich zum Weinen extra vor den Spiegel stellte.

Mit allen - nicht immer feinen - Mitteln versucht die Verteidigung, die Anschuld ihres Mandanten zu beweisen und die Glaubwürdigkeit belastender Indizien und Zeugen zu erschüttern. Wer die stundenlange Vernehmung von Jens L. durch die beiden Verteidigerinnen Heinecke und Barbara Klawitter und ihre Versuche, ihn in eine rechtsradikale Ecke zu drängen, miterlebt hat, wird sich künftig gut überlegen, ob er seiner Pflicht zu einer Zeugenaussage nachkommt.

Daß im schmucklosen Saal 163 des Lübecker Gerichts, wo einst Marianne Bachmeier den Mörder ihrer Tochter Anna erschoß, heute der Falsche auf der Anklagebank sitzt, ist auch für die "antirassistische" Solidaritäts-Szene, die sich zu jedem Verhandlungstag zahlreich einfindet, lange vor Abschluß der Beweisaufnahme klar. "Freispruch für Safwan" fordern die Transparente, die ihn morgens begrüßen, und die "Prozeßinfos", die die Öffentlichkeit allwöchentlich neu instruieren.

Für weiteren Lesebedarf sind die Berichte der "Internationalen Unabhängigen Kommission" im Angebot, die den Prozeß beobachtet; oder die 540-Seiten-Dokumentation der IG Medien zum "Rassistischen Brandanschlag in Lübeck" für 45 Mark. "Freispruch für Safwan" und "Die verdächtigen Nazis vor Gericht", das sind auch die zentralen Parolen der "bundesweiten" Demonstration am 2. November in Lübeck.

Das Pingpong zwischen Verteidigung und Unterstützer-Szene ist gut eingespielt. Im Gericht der Versuch, die Glaubwürdigkeit von Zeugen zu demontieren; draußen das Bemühen, die Vertrauenswürdigkeit der Ermittlungsbehörden zu erschüttern. Ständig wiederholt: der Vorwurf "einseitiger und rassistischer Ermittlungen der Staatsanwaltschaft". Und es wirkt wie ein Aufstand aufrechter Gesinnung, wenn dagegen - wie jetzt in Frankfurt und Berlin - "Aufklärungsveranstaltungen" organisiert werden.

Hinter den politischen Kulissen findet das konzertierte Vorgehen seine Fortsetzung in einem Brief, den die Fraktionsvorsitzende der schleswig-holsteinischen Grünen, Irene Fröhlich, nach einer Stippvisite im Gerichtssaal am 9. Oktober an Ministerpräsidentin Heide Simonis richtete. Von einem "aus politischer Sicht ungeheuerlichen Prozeß" spricht sie darin und regt dann die Entmachtung des Anklagevertreters Michael Böckenhauer an - 13 Jahre im Landesvorstand der Sozialdemokratischen Juristen - mit der scheinheiligen "Befürchtung", daß ein Staatsanwalt in "diesem spektakulären Prozeß juristisch, menschlich und politisch überfordert ist".

Auf vielen Infusionswegen soll Mißtrauen ins Bewußtsein der Öffentlichkeit sickern, das klamme Gefühl sich verankern, in Lübeck finde ein modernes Gegenstück zum Reichstagsbrandprozeß statt. Es soll ein politisches Klima entstehen, das eine Verurteilung des Angeklagten unmöglich macht.

Dabei gewinnt die Anklage gegen Safwan Eid für unbefangene Prozeßbeobachter - von der "Taz" über den "Spiegel" bis zur "FAZ" - von Verhandlungstag zu Verhandlungstag durchaus an Plausibilität. Beispielsweise lassen die zuverlässigen Zeugenaussagen kaum noch Zweifel daran, daß das Feuer im ersten Geschoß des Hauses an der Hafenstraße ausgebrochen ist - wesentliches Indiz dafür, daß der Brandstifter von innen und nicht von außen kam.

Und ebensowenig Zweifel gibt es inzwischen daran, daß die vier zunächst verdächtigten und für die Verteidigung bis heute verdächtigen jungen Männer aus Grevesmühlen zur wahrscheinlichen Tatzeit - zwischen 3 Uhr und 3.30 Uhr - nicht am Tatort gewesen sein können. Im übrigen liegt dem Gericht jetzt auch noch ein neues Gutachten aus dem LKA Männchen vor, nach dem die "frischen Sengspuren", die die vier Jugendlichen an Wimpern und Haaren hatten, mitnichten so frisch gewesen sein müssen, wie sie dem Lübecker Rechtsmediziner erschienen waren. Der bayerische Experte Dr. Herbert Pabst kommt anhand von Fotovergrößerungen zu dem Schluß, daß es sich um "Haarbeschädigungen unterschiedlicher Intensität" handele, die durch Hitze hervorgerufen sein können, aber nicht müssen, und "ein bis mehrere Tage alt" gewesen seien.

Wer da einfach weiter fordert, die Männer aus Grevesmühlen vor Gericht zu stellen, muß ein, gelinde gesagt, legeres Verhältnis zum Rechtsstaat haben. Und wenn es wirklich "fortbestehenden Aufklärungsbedarf" gibt, fragt man sich, weshalb die Verteidigung nicht beantragt, das Quartett aus Grevesmühlen als Zeugen zu laden. Aber dann käme ihr womöglich der willkommene Mythos unbehelligt herumlaufender Tatverdächtiger abhanden.

Ein anderer Mythos, der von "Mut und Einigkeit, mit denen die überlebenden Flüchtlinge den Verdrehungen der Ermittler entgegentreten", hat sich bereits am vierten Prozeßtag mit einem Knall verabschiedet. Am 25. September brach Jean-Daniel Makodila aus Zaire, der seine Frau und seine fünf Kinder beim Brand verloren hat, im Gerichtssaal zusammen; die folgende Turbulenz nutzte der Vater des Angeklagten, Marwan Eid, um auf libanesische Landsleute, die Familie El Omari, loszugehen. "Schämt euch, ihr Hunde", rief er - für arabische Öhren eine besonders schwere Beschimpfung.

Auslöser des Ausbruchs war vermutlich der Wechsel der Familie El Omari, die in der Brandnacht einen Sohn verloren hat, von der Zuhörer- auf die Nebenklägerbank. Hintergrund aber sind deren wachsende Zweifel - an der Wahrheitsliebe der Familie Eid.

Schon die plötzliche Verjüngung von Safwan um elf Monate, die ihm die Zuständigkeit der Jugendkammer mit dem langmütigen Vorsitzenden Rolf Wilcken einbrachte, machte Assia El Omari stutzig.

Nachdem sie - wie alle Hausbewohner der Hafenstraße - lange außerordentlich zurückhaltend gegenüber den deutschen Ermittlungsbehörden war, meldete sie sich Anfang Juli bei der Staatsanwaltschaft und sagte aus, daß sie mehrere Male mit Safwans Mutter über dessen Alter gesprochen und keinerlei Zweifel daran habe, daß er über 21 sei.

Das deckte sich mit den Erkenntnissen der Ermittler, die aktuelle Auszüge aus dem libanesischen Einwohnerregister beschafft hatten und es ebenfalls unerklärlich fanden, daß Safwans Geburt, die angeblich erst am 10. November 1975 stattgefunden hatte, bereits am 9. Januar 1975 vom Standesbeamten im Bezirk Tripolis eingetragen wurde.

Das Mißtrauen der Familie El Omari wuchs, als Marwan Eid bei einer gemeinsamen Begehung der Brandruine mit dem von der Verteidigung gewünschten Gutachter Ernst Achilles angab, er habe in der Brandnacht um 2.30 Uhr den lauten Knall einer Bombe gehört. In der - auf arabisch - Gefährten Unterhaltung mit den El Omaris wiederholte er die Angabe: Ja, präzise um 2.30 Uhr.

Das war zwar mit der Aussage seiner eigenen Tochter nicht in Einklang zu bringen, nach der die Familie um 3.41 Ahr - kurz nach Entdeckung des Feuers - aus dem Fenster gesprungen sei; aber es bot neue Nahrung für die These, der Anschlag sei von au_en verübt worden - entlastend für den beschuldigten Sohn.

Familie El Omari schlußfolgerte: Entweder hatte Marwan Eid sich eine Stunde Zeit gelassen, sie vor dem Feuer zu warnen - oder er log. Letzteres schien Assia El Omari wahrscheinlicher: "Ich kann nicht glauben, daß Herr Eid diesen lauten Knall gehört hat. Hätte es in dieser Nacht einen solchen Knall gegeben, wäre ich davon mit Sicherheit aufgewacht."

Die zehnköpfige Familie aus dem Libanon ist damit die erste, die aus der Schweigefront der Hausbewohner ausbricht und sich von dem "Zeugenschutzprogramm" der antirassistischen Betreuer nicht länger vereinnahmen läßt.

Das umfaßt offenbar auch die Auswahl von Anwälten für diejenigen Hausbewohner, die vor Gericht als Nebenkläger auftreten. Deren Rechtsbeistände nämlich agieren dort lediglich als Statisten der Verteidigung und empfinden es anscheinend als oberste Pflicht, unangenehme Fragen an den Angeklagten zu verhindern.

Mit einer Ausnahme: Dr. Wolfgang Clausen, ein erfahrener älterer Verwaltungsjurist, der in diesem Strafverfahren Jean-Daniel Makodila und jetzt auch die Familie El Omari vertritt, stellt Anträge und Fragen, die Safwan Eid nicht vorsätzlich schonen.

Die Quittung dafür kam als offener Brief an die Familie El Omari. Absender ist eine Gruppe "Antirassistisches Telefon" aus Hamburg; Inhalt: die kaum verhüllte Aufforderung an die Familie, Dr. Clausen zu entlassen. "Ein anderer Anwalt steht in diesem Moment zu Ihrer Verfügung. Dr. Clausen behindert durch seine Anträge und durch seine Befragung der Zeugen die Aufdeckung der Wahrheit. Er sucht nach belastenden Anhaltspunkten gegen Safwan Eid und verstellt damit den Weg zu den wirklichen Tätern."

Im Namen der Familie konterte der angegriffene Anwalt knapp: "Familie El Omari weist mit Empörung den Versuch zurück, sie zu einem Verhalten als Nebenkläger und zu Aussagen als Zeugen zu verleiten, die nicht ausschließlich an der Wahrheit orientiert sind. Sie wird sich nicht dem Ansinnen beugen, den Angeklagten Safwan Eid von vornherein für unschuldig zu halten."

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