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Plädoyer der Verteidigung 18.06.1997 - Teil I

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren,

vorab ein Wort zum Plädoyer der StA: Die StA hat erklärt, die Verteidigung habe Safwan Eid geschadet. Die Verteidigung freut sich, daß sich dieser Schaden in der Freilassung von Safwan Eid im Juli letzten Jahres und im Freispruchsantrag der StA dokumentiert. Die Verteidigung legt darum die Vorwürfe der StA unter der Rubrik "ungewöhnliche Komplimente" ab.


A.

Zum Thema:

In den letzten 9 Monaten haben wir uns mit Wichtigem und weniger Wichtigem befaßt. Das Gericht hat in der Zwischenbilanz am 23. April 1997 die wesentlichen Punkte des Verfahrens benannt. Die Verteidigung teilt in vielen Punkten die dazu vorgetragene Sicht und könnte jetzt schlicht den Freispruch beantragen.

Das wäre zumindest zeitsparend.

Wir haben die Zwischenbilanz des Gerichts allerdings eher Aufforderug zum Weiterdenken verstanden. Das hält die Verteidigung für nötig und wird versuchen, das sehr lückenhafte Mosaik so weit wie möglich zusammenzusetzen.

Es geht der Verteidigung darum, im Urteil wiederzufinden, was durch die Beweisaufnahme erneut bestätigt worden ist: daß Safwan Eid nicht Verursacher des Leids ist, das den Bewohnern der Hafenstraße 52 angetan worden ist, sondern -wie sie- ein Opfer.

Die Staatsanwaltschaft hat versucht, mit einer Vielzahl von unlauteren und rechtswidrigen Methoden einen jungen Menschen zur Verzweiflung zu treiben und ihn dabei in seinem Leben gefährdet. Sie hat mit Behauptungen, die immer wieder im Widerspruch zum Akteninhalt standen, die Inhaftnahme von Safwan Eid initiiert und mit denselben Methoden an der Aufrechterhaltung der Inhaftierung mitgewirkt. Sie hat alles getan, um ihm ein Weiterleben in diesem Land unmöglich zu machen. Sie hat Unmengen von Schmutz auf Safwan Eid ausgekippt, um ihre eigene Unfähigkeit oder Schlimmeres zu verdecken. StA Dr. Böckenhauer hat dies am 28.Mai nochmals exemplarisch vorgeführt: Wissend, daß es sich um böswilliges und bereits widerlegtes Anglerlatein handelte, konnte er dem Drang nicht widerstehen, dem Gericht heuchelnd eine Spur vorzustellen, die sich bereits erledigt hatte, um den Schmutzkübel "Drogengeschäfte" in die öffentlichen Hauptverhandlung zu schleppen.

Es ist hier suggeriert worden, es gäbe Hinweise darauf, daß -wenn schon nicht Safwan Eid- dann doch irgendein anderer Hausbewohner den wahnsinnigen Akt der kollektiven Selbstverbrennung begangen haben könnte. Dafür gibt es nicht die geringsten Anhaltspunkte. Die Verteidigung wird auch dem Gericht widersprechen, soweit es am 23.April ausgeführt hat, im Bereich der Spekulationen sei bei dem Hausbewohner Sylvio Amoussou alles möglich: vom Täter bis zum Opfer.

Wie fahrlässig und oberflächlich die Staatsanwaltschaft mit dieser Frage umgeht, zeigt sich schon darin, daß Ray Soussou, der für die StA während der gesamten Hauptverhandlung die Funktion des heimlichen Ersatzangeklagten hatte, nun aus Gründen der Opportunität und des ergebnisorientierten Bedürfnisses zur Harmonisierung von Zeugenaussagen zum Kronzeugen der Anklage avanciert ist.

Die Verteidigung wird

1. zum Beweiswert der Aussage des Zeugen Leonhardt Stellung nehmen.

2. zum Komplex Brandursache und Brandverlauf Stellung nehmen. Wir werden nicht anfangen, Zeugen zu zählen, die für dieses oder jenes Lager rekrutiert werden könnten.

Stattdessen wird die Verteidigung die objektiven Anhaltspunkte und die Gutachten der Sachverständigen bewerten.

3. Sylvio Amoussou scheint der Verteidigung nach wie vor der Schlüssel zur Aufklärung des Brandes in der Hafenstraße zu sein. Aufgrund der in der HV gewonnen Erkenntnisse -gegebenenfalls noch zu gewinnender Erkenntnisse- ist auszuschließen, daß Sylvio Amoussou als Täter in Frage kommt.

4. Der nur hin und wieder gestreifte Komplex Grevesmühlen hat in diesem Verfahren immer wieder Bedeutung gehabt, um zu zeigen, wie offensichtlich verfehlt die Anklage gegen Safwan Eid ist und wie naheliegend und sachgerecht die Verfolgung der tatsächlich Tatverdächtigen wäre. Das Gericht hat zu diesem Komplex in der Zwischenbilanz erklärt, es sei deutlich geworden, daß die Jugendlichen aus Grevesmühlen in dieser Nacht nicht nur durch die Stadt gefahren, sondern auch gelaufen seien, daß sie die mit ihrer Tochter vom Dach herunterstürzende Frau Bunga und den Körper des brennenden Sylvio Amoussou im Vorbau gesehen haben.

Entgegen der bisherigen Auffassung des Gerichts sind diese Tatsachen nicht nur bedeutsam für die Frage einer möglichen, aber hier unnötigen Entlastung von Safwan Eid. Vielmehr ist der Widerspruch zwischen den Aussagen der zuerst am Brandort eingetroffenen und hier gehörten BGS- und Polizeizeugen Swoboda/ Baumann und Metterhausen/ Quandt mehr als auffällig. Egal, welche Rolle Wotenow, Burmeister, Patynowski und Techentin in dieser Nacht gespielt haben: wenn die Jugendlichen aus Grevesmühlen eine brennende Person am Boden gesehen haben, müssen sie vor den BGS-und Polizeibeamten am Vorbau gewesen sein. D.h., der Vorbau -jedenfalls Sylvio Amoussou im Vorbau- muß beim Eintreffen der BGS- und Polizeibeamten bereits gebrannt haben.


B.

I. Leonhardt

(dieser Teil ist bisher nicht schriftlich vorhanden)

 

II. Brandursache und Brandverlauf

1. Die Brandursache konnte in diesem Verfahren nicht geklärt werden. Zu einseitig und schlampig waren die Ermittlungen. Zuviele wesentliche Beweismittel, die weiteren Aufschluß hätten bringen können, wurden nicht gesichert, vernichtet oder sind verschwunden.

2. Auch der Zeitpunkt des Brandausbruchs ließ sich nicht näher bestimmen. Das einzig objektive Datum ist die Feststellung des Zeitpunktes des 1. Notrufes um 3:41:47 Uhr. Um diese Uhrzeit muß es im Haus bereits lichterloh gebrannt haben.

Sämtliche anderen Zeitangaben über einen möglichen Anfang des Brandes haben in der Beweisaufnahme ihren Widerspruch gefunden.

3. Zur Aufklärung des Brandverlaufs sind eine Unmenge von Zeugen gehört worden. Die Beweisaufnahme hat gezeigt, daß der Blickwinkel bedeutsam für die Wahrnehmung war. Wer aus Richtung Hubbrücke und Hafenstraße auf das Haus guckte, sah Feuer im 1. Stock, wer die Konstinstraße einsehen konnte, sah Feuer oder zumindest dicken Qualm im Vorbau.

Wäre die Verteidigung der Überzeugung, daß die Bekundungen von weiteren 40 Zeugen in der Sache weiterführen würde, hätte sie beantragt, die Zeugen der Berufsbildungsstätte zu vernehmen, von denen eine Vielzahl ausweislich des Akteninhalts bestätigt haben, daß sie von Scheibenklirren und lauten Hilferufen geweckt, Feuer zuerst im Anbau gesehen haben.

4. Es gibt einige wenige objektive zeitliche Daten, die massiv darauf hinweisen, daß der primäre Brandausbruchsort jedenfalls nicht allein im West-Flur des 1.Stockes gelegen haben kann. Wenn man es noch so gerne passend haben wollte: die nachfolgend benannten Daten sind mit dieser Annahme nicht kompatibel.

a) Das Gericht hat in der Hauptverhandlung am 02.12.1996 die Notrufkassette der Polizei in Augenschein genommen. Der Augenschein ergab durch Identifizierung des Zeugen Katuta, daß es sich bei der ersten Anruferin um Frau Makodila handelt. Der erste Anruf ist für 3:41:47 bis 3:43:07 (XVII,140 Auswertung POM Heerdt) festgehalten. Die Augenscheinnahme hat ergeben, daß Frau Makodila zunächst mit panischer Stimme teils Unverständliches schreit, danach eine Kinderstimme auf Deutsch "Wir komm´ hier nicht mehr raus" in den Apparat spricht, dann heftiges Husten sowie Kinderwimmern und danach nichts mehr zu hören ist. Hochwahrscheinlich ist dies der Zeitpunkt der Bewußtlosigkeit bzw. des Todes von Frau Makodila und dem 3-jährigen Jean-Daniel. Beide Leichen sind bei Hitzeschädigungen 3. und 4. Grades verkohlt und haben auffällig geringe Kohlenmonoxydwerte.

Dies allein beweist noch nichts.

Der Inhalt der Mitteilung, die Frau Makodila der Polizei machen will, ist nur bruchstückhaft bekannt. Es mag sein, daß diese Mitteilung Informationen enthält, die der Aufklärung der Brandursache dienen.

Der Zeuge Katuta hat am 02.12.1996 die in Lingala und Französisch gerufenen Teile des Notrufs mit "Mein Gott, mein Gott, kommt schnell, das sind die Nazis" bzw. mit "Kommt schnell, wir werden hier im Haus von Nazis attackiert, mein Gott" übersetzt. Ob diese Übersetzung richtig ist, wissen wir nicht. In den Akten (XIX,230) befindet sich die Übersetzung eines Dolmetscherbüros in Frankfurt/M., die nur die Lingala-Anteile mit "Mein Gott, unser Haus steckt in Flammen" und "Mutter Gottes, Mutter Gottes" wiedergibt. Das ebenfalls in den Akten befindliche BKA-Gutachten vom 09.12.1996 (XIX, 221 <226>) enthält lediglich die Niederschrift der sowieso in deutsch verständlich gesprochenen Sätze.

Hielte die Verteidigung Safwan Eid für belastet, hätte sie Antrag auf eine ordnungsgemäße Übersetzung des Bandes gestellt.

b) Beweiskraft kommt dem Anruf aber dadurch zu, daß durch ihn geklärt ist, daß die Parteien Makodila und Eid in dieser Nacht zur gleichen Zeit aufschrecken. Das ergibt sich daraus, daß 2 Sekunden nach Abbruch des Gesprächs mit Frau Makodila Ahmet Eid von der Telefonzelle Hafenstraße/ Ecke Konstinstraße bei der Polizei anruft. Sein Gespräch ist für 3:43:09 bis 3:43:53 Uhr registriert. Er dürfte das Haus mindestens 1-2 Minuten vorher, also gegen 3.41 Uhr, verlassen haben.

Und als Ahmet Eid zur Telefonzelle läuft, stehen die Bewohner des 3. OG schon auf dem Dach. Safwan Eid hat am 18.09.1996 berichtet, daß er gesehen hat, wie seine Familie aus dem 1. OG sprang und habe Ahmet zurgerufen, er solle die Polizei holen. Er habe zuvor 2 junge Männer von der Berufsbildungsstätte kommen sehen, die dann wieder zurückliefen. Das enstpricht den Bekundungen der Zeugen Ronny Bittner und Mike Preuße, die danach vor dem Anruf Ahmet Eids, also vor 3:43:09 am Haus gewesen sein und ihre Beobachtungen über den Vorbau gemacht haben müssen.

Die unmittelbare zeitliche Nähe der Anrufe von Frau Makodila und Ahmet Eid spricht für ein Ereignis in dem Bereich, von dem aus die zum östlichen Ende des Vorbaus weisenden Fenster am besten beschallt wurden.

Hier wurde die Ansicht vertreten, daß auch andere Hausbewohner Glas splittern und einen Knall hätten hören müssen, wenn die Zeugen Marwan und Jinan Eid in der HV die Wahrheit gesagt hätten.

Das ist ein Denkfehler.

Wenn das Geräusch, das Marwan und Jinan Eid wie Frau Makodila weckte, von der östlichen Seite des Vorbaus kam, ist es einleuchtend, daß es in den unmittelbar davor liegenden Räumen am lautesten gehört wurde.

So wie Benzin nicht bergauf läuft und Feuer nicht typischerweise nach unten brennt, neigt Schall nicht dazu, sich ohne Lautstärkeverlust um Häuserecken zu bewegen.

c) Beweiskraft kommt dem Anruf von Frau Makodila weiter zu, wenn man ihn ins Verhältnis zu den objektiv feststellbaren Abläufen in der Hafenstraße setzt. Ein weiterer zeitlich festgehaltener Eckpunkt der Beweisaufnahme ist das Aufblasen des Sprungretters in der Hafenstraße.

Aus dem Wortprotokoll des Funkverkehrs (POM Heerdt) im 4 m-Band der Einsatzleitstelle Lübeck vom 18.01.1996 ergibt sich, daß durch Trave 90/51 (Metterhausen/Quandt) das Aufblasen des Sprungkissens der Feuerwehr für 3:51:33 Uhr (XVII, 107) gemeldet wurde. Diese Zeit wurde von den Zeugen Erwin Böhm (HV 07.10.1996 -TroLF) und Bruno Gouin (HV 07.10.1996 - LF 16) bestätigt. Beide berichteten, daß sie bei ihrer Ankunft Menschen am Fenster in der Hafenstraße haben stehen sehen, vier über den Sprungretter und eine Frau über die Leiter gerettet werden konnten. Die Ankunft des TroLF mit dem Zeugen Böhm -Code-Nr. 1.27.01- ist im Einsatzbericht vom 30.01.1996 (IV,18) mit 3:47, die Ankunft des LF 16 des Zeugen Gouin (Code-Nr. 1.44.01) mit 3:51 Uhr angegeben.

Die Beweisaufnahme hat bestätigt, daß Frau El Omari ihre Töchter über den Spungretter in Sicherheit bringen konnte. Zumindest einige Minuten nach dem Aufblasen des Sprungretters war ein Überleben auf dieser Seite des Hauses im südlichsten Zimmer (zur Fa. Brüggen) noch möglich. Assia El Omari dürfte ca. gegen 3.55 Uhr durch den Zeugen Frank Evert (HV 07.10.1996) über die Drehleiter gerettet worden sein.

Wann Rabia El Omari im 2. Stock an Rauchgasvergiftung gestorben ist, war nicht feststellbar.

Um 3.55 Uhr waren Frau Makodila und ihr kleiner Sohn Jean-Daniel höchstwahrscheinlich bereits tot.

Ob die 4 Kinder Makodila im südöstlichen Zimmer zu diesem Zeitpunkt schon tot waren, ist ungeklärt. Nach Aussage des Zeugen Schiemann (HV 09.10.1996) zündete das Zimmer der Familie Makodila im 2. OG etwa gegen 4 Uhr durch. Für die Zeit vorher wird von verschiedenen Zeugen starke Rauchentwicklung aus diesem Zimmer beschrieben.

Die gerichtsmedizinischen Befunde weisen daraufhin, daß die Kinder nicht erst mit der Durchzündung zu Tode gekommen sind. Sie alle sterben an einer massiven Rauchgasvergiftung mit einem Gehalt von 65% und mehr Prozent Kohlenmonoxy im Blut und weisen massive sekundäre Verbrennungen und Verkohlungen auf.

d) Ausgehend von diesen zeitlichen Feststellungen lassen sich weitere eindeutige Schlüsse in Hinblick darauf ziehen, wann Feuer und Rauch das DG, insbesondere die Wohnung der Familie Bunga erreichte.

Monica Maiamba Bunga und ihre 7-jährige Tochter Nzusanna stürzen vom Dach bevor BGS und Polizei eintreffen und bevor die Bewohner des zur Hafenstraße gelegenen Flures des 1. OG (Westflur) das Haus verlassen. Die berichten, daß Frau Bunga mit ihrer Tochter schon auf der Straße lag, als sie das Haus verließen.

Aus dem Wortprotokoll des Funkverkehrs ergibt sich, daß BGS Florett 77/92 (Baumann/ Swoboda) um 3:46:15, Trave 90/51 (Metterhausen/ Quandt) um 3:46:52 und Trave 1/11 (Asmussen/ Hermann) um 3:46:58 Uhr eingetroffen sind. Zu diesem Zeitpunkt war Frau Bunga tot.

Sowohl die Zeugen des BGS als auch später eintreffende Beamte der Polizei und der Feuerwehr wie Rolf Steinfadt (HV 09.10.1996), der zusammen mit seinem Kollegen Frank Evert Frau El Omari rettete, und Stefan Tiedemann (HV 14.10.1996; Code 1.27.01- Ankunft 3:47 Uhr ) berichten, daß sich bei ihrem Eintreffen in der Hafenstraße noch Personen im 1. Stock befanden., zu einem Zeitpunkt also, als das Feuer und Rauchgase längst im 2. Stock/ Hofseite und im Dachgeschoß waren..

5. Gäbe es, wie von den SV Herdejürgen und v.Bebber behauptet, nur einen primären Brandausbruchsort im Westflur des 1. Stocks, wäre dieser Brandverlauf nicht nur ungewöhnlich, sondern ausgeschlossen.

Nehmen wir an, es wäre Benzin an dem behaupteten Ort im 1. Stock ausgegossen worden, von mir aus mit allen gelegten Benzin-, Öl-, Sprit- oder sonstigen brennbaren Flüssigkeitsspuren, mit Treppen hinunterrutschenden Dampfgaswolken, hinuntergetropften Benzinlachen und an imaginären Schwelbränden gezündeten Beinen: Warum stirbt Frau Makodila zuerst?

Nehmen wir von mir aus an, der Vorbau sei erst nach Eintreffen der Feuerwehr durch herabstürzende Treppen-/ Dach- oder sonstige Teile in Brand geraten, wie es die von der Staatsanwaltschaft so geschätzte Zeugin Groth gesehen haben will und vergessen wir die verkohlte und verkochte Leiche von Sylvio Amoussou einen Moment: warum sitzt Frau Agonglovi noch im Fenster, während Frau Bunga bereits tot am Boden liegt?

Und natürlich die Frage: wie kommt Amoussou zu seinen Verkohlungen, wenn es da unten eigentlich gar nicht gebrannt hat?

Aber dazu kommen wir später.

Man mag noch so viel Sympathie mit der Idee der Staatsanwaltschaft haben, daß sich die Ausländer in der Hafenstraße selbst angezündet haben: ihre Erklärung ist nicht gut, sie widerspricht der Logik.

Ganz ohne Zweifel hat es im Westflur des 1. OG heftiger gebrannt, als in der Wohnung Eid. Ganz ohne Zweifel gibt es ein Loch in der Decke zur Wohnung der Familie El Omari. Und auch die Verteidigung hat sich davon überzeugen lassen, daß die Klopapierrolle während des Brandes von einer Platte geschützt war, so daß es dort gar nicht durchbrennen konnte.

Wann also sind diese Schäden entstanden?

Der SV Ide hat als sich aufgrund der von dem Zeugen Danelzick in der HV gemachten Bekundungen, es habe sich Styropor an der Decke des Westflures im 1.OG befunden, darauf hingewiesen, daß Styropor bei 80 -110 °C schmilzt und ab 250 °C brennend abtropft. Das LKA selbst hat festgestellt, daß der Boden im Westflur aus einem Gummibelag bestand, der ohne Stützflamme selbstständig weiterbrennt.

Ob es nun einen zweiten primären Brandherd im 1. OG gegeben hat -wofür vieles spricht- oder ob sich das Feuer tatsächlich aus dem Treppenhaus vermittelt hat: Styropor an der Decke, Gummi am Boden und Holz an der Wand haben die Brandentwicklung in diesem Flur sehr wahrscheinlich befördert. Denn im Küchenbereich, wo aufgrund der Auflage des Brandschutzes im Jahre 1991 die Styroporplatten abmontiert werden mußten und ein PVC-Boden verlegt wurde, sind die Brandschäden denen in der Wohnung Eid vergleichbar.

Es reicht nicht, die Argumente von Sachverständigen überzeugend zu nennen, sie müssen auch überzeugend sein.

Die Erklärungen der Sachverständigen des LKA und des BKA, die sich nachweislich von vorneherein auf den 1. Stock als Brandausbruchsort festgelegt und den Vorbau nicht untersucht haben, haben die Verteidigung nicht überzeugt.

Daß die SV z.B.

die Durchbrennungen hinter der Eingangstür erst nach dem gemeinsamen Ortstermin am 04.12.1996 als gegeben angesehen haben;

daß im Hohlraum unter den Einbrandlöchern des Vorbaus der PID nicht eingesetzt wurde;

daß sich der SV v. Bebbern in der HV damit erklärte, er habe diese wesentliche Spur im Januar 1996 nicht bemerken können, weil wegen der Eiseskälte ein Wärmegenerator über die Löcher gestellt worden war, um die Suche nach Brandspuren im 1. Stock ermöglichen;

daß der SV Herdejürgen seinem Kollegen v. Bebber das Vorhandensein dieser Spuren verschwiegen hat;

daß der SV v.Bebber in der HV behauptet hat, die Löcher seien durch abbrennbares Kunststoffmaterial der Hauseingangstür entstanden, ohne die Zusammensetzung des Türrestes auch nur zu prüfen

oder daß der SV Herdejürgen in der HV zunächst behauptet hat, vor dem Haus in der Konstinstraße aufgehäufte Treppenteile hätten vormals im südlichen Teil des Eingangsbereiches vor dem Büro gelegen, wo sie während des Brandes hingestürzt seien, obwohl er diese da nie gesehen hat und auch keinerlei Erkenntnisse darüber hatte

spricht weniger für die Seriösität und Überzeugungskraft dieser SV.

Den noch heute im Haus nachprüfbaren Beweis dafür, daß die Theorie der SV Herdejürgen und v. Bebber, daß sich das Feuer über die zusammenbrechende Treppe in den Vorbau vermittelt hat, falsch sein muß, hat der SV Ide anhand der Lichtbilder 156, 157 in Spusi II und LiBi 25 und 26 in Spusi III erläutert: Die Rußanhaftungen an der Wand unter dem vom 1. zum 2. OG führenden Treppenband und die unverkohlten, noch frisches Holz aufweisenden Paßlücken für die Stufen in dem Treppenband beweisen, daß die Treppe an ihrem Platz war, als es von unten, vom Vorbau aus brannte.

Dies bestätigt die Aussage des Zeugen Steffen, der als Angriffstruppmann mit einem C-Rohr in den Vorbau eindrang und bis in den ersten Stock gelangte. In der HV vom 09.10.1996 berichtete er, er habe über sich gelöscht, als er die Treppe hoch ging, die Flammen seien über ihm gewesen. Er habe beim Hinaufgehen der Treppe nicht über heruntergefallene Treppenteile steigen müssen.

Daß der Zeuge Steffen die Treppe hat brennen sehen, spricht nicht gegen seine Wahrnehmungsfähigkeit. Zum einen hat der SV Kohnke vom LKA in der HV am 17.02.1997 erklärt: "Die Treppe ist eine Kunststeintreppe, die ihre Mucken hat. Wenn die Treppe sehr starker Brandzehrung ausgesetzt ist, verbrennen die Bindemittel." Die Verteidigung will dem SV in diesem Punkt nicht widersprechen. Zum anderen hat der Zeuge Steffen erklärt, daß flüssiges Bitumen von oben runtertropfte. Auch das mag den Eindruck erweckt haben, daß die Treppe brannte.

Auch ohne Berücksichtigung der verkohlten Leiche des Sylvio Amoussou spricht alles dafür, daß ein primärer Brandausbruchsort im Vorbau und zwar in dem Bereich der größten Brandzerstörung im Eingangsbereich. Daß es vielfältige Möglichkeiten gab, den Vorbau von außen in Brand zu setzen, ist in der HV ausführlich erörtert worden. Auch wenn die Hauseingangstür verschlossen gewesen und Sylvio Amoussou tatsächlich nicht Besitzer eines Schlüssels gewesen sein sollte, wäre ein Eindringen durch das "kleine Fenster" oder ein Einbringen von brennbarem Material durch den Briefkasten oder das schlichte Einwerfen des großen Frontfensters zur Konstinstraße hin jederzeit möglich gewesen. Die Ermittlungsbehörden haben alles getan, um diese Frage unaufklärbar zu machen.


III. Sylvio Amoussou

Der tote Sylvio Amoussou ist eines der wenigen -von der StA bei den Ermittlungen völlig unbeachteten- objektiven Beweismittel.

1. In der HV hat Prof. Oehmichen. als wesentliche Auffälligkeiten hat benannt:

Keine Kohlenmonoxydanreicherung im Blut

Keine wesentliche Rußbelastung der Atmungsorgane

Keine Fechterstellung

Die Leiche verkocht und rundum gleichmäßig stark verkohlt mit Ausnahme eines Schildes auf dem Brustkorb und der Rumpfrückseite

Hautreste am Gesäß

Besondere thermische Einwirkung im Stirnbereich

Einblutungen im Bereich der vorderen Weichteile auf Höhe des 6. und 7. Halswirbelkörpers und Ablösung mit diskreter epiduraler Einblutung der harten Spinalhaut auf Höhe des 2. HWS

Einen aufgelagerten Draht

Der SV hatte keinen Hinweis auf einen gewaltsamen, nicht natürlichen Tod, konnte dies aber wegen der massiven Beeinträchtigung des Körpers -auch im Bereich der Halsorgane- nicht ausschließen.

Nach Auffassung der Verteidigung spricht einiges dafür, daß Sylvio Amoussou auch nicht mittelbar durch den Brand in der Hafenstraße zu Tode gekommen ist. Die Auffindesituation der Leiche paßt in keinem Punkt zum Leichenbefund.

Wäre Amoussou am Auffindeort zusammengebrochen wäre, wäre -wie bei den anderen Leichen- zu erwarten gewesen, daß eine Körperseite weniger brandbelastet wäre. Sein Körper aber ist rundum völlig verkohlt, wie es nur bei einer stehend oder sitzend verbrennenden Person zu erwarten wäre. Dazu passen die an Rücken und Gesäß befindlichen Hautreste, aber nicht das auf dem Bauch befindliche Schild.

Die Inaugenscheinnahme des Hauses am 04.12.1996 hat ergeben, daß der Vorbau durchaus keinen "gleichmäßigen" Abbrand aufweist, sondern sich die stärksten Brandschäden im Türeingangsbereich finden. An der Stelle, wo in etwa Amoussou aufgefunden worden ist, finden sich keine derartig starken Brandschäden. Zwar ist die ehemals an der Wand vorhandene Paneele weggebrannt, aber es sind verkohlte Reste der Latte vorhanden, auf die die Paneelen Bretter aufgenagelt waren.

Warum ist Amoussou erheblich mehr verkohlt als alle anderen Leichen im Haus? Der Vorbau wurde von der Feuwerwehr am ehesten und schnellsten gelöscht.

Der aufgelagerte oder locker umgewundene Draht stimmt nach dem in der HV verlesenen Untersuchungsbericht des LKA vom 24.09.1996 (XV, 111-113) bezüglich des Durchmessers und analytisch nicht mit den ansonsten im Vorbau befindlichen Drähten überein.

Woran ist Sylvio Amoussou gestorben und wie kommt er in den Vorbau?

2. Das Gericht hat in seiner Zwischenbilanz am 23.04. erklärt, im Bereich der Spekulation sei in der Bandbreite vom Täter bis zum Opfer alles möglich. Die Verteidgung widerspricht dem.

Leider hat die Verteidgung vor lauter Interesse an der Aussage der SV Dr. Gerling zu verschwundenen Haaren und liegengelassenen Drähten vergessen, den SV zwei wesentliche Fragen zu stellen, die mit einiger Sicherheit darauf hinweisen, daß Sylvio Amoussou nicht Täter sondern Opfer ist.

a) Die eine Frage ist die nach der Bedeutung der laut Gutachten vom 23.01.1996 (SB Identifizierung Brandopfer Teil II, 270) "intensiv gespannten Harnblase mit reichlich wäßrigem Urin" und mit einem Inhalt von 540 ml (Bl. 272).

Die Verteidigung hat sich von SV bestätigen lassen, daß bei diesem Befund ein erheblicher Harndrang zu verpüren wäre. Allein dies scheint uns ein massiver Hinweis darauf zu sein, daß die vom Gericht benannte Möglichkeit des Täters ausscheidet. Jedenfalls scheint es uns hochwahrscheinlich zu sein, daß ein zur Tat schreitender Brandstifter zunächst seinem Harndrang folgen würde.

Die Verteidigung hat durch Befragung von SV die weitere Erkenntnis gewonnen, daß in der Regel Schockzustände zum Versagen der Schließmuskel und zum Entleeren der Blase führen.

b) Die zweite Frage war die nach der auffällig massearmen Milz. Das Gutachten vom 23.01.1996 weist bei Sylvio Amoussou ein Milzgewicht von lediglich 40 g aus. Normal ist dagegen bei einem ausgewachsenen Mann ein Gewicht dieses Organs zwischen 120 und 200 gr. oder mehr.

Die Befragung von SV hat ergeben, daß eine derartig kleine Milz äußerst ungewöhnlich und ein typischer Hinweis auf den Tod nach Ertrinken oder Ersticken ist. Beim Tod durch Ertrinken wird angenommen, daß durch ein besonderes Adrenalin, das Streßhormon Katycholamin eine Schrumpfung der Milz erfolgt. Beim sog. "trockenen Ertrinken" tritt eine reflektorische Atemlähmung ein, die u.U. mit Stimmritzenkrampf einhergeht und ein Eindringen von Flüssigkeit in die Lunge verhindert.

Beim Ertrinken wie beim Ersticken findet sich gleichermaßen eine ausgesprochen kleine Milz bei sonst gestauten Organen.

Was immer es bedeuten mag: das entspricht dem Befund bei Sylvio Amoussou.

Die Verteidigung stellt keinen Antrag zur weiteren Aufklärung des Todes von Sylvio Amoussou. Sie würde dies nur tun, wenn sie Safwan Eid irgendwie belastet sähe.

Nach Überzeugung der Verteidigung wird es Aufgabe der StA sein, die offenen Fragen dieses Verfahrens in andere Richtung weiter zu ermitteln.

Die Verteidigung beantragt den Freispruch für Safwan Eid.


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