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Die vergangenen fünf Prozeßtage brachten weitere Bestätigungen dafür, daß eine Brandlegung von außen jederzeit möglich gewesen ist. Nicht nur, daß ein Kind aus dem Brandhaus berichtitete, wie das kleine Fenster im Vorbau aufsprang, sobald ein Fußball dagegen flog - als weitere Möglichkeit kam jetzt auch der Briefkastenschlitz ins Spiel, der von außen in den Vorbau führte. Genau dahinter liegt eine Stelle mit besonders schweren Brandzerstörungen.
Die absurde Suche nach Motiven für eine Brandlegung durch Safwan setzte sich fort. Ein gescheiterter Autoverkauf wurde thematisiert, nach den "Männerbesuchen" einer bewohnerin gefragt. Der Zusammenhang zum Brand ist nicht ersichtlich.

Brandlegung durch den Briefkastenschlitz?

25. bis 27. Prozeßtag, 16.12.96 bis 02.01.97

Wir berichten aufgrund der wenigen Ereignisse zum Jahreswechsel insgesamt über fünf Verhandlungstage in diesem Prozeßinfo. Am 16.12. sollte eigentlich Kate Davidson vernommen werden, was allerdings aufgrund der unmöglichen Übersetzung scheiterte. Der ihr zugeteilte Dolmetscher gab sich zwar im altertümlichen Oxfordenglisch Mühe, mit Kates afrikanischem Dialekt kam er aber nicht zurecht.

Ausnahmsweise waren Staatsanwaltschaft und Verteidigung einmal einer Meinung, daß unter diesem Umständen eine weitere Vernehmung sinnlos ist. Der Verhandlungstag wurde abgebrochen, Kate Davidson wird im Frühjahr unter Hinzuziehung anderer Dolmetscher (für Englisch und der westafrikanischen Sprache Bassa) erneut vorgeladen.

Am 23. Dezember wurde nur ein formaler Verhandlungstag eingelegt, damit gesetzliche Fristen über Verhandlungspausen eingehalten werden. So war auch dieser Tag nach knapp fünf Minuten beendet, lediglich ein Strafregisterauszug über eine „Leistungserschleichung“ (sprich Schwarzfahren) von Safwan wurde verlesen.

Am 2. Januar fand dann wieder eine „richtige“ Verhandlung statt: Diverse Videoaufnahmen wurden den Prozeßbeteiligten und ZuschauerInnen über zwei Monitore vorgeführt: Aufnahmen der Löscharbeiten, der Leichenbergung, der kriminaltechnischen Untersuchungen, schließlich Aufnahmen der Brandleichen in der Gerichtsmedizin. Letzteres wurde für alle ZuschauerInnen zur Tortur, besonders für die Angehörigen der Opfer: Als Mitglieder der Familie El Omari beim Anblick des toten Rabia zusammenbrachen, legte Richter Wilcken eine halbstündige Pause ein, danach wurde mit Aufnahmen des hölzernen Vorbaus und der Leiche Sylvio Amossous fortgesetzt.

Für Laien konnten aus den Videos kaum Schlußfolgerungen gezogen werden, die Bewertung der Verteidigung und die Antwort der Staatsanwaltschaft hierauf sind dokumentiert.


28. Prozeßtag, Montag 06.01.97

Ahed Alias, ein zehnjähriger Schüler, der gemeinsam mit seiner Mutter und seinen Brüdern im Dachgeschoß des Brandhauses wohnte, war der erste Zeuge dieses Tages. Wegen des kindlichen Alters lief die Befragung anders ab als bei den übrigen Zeugen. Die Fragen von Staatsanwaltschaft, Verteidigung und NebenklägerInnen wurden zuerst an den Richter Wilcken gerichtet, der sie dann umformulierte und Ahed stellte. So sollte für das Kind eine Kruezverhör-Situation vermieden werden.

Was in einer erfrischenden Sprache und sehr gutem Deutsch berichtete, stützte an zentralen Punkten die Position der Verteidigung.

So berichtete er von der kleinen Scheibe am hölzernen Vorbau, die beim Fußballspielen immer wieder aufsprang, wenn ein Ball dagegen flog. Zwar sei sie einmal repariert worden, doch kurz darauf erneut leicht zu öffnen gewesen. Desöfteren habe er sich gemeinsam mit anderen Kindern aus dem Haus einen Spaß darausgemacht, aus dem Fenster herauszuklettern. Dafür seien sie einmal von dem Diakonie-Betreuer ausgeschimpft worden.

Überhaupt bezeichnete er das Zusammenleben im Haus als „schön”, er habe dort „viele Freunde” gehabt.

Safwan und seine Brüder haben bei der Rettung geholfen

In der Brandnacht sei er von seiner Mutter geweckt worden. Eine Flucht über das Treppenhaus sei wegen des Rauches, der beim Öffnen der Tür sofort eindrang nicht möglich gewesen. Seine Mutter habe dann an die dünne Zimmerwand geklopft, hinter der Safwan mit zwei seiner Brüder schlief. Diese hätten sie beruhigt und ihnen schließlich durch das Fenster auf den Dachsims geholfen.

Dabei habe Safwan seinen Bruder Ahmet festgehalten, Safwans Bruder Ghasswan ihn, bis sie schließlich von der Feuerwehr vom Dach gerettet wurden.

Sie alle hätten Ruß im Gesicht gehabt, sein Bruder, seine Mutter und Safwan besonders.

Abgeschwächte Aussagen

Khalil El O., Vater der Familie, die in den Medien geradezu zu Kronzeugen gegen Safwan aufgebaut werden, relativierte einige der Angaben, die insbesondere von seiner Frau gemacht worden waren.

Er bestätigte, daß es zwischen den BewohnerInnen keine Probleme gegeben hätte, man habe sich mit allen gegrüßt und sei freundlich gewesen.

In der Brandnacht bemerkte er Rauch in seiner Wohnung am Fußboden. Auf Nachfrage der Verteidigung mußte er allerdings einräumen, daß er nicht gesehen hat, woher dieser Rauch kam, insbesondere nicht, daß dieser Rauch aus dem Fußboden stieg. (Dies würde die These der Staatsanwaltschaft vom Brandherd im ersten Stock stützen, da dieser genau unter der Wohnung der El O. liegt)

Das Zusammentreffen mit Safwans Vater Marwan an der Brandruine im April schilderte Khalil so: Marwan habe gesagt, er habe zwischen 2 Uhr und 2.30 Uhr die Explosion einer Bombe gehört. Daraufhin habe sich Frau El O. sehr aufgeregt und "rumgeschrien": Du hattest über eine Stunde Zeit uns zu warnen, wir wären alle gerettet worden." Daß dies auf einem Mißverständnis beruhen muß, wurde deutlich, als Khalil erzählte, daß Marwan auch gesagt habe, er habe bis 2.30 Uhr nicht einschlafen können, weil Kinder der Familie Makodila über ihm noch Lärm gemacht hätten. Tatsächlich hat Marwan - auch im Prozeß - immer angegeben, nicht zu wissen, wann genau er die Explosion gehört habe, es müsse nach 2.30 Uhr gewesen sein, da er dann eingeschlafen sei.

Das Fenster im Vorbau

Das kleine Fenster im Vorbau, das nach Aussagen zahlreicher Zeugen leicht zu öffnen war, war nach Khalils Schilderung (wie auch anderer Mitglieder seiner Familie) immer zu. Seine Frau habe dieses fenster jedoch nicht am 17. Januar, sondern 3-4 Tage vorher zuletzt geputzt. Zuerst sagte Khalil nur von innen, nach der Mittagspause erst verbesserte er sich, auch von außen mit Hilfe einer Stange.

Interessant wurden dann seine Ausführungen zum Briefkasten, der eine Öffnung von außen in das Haus darstellte. (Siehe dazu Erklärung der Verteidigung vom 08.01.97)


29. Prozeßtag, Mittwoch 08.01.97

Der Prozeßtag begann mit zwei Erklärungen - eine von der Verteidigung (Erklärung der Verteidigung vom 08.01.97) und eine von der Staatsanwaltschaft, in der diese versucht, die Ausführungen der Verteidigung zur Auswertung der Videos zu entkräften. (siehe Antwort der Staatsanwaltschaft auf Erklärung der Verteidigung vom 06.01.97 zu Video)

Dann wird Marie A. in den Zeugenstand gerufen. Die 37jährige aus Togo wohnte mit ihrem drei Kindern seit 1993 im ersten Stock des Brandhauses. Wie bislang alle BewohnerInnen schildert sie das Zusammenleben im Haus als gut und freundschaftlich.

Flammenschein vom Vorbau ?

Mühe machte die Übersetzung, ob Marie Flammen oder nur Flammenschein gesehen hat, als sie aus ihrer Wohnungstür in den Flur des ersten Stocks blickte. Sicher war sie sich aber, daß nahe bei ihr keine Flammen waren - dort aber hat nach Darstellung der Staatsanwaltschaft der Brandherd gelegen. Den Flammenschein könnte sie durch ein Fenster des Flures von dem darutergelegenen brennenden Vorbau gesehen haben. Die Behauptung vom Brandherd im ersten Stock ist somit mit den Aussagen einer weiteren Zeugin unvereinbar.

„warum nicht auch Frauen?”

Einen breiten Teil der Vernehmung durch Staatsanwalt Böckenhauer nahm das Bohren nach möglichen Tatmotiven ein. Dabei wurde einmal mehr deutlich, wie sehr rassistische Zerrbilder den Gang der Ermittlungen bestimmten.

Ob Kate D., die auf dem gleichen Stockwerk wohnte, oft Männerbesuch gehabt habe? „Was meinen Sie mit Besuch? Warum schließen Sie nicht auch Frauen ein?”, war Maries treffende Antwort.

Das Stochern in Belanglosigkeiten, die nur in der Phantasie von Staatsanwälten ein Motiv für eine Brandlegung durch Safwan ergeben können, setzte sich noch fort. Safwan hatte Marie einmal ein Auto verkaufen wollen, das diese dann aber doch nicht genommen hatte. Ob dies nicht zu Streit geführt habe, wollte Böckenhauer wissen. Aber: „Davon war nichts zu spüren”

Erziehungsprobleme !?

Auch Maries 14jähriger Sohn Ray scheint die Staatsanwälte immer wieder zu Spekulationen anzuregen. Ob Sie Probleme mit der Erziehung habe und ob sie ihn schlagen würde? Die Antwort auf diese Frage verweigerte Marie nach Rücksprache mit ihrem Rechtsanwalt, der sie als Nebenklägerin in diesem Verfahren unterstützt.

Rays Schwierigkeiten mit den Betreuern von der Diakonie waren ebenfalls Thema der Befragung. Immer wieder wurde er - ob zu Recht oder Unrecht - für Streiche im Haus verantwortlich gemacht. So war er es, der an Sylvester durch einen Böller den Rauchmelder im haus auslöste, wodurch Marie erst erfahren hatte, das es eine solche Alarmvorrichtung in der Hafenstraße 52 überhaupt gibt. Es ging auch um Wandkritzeleien unddie Beschädigung von Zetteln am Büro. Was all dies mit dem Brand zu tun haben soll, blieb im Dunkeln.

Die gemeinsame Erklärung

Die Erklärung der Flüchtlinge, in der sie eine Täterschaft Safwans bestreiten und die einseitigen Ermittlungen kritisieren, ist auch von Marie unterschrieben worden. Wer diese verfaßt habe, wollten die Staatsanwälte von ihr wissen. Die Antwort, daß Antirassisten aus Hamburg die Ideen und Forderungen der Flüchtlinge lediglich aufgeschrieben haben, schien sie allerdings nicht zu befriedigen.

Was sie glaube, wer für den Brand verantwortlich sei, wurde Marie schließlich gefragt. Kurze Antwort: „Die Nazis”. Schließlich sei einige Zeit zuvor bereits einmal brennbare Flüssigkeit im Haus ausgegossen woren - auch hierin vermutete Marie einen Anschlagsversuch von außen.


Prozeßinfo Nr. 12, 10.01. 1997

Lübecker Bündnis gegen Rassismus
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Tel. 0451 - 70 20 748