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Kieler Nachrichten, 17.04.97

Verteidigung überraschte mit neuem Gutachter

Feuer im Gericht entfacht

Lübeck - Im Verlauf von 52 Verhandlungstagen im Lübecker Brandprozeß haben sich die Prozeßbeteiligten an manches gewöhnt. Doch daß jemand zu Demonstrationszwecken mitten im Gerichtssaal ein Feuer entfachen würde, überraschte denn doch. Die unterhaltsame Vorführung bildete den Auftakt eines weiteren Brandgutachtens, das der gestern von der Verteidigung überraschend präsentierte Sachverständige Rodger Ide erstattete.

Was dann folgte, war allerdings weniger spektakulär: Nach Ansicht des Gutachters, der früher als leitender Wissenschaftler im Kriminaltechnischen Dienst des britischen Innenministeriums tätig war, ist das Feuer in dem Asylbewerberheim an der Hafenstraße "zweifelsfrei" im hölzernen Vorbau des Erdgeschosses ausgebrochen. Des weiteren hält es der Sachverständige für möglich, daß der Brand sowohl im Erdgeschoß als auch im Flur des ersten Stocks ausgebrochen ist.

Mit seinen Annahmen widersprach Rodger Ide den zuvor gehörten Brandgutachtern von Bundeskriminalamt (BKA) und Landeskriminalamt (LKA), die den primären Brandherd ausschließlich im Flur des ersten Stocks festgestellt und andere Möglichkeiten kategorisch ausgeschlossen hatten. Dadurch seien die zum Teil sehr erheblichen Zerstörungen im übrigen Gebäude nicht zu erklären, sagte Ide. Im Gegensatz zu den anderen Gutachtern machte er jedoch keine exakten Angaben darüber, an welchen Stellen das Feuer entstanden sein könnte.

Dessen rapide Ausbreitung sei am ehesten dadurch erklärbar, so der Gutachter, daß sich die Flammen infolge eines relativ starken Luftzugs im Treppenhaus von unten nach oben gefressen hätten. Die Annahme des LKA-Gutachters, daß es im Vorbau erst gebrannt hat, nachdem von oben brennende Teile herabgestürzt seien, hält Ide für unwahrscheinlich. Und eine ausschließliche Brandausbreitung aufgrund von Benzin, welches brennend die Treppe hinabgeflossen sein soll, hielt der Brite ebenfalls für wenig plausibel. Dieses Szenario, das der Angeklagte Safwan Eid dem Hauptbelastungszeugen Jens L. geschildert haben soll, hatte der zuvor gehörte BKA-Gutachter dagegen ausdrücklich für möglich gehalten.

So lag der Wert des gestern erstatteten Gutachtens für die Verteidigung zweifellos auch darin begründet, Zweifel an diesem Teil der Aussage des Hauptbelastungszeugen zu schüren. Denn genau diese Details hatte die Lübecker Staatsanwaltschaft bei der Festnahme des jetzigen Angeklagten als "Täterwissen" gewertet.

Ide hatte im Dezember 1996 die Brandruine in der Hafenstraße bei einem Ortstermin des Gerichtes untersucht. Zudem hatte er vor einigen Wochen den Kaftan untersucht, den Safwan Eid in der Brandnacht getragen haben soll. Dort habe er keine Hitzespuren entdeckt, die beim Anzünden von Benzin zwangsläufig hätten entstehen müssen.

CHRISTIANE KRÜMPELMANN


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