nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Fri Sep  4 00:21:14 1998
 

Kieler Nachrichten 11.03.97

Brandprozeß: Gutachter Achilles kritisierte Kripo-Arbeit

Lübeck - Im Lübecker Brandprozeß haben seit gestern die Gutachter das Wort. Gestern erstattete der von der Verteidigung favorisierte Brandschutzexperte Ernst Achilles sein Gutachten. Fazit des Vortrags: Nach seiner Auffassung ist das Feuer im Flüchtlingsheim an der Hafenstraße im Eingangsbereich des Erdgeschosses ausgebrochen. Dort habe es die stärksten Brandzehrungen gegeben - und nicht, wie von Bundes- und Landeskriminalamt vermutet, im ersten Stock.

Eine ausreichende Belüftung habe dafür gesorgt, daß sich der Brand über die Treppe nach oben ausgebreitet habe. Im Fußboden des hölzernen Vorbaus hat Achilles überdies "drei tiefe Einbrennungen" festgestellt, eine davon unterhalb des früheren Briefkastens. Die Vermutung, "daß man dort etwas reingeworfen hat", so Achilles, lasse sich aufgrund der mangelhaften Spurensicherung nicht mehr verifizieren. Und daß Benzin, wie die Anklage unterstellt, brennend die Treppe hinuntergelaufen sei, schließe er aufgrund seiner Gefällemessungen aus.

Der Auftritt des mit Spannung erwarteten Sachverständigen lieferte darüber hinaus mehr Fragen als Antworten. Der gutachterliche Vortrag bestand über weite Strecken aus unsystematisch präsentierten Details: Mit zahlreichen Dias und Video-Aufnahmen hat der vereidigte Sachverständige für baulichen Brandschutz, Brandbekämpfung und Brandverhütung zwar eine beeindruckende Materialschlacht eröffnet. Den psychologischen Krieg um die entscheidende Frage, wo und warum das Feuer in der Hafenstraße ausbrach, hat Achilles jedoch längst verloren.

Seit Monaten sieht er sich mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe sich die Sache der Verteidigung frühzeitig zu eigen gemacht. Es hat Befangenheitsanträge gegen ihn gegeben, die vom Gericht abgelehnt wurden, sowie jenen Ortstermin an der Brandruine, bei dem die Verteidigung ihren britischen "Gehilfen" Rodger Ide zu Rate zog - nicht jedoch den ursprünglich favorisierten Ernst Achilles.

Daß sich der Sachverständige, der sich in Fragen des vorbeugenden Brandschutzes unbestritten hohe Verdienste erworben hat, in seinem Vortrag permanent darauf zurückzog, mehrfach die mangelnde Kooperation der Kripo beklagte und als "weiteres Arbeitserschwernis" zu Protokoll gab, er erhielte seit Monaten Drohbriefe aus dem rechtsradikalen Milieu, wirkte nur wie der Versuch, die eigenen Arbeitsergebnisse vorbeugend zu relativieren. Ob dieses Gutachten der Sache der Verteidigung gedient hat, darf man bezweifeln.

CHRISTIANE KRÜMPELMANN


[Lübeck - Hauptseite | Presse | Was gibt's Neues | Inhalt | Feedback ]