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Kieler Nachrichten 20.02.97

Lübecker Hafenstraßenprozeß:

Verzicht auf Abhör-Protokolle?

Lübeck - Im Lübecker Brandprozeß wankt ein Eckpfeiler der Anklage. Wann er einstürzt, scheint nur eine Frage der Zeit: Zum Auftakt des 40. Verhandlungstages erklärte der Vorsitzende Richter gestern, die Kammer plane, die Protokolle der abgehörten Gespräche des Angeklagten Safwan Eid mit Angehörigen als Beweismittel nicht zu verwerten. Es gebe, so der Richter, "möglicherweise" Bedenken an deren rechtlichen Zulässigkeit. Sofern ein Beweisantrag gestellt werde, werde die Kammer einen Beschluß fällen.

Die angedeutete Marschroute des Gerichts dürfte den Staatsanwälten jetzt Kopfzerbrechen bereiten. Denn die Protokolle enthalten Übersetzungen von sechs Gesprächen, die der damalige Untersuchungshäftling und jetzige Angeklagte im Februar 1996 mit seinen Brüdern und seinem Vater im Besucherraum der JVA geführt hatte.

Die Staatsanwaltschaft, die die Lauschaktion mit richterlicher Genehmigung startete, sah ihren "dringenden Tatverdacht" gegen Eid danach erhärtet, mußte ihren ursprünglich erhobenen Mordvorwurf jedoch fallen lassen. Laut Staatsanwaltschaft, die Eid nur noch wegen "besonders schwerer Brandstiftung" angeklagt hat, ergibt sich aus den Protokollen der Verdacht, Eids Angehörige hätten Zeugen beeinflußt.

Die anderslautende Lesart der Verteidigung basiert auf frappierend widersprüchlichen Versionen der aus dem Arabischen übersetzten Gespräche. Nach Angaben eines Dolmetschers soll Eid in der U-Haft unter anderem gesagt haben: "Wenn ich den Koran lese, erkenne ich meine Fehler. Ich weiß, was ich im Gebäude gemacht habe... Ich saß und dachte nach, wie das ist, was ich tat und bat meinen Herrgott um Verzeihung..." Einer seiner Brüder versicherte ihm nach dieser Version, er habe "alle zum Schweigen gebracht": "Alle Leute sind gekommen und haben ihre Zeugenaussagen verglichen, alle."

Ein zweiter Dolmetscher übersetzte diese Passage anders: Zum einen habe Eid gesagt, er habe keine Fehler gemacht. Zum anderen habe Eids Bruder lediglich geäußert: "Alle Welt ist mit Dir", also keineswegs davon gesprochen, daß er "alle zum Schweigen gebracht" habe.

Welche Version richtig ist, könnte nur ein weiteres, umfangreiches Kapitel der gerichtlichen Beweisaufnahme klären. Ob sich die Kammer darauf einläßt, scheint seit gestern mehr als fraglich. Zudem hatte der Bundesgerichtshof erst kürzlich entschieden, daß Lauschangriffe in bestimmten, nicht allgemein zugänglichen Räumen verfassungswidrig und als Beweismittel nicht zulässig seien.

CHRISTIANE KRÜMPELMANN


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