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Kieler Nachrichten vom 16.01.97

Lübecker Brandprozeß: Alles dreht sich um die Frage, wo das Feuer ausbrach

Zeuge geriet ins Schwimmen

Lübeck - Sie sind einander schon einmal begegnet, der Staatsanwalt und der Zeuge. Vor der noch qualmenden Ruine des ausgebrannten Asylbewerberheims in der Lübecker Hafenstraße gaben Michael Böckenhauer und Gustave Sossou der Tagesschau ein Interview. Seinerzeit war der aus Afrika stammende Asylbewerber Punktsieger. Mit der Äußerung, es habe im Haus keinen Streit gegeben, brachte er den Ankläger in arge Verlegenheit. Gestern, am 31. Verhandlungstag vor dem Landgericht, waren die Rollen anders verteilt: Böckenhauer fragte und Sossou kam ins Schwimmen.

Besonders deutlich wurde dies, als der 31jährige seine Version der Brandnacht schilderte. Er habe in der Wohnung seiner Cousine im 1. Stock des Hauses geschlafen, bis er von Rufen eines Mitbewohners aufgewacht sei. Im Flur, wo Gutachter von Bundes- und Landeskriminalamt den Brandherd vermuten, sei "nur wenig Rauch" gewesen. Er sei zunächst in Richtung Treppenhaus gelaufen, dann aber doch in das Zimmer einer Nachbarin gerannt und dort aus dem Fenster gesprungen.

Das kommt dem Vorsitzenden der Jugendstrafkammer merkwürdig vor. Rolf Wilcken hakt nach: "War es nicht so, daß vor dem Treppenhaus doch starker Rauch war, daß Sie sich veranlaßt gesehen haben, das Haus durch das Fenster zu verlassen?" Sossou erklärt: "Meine Reaktion war nicht bewußt." Außerdem habe er Licht bei der Nachbarin gesehen.

Immerhin: Diese Aussage deckt sich mit der Vernehmung seiner Cousine. Die 37jährige aus Benin stammende Frau hatte vor Gericht ebenfalls von Rauch, aber nicht von Feuer im Flur berichtet. Doch diese Aussage ist nach Ansicht der Staatsanwaltschaft "nichts anderes als der Versuch, den angeklagten Libanesen Safwan Eid zu entlasten, den sie nach eigenem Bekunden für unschuldig hält". Ihre Aussagen in der Hauptverhandlung widersprechen diametral ihren von einem Dolmetscher übersetzten Einlassungen bei der Polizei. Dort hatte die Afrikanerin mehrfach von einem Feuer im 1. Stock gesprochen und dieses sehr genau beschrieben.

In zwei Punkten gab der Zeuge Sossou der Staatsanwaltschaft jedoch Rückendeckung. Zum einen erklärte er, bei seiner Flucht aus dem Haus zunächst auf den Vorbau geklettert zu sein. Er könne sich nicht entsinnen, daß dieser zu diesem Zeitpunkt gebrannt habe. Probleme dürfte die Verteidigung künftig auch mit ihrer Theorie haben, daß der im Vorbau gefundene Tote vor seiner Verbrennung von unbekannten Attentätern gefesselt und gewürgt worden ist. Sossou berichtete nämlich, ihn noch im qualmenden Flur gesehen zu haben. Er habe gerufen: "Sie haben die Tür zugemacht." Sossou geht davon aus, daß sein Freund die Tür zum Treppenhaus gemeint habe. Stimmt das, dann hat er noch zu einem Zeitpunkt gelebt, zu dem er nach Version der Verteidigung schon längst hätte im Vorbau liegen müssen. KAI-UWE DREWS


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