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Kieler Nachrichten vom 05.12.96

Verteidigung im Lübecker Brandprozeß kam mit neuem Experten

Rundgang durch die Ruine

Lübeck - Bei der Suche nach Brandherd und Brandursache hat die Verteidigung des im Hafenstraßenprozeß angeklagten Libanesen Safwan Eid offenbar das Vertrauen in den Brandschutzsachverständigen Professor Ernst Achilles verloren. Während eines Ortstermins vor und in der Ruine des ausgebrannten Asylbewerberheims präsentierten die Anwältinnen Gabriele Heinecke und Barbara Klawitter dem Gericht gestern einen neuen Brandfachmann ihres Vertrauens: Der Brite Rodger Ide, dem Vernehmen nach ein ehemaliger Feuerwehrmann und Ex-Mitarbeiter des britischen Innenministeriums, inspizierte gemeinsam mit den Verteidigerinnen das Haus in der Lübecker Hafenstraße 52.

Dem Vorsitzenden Richter Rolf Wilcken wurde Ide zunächst als "Gehilfe" der Verteidigung vorgestellt. Denkbar ist, daß er später als sachverständiger Zeuge im Verfahren aussagen wird. Über eine theoretisch ebenfalls mögliche Bestellung zum Gutachter müßte im Falle eines entsprechenden Antrags das Gericht entscheiden. Professor Achilles, in der Vergangenheit nicht eben medienscheu, war gestern zu keinem Kommentar bereit. Er war seinerzeit auf Drängen der Verteidigung vom Gericht zum Gutachter bestellt worden.

Der Ortstermin, durch eine Tafel am Bauzaun ordnungsgemäß als "nichtöffentliche Sitzung des Landgerichts Lübeck" gekennzeichnet, wirkte insbesondere auf Fotografen und Kamerateams wie ein Magnet. Mehr als zwei Dutzend von ihnen verfolgten mit ihren Objektiven gebannt jede Bewegung jenseits der Absperrung.

Dort fiel zunächst das originelle Outfit der Prozeßbeteiligten auf. Die Staatsanwälte Bieler und Böckenhauer sorgten in ihren hellblauen Schutzanzügen sogar bei Gabriele Heinecke für Erheiterung. Mit dem Hinweis "rosa gab's leider nicht" schlüpfte sie in einen orange-blauen Einteiler zum Schutz vor Kälte und Nässe. Kurz darauf brach die Anwältin gemeinsam mit ihrem Mandanten, Böckenhauer und Richter Wilcken zum Rundgang durch die noch begehbaren Abschnitte des ehemaligen Asylbewerberheimes auf. Für den Richter war dies eine Premiere.

Wind und Wetter haben der Ruine in den vergangenen elf Monaten weiter zugesetzt. Ein heftiger Sturm scheint zu genügen, den bedenklich schiefstehenden Kasten zum Einsturz zu bringen. Aus diesem Grund müssen die Journalisten draußen bleiben. Dort, auf einer Steintreppe neben dem Hauseingang, erinnern drei vertrocknete Kränze an die grausame Nacht im Januar, als hier zehn Menschen in den Flammen ums Leben kamen. An einem Holzschuppen gegenüber haben sich Sprayer verewigt. "Safwan ist unschuldig" steht da in schwarzer Schrift. Und: "Bleiberecht für alle".

Unterdessen hat Michael Böckenhauer seine Inspektion abgeschlossen. Nachdem er sich - wie fast alle anderen Prozeßbeteiligten auch - aus einem Leiterkorb der Feuerwehr von oben ein Bild von der Brandstätte verschafft hat, diktiert er den Journalisten in die Blöcke: Die stärksten Brandzierungen habe es eindeutig im ersten Obergeschoß gegeben. Besonders interessant sei auch das (kaum beschädigte) Dach des (relativ guterhaltenen) hölzernen Vorbaus und die dahinterliegende Wand gewesen. Rückschlüsse aus diesen Beobachtungen will er nicht ziehen. Nur so viel: "Meine bisherigen Eindrücke haben sich bestätigt." Soll heißen: Für die Staatsanwaltschaft bleibt es dabei, daß das Feuer im ersten Obergeschoß ausgebrochen ist. Diese Version belastet den Angeklagten.

Auch Assia El-Omari, die einen Sohn in den Flammen verloren hat, läßt sich von der Feuerwehr in die Lüfte heben. Tränenüberströmt blickt sie durch ein Fenster der Wohnung, in der sie mit ihrer Familie vor dem Brand gelebt hat. Später überreicht ihr Heinecke mehrere Packen Fotos und persönliche Unterlagen, die sie auf Bitten von El-Omari-Anwalt Wolfgang Clausen aus der Wohnung der El-Omaris geborgen hat. Wieder fließen Tränen.
KAI-UWE DREWS


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