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Kieler Nachrichten vom 30.11.96

Ein anderes Verfahren als vor Gericht

Die Unterstützer des Angeklagten Safwan Eid gehen mit ihrer Kritik an dem Lübecker Prozeß in die Öffentlichkeit

Hamburg - Beim Hafenstraßenprozeß vor dem Lübecker Landgericht sitzt Safwan Eid auf der Anklagebank. Zu einer "Informationsveranstaltung über den Prozeß zum Brandanschlag" hat der junge Libanese in der letzten Reihe eines Hörsaals des Pädagogischen Instituts der Hamburger Universität Platz genommen. Seine Anwesenheit wird von den rund 200 Zuhörern, vom Studenten bis zum Alt-Gewerkschaftler, mit Beifall quittiert. Auch das Quartett auf dem Podium bekommt Applaus: Gabriele Heinecke, Verteidigerin von Safwan Eid, der Journalist Oliver Tolmein, Cornelia Kerth von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und Gisela Wiese.

Für die Vizepräsidentin der katholischen Menschenrechts-Organisation Pax Christi ist der Ausgang des laufenden Verfahrens bereits klar. "Nach allem, was bisher bekannt ist, kann es nur einen Freispruch geben." Sie erwarte, daß das Unrecht, das "dem tapferen Safwan Eid" angetan wurde, gutgemacht werde. Das findet auch das Publikum und spendet Beifall.

Dann kommt der Auftritt von Gabriele Heinecke. Sie zitiert eine Passage aus der Süddeutschen Zeitung: "Immer weniger eignet sich das Verfahren für linke Verschwörungstheorien". Genüßlich macht sich die Verteidigerin daran, diese These zu zerpflücken. Ohne zu stocken und ohne einen einzigen Versprecher referiert sie einen 30minütigen Potpurri aus Tatsachen, Halbwahrheiten, Mutmaßungen und Schlußfolgerungen. Am Ende steht die gleiche Behauptung wie zu Beginn: Die Lübecker Staatsanwaltschaft habe sich mit Safwan Eid einen Beschuldigten erfunden. Einseitig und schlampig geführte Ermittlungen sowie die Dauer des Verfahrens würden dazu führen, daß die wahren Täter nicht ermittelt werden könnten.

Wer aus ihrer Sicht die "wahren Täter" sind, sagt Frau Heinecke nicht. Zumindest nicht so, daß dies strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könnte. Stattdessen interpretiert sie den Inhalt von Ermittlungsakten, Gutachten und die bisherigen Zeugenaussagen so, daß die Zuhörer an der Täterschaft von vier jungen Männern aus Mecklenburg-Vorpommern (denen die Staatsanwaltschaft ein Alibi attestiert) keinen Zweifel mehr haben können. Deren Anwälte sind nicht eingeladen worden.

Daß der überwiegende Teil der Presse der Politisierung des Verfahrens zunehmend kritisch gegenübersteht, erklärt Heinecke mit einem "nationalen Konsens". Soll heißen: Es sollen doch lieber Ausländer sein, die einander angezündet haben. "Die Deutschen haben in ihrer Geschichte andere verbrannt." Im übrigen, sagt Frau Heinecke, sei ein Ausländer "völlig anders zu bewerten als ein deutscher Täter". Ausländer würden hierzulande schließlich noch immer in einer "unerträglichen Art und Weise behandelt".

Auch der Journalist Oliver Tolmein - für wen er arbeitet, bleibt im dunkeln - spricht seinen Kollegen eine unvoreingenommene Berichterstattung ab. Vielfach sei der Versuch zu erkennen, "der Schuldmythologie des ewig deutschen Täters entgegenzutreten". Das Motto laute: Man werde doch auch mal sagen dürfen, daß auch ein Türke ein Haus anzünden kann. Tolmein nennt den Prozeß "ein Verfahren von zentraler politischer Bedeutung". Darum komme man ohne die Unterstützung der Öffentlichkeit nicht aus. KAI-UWE DREWS


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