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Fri Sep  4 00:26:35 1998
 

Interview mit Gabriele Heinecke

Anwältin von Safwan Eid, geführt am 11.1.97 in Erfurt auf einer Veranstaltung der Projektgruppe Antinazismus der IG Medien in Zusammenarbeit mit HBV Thüringen u.a. Gewerkschaftsgliederungen.
Das Interview wurde geführt von einem Mitarbeiter der Projektgruppe Antinazismus der IG Medien.


[_private/nav-IG-m.htm]

Frage: In dem Prozeß gegen Safwan Eid, selbst Opfer des rassistischen Brandanschlages in Lübeck vom 18. Januar 1996, wird versucht Opfer zu Täter zu machen, wird versucht die deutsche Täter und somit das Ansehen Deutschlands in der Welt aus der Schußlinie zu nehmen. Da nicht sein kann, was nicht sein darf, wird durch Staatsanwaltschaft und Medien versucht ein Bild zu schaffen nach dem es angeblich normal sein soll, daß sich Flüchtlinge selbst anstecken.
Der Brandanschlags in Lübeck hat sich gerade zum ersten Mal gejährt. Der Prozeß gegen Safwan läuft nun bereits seit dem 16. September letzten Jahres. Sie sind überzeugt, daß Safwan ,ihr Mandant unschuldig ist. Warum?

Antwort: Der einzig belastende Punkt gegen Safwan Eid in diesem Verfahren war und ist die Aussage des Sanitäters L. Aber diese Aussage paßte von vorneherein nicht zur Theorie der Staatsanwaltschaft über Brandherd und Brandverlauf, so daß deren Argumentation selbst nie schlüssig war.
Um Safwan Eid zu inhaftieren, wurden zum einen von der Staatsanwaltschaft, zum anderen vom Amtsgericht Lübeck die sich aus den Ermittlungsakten ergebenden Sachverhalte verfälscht. So schrieb Staatsanwalt Dr. Böckenhauer in seinem Haftbefehlsantrag vom 20. Januar, Safwan Eid habe Streit mit dem Familienvater Gustave S. gehabt. Er habe, um sich zu rächen, Benzin gegen dessen Wohnungstür -die im 1.Stock liegt- gegossen, angezündet und das sei dann brennend die Treppe hinuntergelaufen und habe das Haus in Brand gesetzt. Aber bereitws einen Tag vorher, am 19. Januar, hatte eben jener Gustave S. ausgesagt, er sei als Cousin einer Hausbewohnerin zu Besuch in der Hafenstraße gewesen, Safwan Eid kenne er gar nicht und habe schon gar kein Streit mit ihm gehabt und vor seiner Tür habe es auch nicht gebrannt,. er habe nur Rauch gesehen. Später dann schreibt der Haftrichter dem Sanitäter die Aussage zu, Safwan Eid habe gestanden, im 1. Stock das Feuer gelegt zu haben. Auch dies war die reine Erfindung.
Ja, nachdem ich die Akten gelesen hatte, war ich überzeugt, daß Safwan Eid, der als Letzter der Hausbewohner vom Dach des Brandhauses gerettet worden ist, nicht der Täter ist.

Frage: Worauf geht der die Anklage gegen Safwan Eid überhaupt zurück, auf welcher grundlage wird versucht den unbedingten Verurteilungswillen gegen Safwan durchzusetzen ?

Antwort: Die Anklage stützt sich ausschließlich auf die Aussage des Sanitäters L. Ansonsten findet sich auch in der Anklage nichts, was geeignet wäre, Safwan Eid zu belasten. Ein “unbedingter Verurteilungswille” ist sicherlich bei der Staatsanwaltschaft vorhanden. Aber die Staatsanwaltschaft hat das Urteil nicht zu sprechen, sondern das Gericht.

Frage: Geht die Einstellung der Ermittlung in Richtung der vier Grevesmühlener Nazis auf diese Aussage zurück?

Antwort: Angeblich kannte man die Aussage des Sanitäters noch nicht, als man die vier Grevesmühlener Jugendlichen in den Vormittagstunden des 19.Januar frei ließ. Es muß etwas anderes gewesen sein, was zu dieser Entscheidung geführt hat, was der Verteidigung aber bis zum heutigen Tage nicht nachvollziehbar ist. Denn die Freilassung erfolgte, nachdem gerade der Gerichtsmediziner festgetsellt hatte, daß sich drei der vier Jugendlichen aus Grevesmühlen vor sehr kurzer Zeit die Haare -offenbar kollektiv- versengt haben. Erklärungen hierfür wurden nur von einem der Jugendlichen gefordert. Der behauptete, er habe versucht, mit Haarspray einen Hund zu versengen. Ein Sachverständiger des Landeskriminalamts sagt später dazu, dann hätte er sich den Sprühstrahl schon direkt ins Gesicht halten müssen. Die Staatsanwaltschaft dagegen behauptet später -am 8.Mai 1996- die Erklärungen der Jugendlichen über ihre Versengungen seien “plausibel” und “nachvollziehbar”. Alle Erklärungen sind inzwischen durch Untersuchungsberichte des Landeskriminalamts widerlegt. Die Staatsanwaltschaft hat trotzdem die Ermittlungen nicht wieder aufgenommen.

Frage: Worin bestehen die Hauptverdachtsmomente gegen die vier Grevesmühlener, die zunächst in der Nacht des Brandanschlages am Tatort festgestellt wurden ?

Antwort: Die Grevesmühlener Jugendlichen waren in der Nacht direkt vor dem Haus. Sie hatten frische Sengspuren im Gesicht und an den Haaren -wie der Gerichtsmediziner sagt, alle nicht älter als 24 Stunden. Auch ein Motiv ist ersichtlich: ein ehemaliger Mitbewohner von Maik W., der sich selbst “Klein Adolf” nennt und der am Abend des 17.Januar seine Freunde mit Hitlergruß empfangen haben soll, soll Anfang Januar 1996 gesagt haben, er werde in Lübeck etwas anzünden oder habe etwas angezündet. Sein Freund Dirk T. berichtet, seine Gruppe sei in Rostock dabei gewesen. Der nächste, Rene B., ist “völlig neutral” und hat nichts “gegen Juden, Neger, Ausländer oder auch Wessis”. Der vierte, Heiko P., meint der SPD nahezustehen und soll auf dem Rückweg nach Grevesmühlen geäußert haben, daß die, die so was machen, “deutsches Gut” versauen, im Kofferraum seines Pkw findet sich ein Baseballschläger.

Frage: Wie lassen sich die Ermittlungen am besten charkterisieren, hadelt es sich ihrer Meinung nach um Schlammperei oder um gezielte und systematische “Pannen” ?

Antwort: Für “Schlamperei” scheint es mir zu systematisch zu sein. Die Befragung der sog. “Spurensicherer” ergibt den Eindruck, daß man sich sehr schnell darauf festgelegt hatte, daß Brandausbruchsort der 1. Stock ist und weitere ernsthafte Untersuchungen danach nicht mehr angestellt wurden. Da wurde die Spanplatte, auf die Safwan Eid angeblich Benzin gegossen haben sollte, weggeworfen. Da wurden die innenliegenden Scherben von Fenstern nicht sichergestellt, geschweige denn untersucht. Da werden zusammengeschmolzene Metallklumpen vor der Haustür einfach weggworfen und dem Draht, der um die Leiche der im Eingangsbereich gefundenen Sylvio Amoussou “locker herumgewunden” ist, mißt man zunächst überhaupt keine Bedeutung zu. Und schauen sie in die Anklage. Da steht, ein Gutachten zum Tod des Sylvio Amoussou werde man nachreichen. Man hat sich bereits festgelegt, was interessiert da die Aufklärung des Todes von Sylvio Amoussou.

Frage:Es besteht ja die Gefahr, daß die Zeugen und Nebenkläger, also die Opfer des Brandanschlages, abgeschoben werden, um so das Verfahren zu lösen, da keine Betroffenen mehr in Deutschland sind.Können sie uns etwas über die derzeitige Situation sagen ?

Antwort: Soweit ich informiert bin, verfügen nur vier der ehemaligen Hausbewohner durch Anerkennung als Asylberechtigte über einen gesicherten Aufenthalt. Ein Großteil der Hausbewohner hat ihre Duldung aufgrund des laufenden Prozesses um ½ Jahr verlängert bekommen. Wenn der Prozeß vorbei ist und keine weitere Arbeit der Ermittlungsbehörden zur Aufklärung des Falles erfolgen, besteht die akute Gefahr der Abschiebung der Opfer. Ein Sachverhaltsaufklärung in einem eventuell gegen anderer Tatverdächtige geführtem Prozeß ist natürlich nur in Anwesenheit der ehemaligen Hausbewohner möglich. Ein wichtiger Zeuge aus dem 1. Stock ist bereits am 1. Mai letzten Jahres nach Nigeria abgeschoben worden. Den finden wir nie wieder.

Frage: Werden durch solche Prozesse und Anklagen Nazis zu weitern Verbrechen ermuntert?

Antwort: Die Art und Weise der Ermittlungen, des Erfindens von Alibis für die tatverdächtigen Grevesmühlener, der geradezu fürsorgliche Umgang mit ihnen, kann in der Tat die Täter nur zu weiterer Aktivität ermuntern.

Frage: Was geschieht bei einem Freispruch für Safwan und welche Auswirkungen hätte dies für die Staatsanwaltschaft ?

Antwort: Natürlich wäre ein Freispruch erst einmal eine Zäsur. Und sicherlich drängt sich dann noch schärfer auf, daß die wirklichen Täter noch frei rumlaufen. Trotzdem wird die Tragik der Sache sein, daß solange nicht die wirklichen Täter gefaßt sind- und angesichts der beschriebenen Arbeitsweise der Ermittlungebehörden ist das unwahrscheinlich- immer ein Makel an Safwan Eid hängen bleibt. Der Lübecker Brand wird mit dem Namen Safwan Eid verbunden bleiben. Er hat 5 ½ Monate in Haft gesessen und er steht inzwischen schon im vierten Monat vor Gericht. Vielleicht hat deshalb die Staatsanwaltschaft zu Beginn des Prozesses gesagt: Auch ein Freispruch wäre für sie keine Niederlage.

Frage: Was zeichnet ihrer Meinung nach den Prozeß gegen Safwan aus und hat ihrer Meinung der Prozeß einen politischen Charakter ?

Antwort: Der Prozeß zeichnet sich natürlich dadurch aus, daß zunächst dringend Tatverdächtige -mit Motiv und Sengspuren versehen- festgenommen und übereilt wieder entlassen werden und daß dann ein Flüchtling selbst der Tat bezichtigt wird. Allein die Tatsache, daß es sich um ein Flüchtlingsheim handelt, das in diesem Land mal wieder gebrannt hat, macht die Sache politisch. Es gab danach ja auch sofort die Diskussion um das menschenunwürdige Einpferchen von vielen Menschen auf engem Raum und ihre Isolierung, was Anschläge dieser Art erst möglich macht. Aber es ist auch als Politikum zu bezeichnen, wenn -wie hier geschehen- ein junger Mensch aufgrund eines verfälschten Sachverhalts inhaftiert wird und die tatverdächtigen Jugendlichen aus Grevesmühlen mit einem erfundenen Alibi auf freien Fuß gesetzt werden. Es wurde behauptet, die drei, die vor dem Haus festgestellt worden seien, hätten sich zum Zeit des Brandausbruchs 15 km entfernt an einer Tankstelle befunden. Nur weiß man erstens bis heute nicht, wann und wo der Brand ausgebrochen ist, zweitens konte nie eine genauere Beschreibung der Jugendlichen an der Tankstelle abgegeben werden, eine Gegenüberstellung fand nicht statt, und drittens war die Tankstelle in Wahrheit nur 6 km entfernt. Da drängt sich schon der Verdacht auf, daß es -wenn es keinen fachlichen Grund gab, die Grevesmühlener zu entlassen- einen politischen Grund gegeben haben könnte. Und es ist wohl auch eine Tatsache, daß es ein Aufatmen gab nach der Inhaftierung von Safwan Eid und versucht wurde, die, die gleich nach rechts geschaut hatten, als politisch etwas beschränkt und grundlos Voreingenommene darzustellen. Da war ein gewisser National-Konsens spürbar: die Deutschen sind nicht immer die Schlimmen.

Frage: Die Berichterstattung der deutschen Medien zum Prozeß gegen Safwan Eid ist größtenteils von Verwirrung stiften und Verbreiten der Versionen und Einschätzungen der Staatsanwaltschaft bestimmt. So daß es schwer ist für die interessierte demokratische Öffentlichkeit zu informieren.Was fiel ihnen bei der allgemeinen Medienberichterstattung am meisten auf ?

Antwort: Ein Großteil der Presse berichtet tatsächlich häufig genau das Gegenteil von dem, was tatsächlich in der Verhandlung gelaufen ist. Nachdem immer klarer geworden ist, daß es gegen Safwan Eid nichts mehr gibt, begnügte man sich mit Überschriften wie “Neue schwere Belastungen gegen Safwan Eid”, etwa weil die Hausbewohnerin O. -ganz neu in der Hauptverhandlung- in der Brandnacht unter sich Streit in afrkanischer Sprache gehört haben will. Ob nachvollziehbar oder nicht, alles wurde zu Lasten von Herrn Eid interpretiert. Weiter wurde die Verteidigung massiv angegriffen, sie politisiere das Verfahren und -so Frau Friedrichsen im “Spiegel”- wolle gar die ganze Asylgesetzgebung in diesem Prozeß auf die Anklagebank setzen. Der Absurditäten gab es kaum Grenzen. Auch dies scheint mir etwas mit dem schon zitierten National-Konsens zu tun zu haben. Wer Beschuldigtenrechte eines Ausländers -der in der Öffentlichkeit längst vorverurteilt ist- massiv verteidigt, ist Nestbeschmutzer.

Frage: In welchem politischen Zusammenhang mit der Entwicklung der BRD sehen Sie die Vorgänge um den Prozeß in Lübeck?

Antwort: Es gibt seit mehr als 15 Jahren eine kontinuierliche Verschärfung des Ausländer- und Asylrechts. Das Menschenbild, das von Ausländern in diesem Land gezeichnet wird, ist unerträglich und davon geprägt, daß sie heute nicht mehr als vollwertige Menschen akzeptiert werden. Durch ihre Unterbringung, ihre dramatische Unterversorgung in allen gesellschaftlichen und sozialen Bereichen, hat man sie zu Parias gemacht. Das hat nach meiner Überzeugung über die Jahre zu einer verhängnisvollen Bewußtseinsänderung in der Bevölkerung geführt.

Frage: Es heißt immer wieder, daß die rassistsichen Anschläge offiziell zurück gehen und kaum ein Brand in einem Flüchtlingsheim, nach dem es nicht zu gleich von offizieller Seite her heißt “keine fremdenfeindlicher Hintergrund”, wie schätzen sie diese Aussagen ein?

Antwort: Ich bin natürlich keine Expertin in Statistik. Aber ich schaue mir die offiziellen Zahlen der Bundesregierung zu dieser Frage an und vergleiche mit dem, was täglich passiert. Mir scheint, daß in der letzten Zeit eine Umdefinition stattgefunden hat von dem, was “ausländerfeindlich” und “rechtsextrem” ist. Es gibt ja nicht weniger Anschläge. Es wird nur behauptet, diese hätten einen anderen Hintergrund. Das mag auch daran liegen, daß sich die inhaltlichen Positionen verändert haben. Positionen, die vor 10 Jahren nur die DVU vertrat, sind heute zwanglos von der CDU oder auch von der SPD übernommen worden.

Frage: Sie haben bereits zuvor den National-Konsens angesprochen, was meinen sie damit ? Steht dahinter auch das Aufatmen fast des ganzen Landes als Safwan als vermeindlicher Täter präsentiert wurde, die Angst um das “Ansehen Deutschland in der Welt” und ähnliche Phänomene ?

Antwort: Gleich nach dem Brand äußerte Bundespräsident Herzog, es gehe im nun langsam die Geduld aus, wenn sich herausstellen sollte, daß es sich wieder um einen rechtsradikalen Anschlag gehandelt haben sollte. Und die Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, Frau Heide Simonis, bedauerte öffentlich “die armen Lübecker”. Diese Gefühlsregungen haben sich in der Presse jener Tage und in der Sorge um den Standort Deutschland wiederholt und sind, so scheint mir, auch in der Bevölkerung recht verbreitet. Meiner Überzeugung nach, ist der Zeitpunkt, die Geduld zu verlieren, schon etwas länger gekommen. Es gibt inzwischen täglich gewalttätige Übergriffe gegen “andersartige” Menschen, ob sie nun Ausländer genannt werden oder Behinderte. Da wird geschlagen, gestochen, geschossen und angezündet. Da sollte man sich nicht mehr in Geduld üben, da sollte man etwas dagegen tun.