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aus Hamburger Abendblatt 25.07.1998

Babylonisches Sprachgewirr
Die Abhörprotokolle: Was Safwan Eid da wirklich gesagt hat, darüber streiten die Übersetzer
Von CHRISTIANE KRÜMPELMANN
Lübeck - Die Ergebnisse einer richterlich genehmigten Lauschaktion, die das Lübecker Landgericht im Prozeß gegen Safwan Eid letztlich nicht verwertet hatte, waren in dem Verfahren höchst umstritten. Im Kern geht es um Übersetzungen von insgesamt sechs Gesprächen, die der damalige Untersuchungshäftling Safwan Eid im Januar und Februar 1996 mit seinen beiden Brüdern und seinem Vater im Besucherraum der Lübecker Justizvollzugsanstalt geführt hatte.
    Insgesamt vier Dolmetscher, davon zwei hauptamtliche, hatten teilweise frappierend widersprüchliche Versionen aus dem Arabischen übersetzt. Daß die Tonbandaufzeichnungen in weiten Passagen unverständlich waren, machte den Übersetzern die Arbeit schwer. Immer wieder findet sich in den Protokollen der in Klammern gesetzte Hinweis "Unverständlich". Der tatsächliche Inhalt der Gespräche wurde nie von Gutachtern geklärt.
   Die Lübecker Staatsanwaltschaft hatte sich in ihrer 103seitigen Anklage auf eine Übersetzung gestützt, aus der sich nach ihrer Auffassung der Verdacht ergab, Eids Angehörige hätten Zeugen beeinflußt. Demnach soll einer von Eids Brüdern dem damaligen Untersuchungshäftling versichert haben, er habe "alle zum Schweigen gebracht": "Alle Leute sind gekommen und haben ihre Zeugenaussagen verglichen, alle." Der zweite Dolmetscher verstand dieselbe Passage ganz anders. Danach soll Eids Bruder lediglich geäußert haben: "Alle Welt ist mit Dir."
    In den Protokollen findet sich eine Vielzahl weiterer Widersprüche, mit denen sich nun das Kieler Landgericht befassen muß.
   Laut Anklage soll Eid zum Beispiel gesagt haben: "Wenn ich den Koran lese, erkenne ich meine Fehler. Ich weiß, was ich im/mit dem Gebäude gemacht habe . . ." Der zweite Dolmetscher hielt es dagegen für möglich, daß Safwan Eid, der bei dem Brand Verbrennungen an beiden Ohren davongetragen hatte, statt von "Gebäude" von "Ohren" gesprochen hatte. Beide Worte klängen im libanesischen Tripoli-Dialekt ähnlich.
    Zu der nahezu babylonischen Sprachverwirrung, die nur ausgewiesene Orientalistik-Experten erhellen können, gesellen sich etliche offenbar unumstrittene Gesprächspassagen, in denen Safwan Eid immer wieder seine Unschuld beschwört: "Ich lebe hier seit fünf oder sechs Jahren. Ich habe noch keinem Menschen eine Ohrfeige gegeben. Ich habe keinen Mut, einen Apfel zu stehlen . . ." An anderer Stelle beharrte der junge Libanese: "Bei Gott, ich bin unschuldig . . . Wie kann ich jemanden töten, ich bin unschuldig."
    Die Anklagebehörde hatte die Lauschaktion zuvor pflichtgemäß richterlich genehmigen lassen. Intern war das Abhören gleichwohl nicht unumstritten. Die Staatsanwaltschaft ließ die Lauschaktion in der Lübecker JVA seinerzeit abbrechen, nachdem die Maßnahme publik geworden war.
   Gleichwohl erkannten die Staatsanwälte Indizien für eine Täterschaft des früheren Hausbewohners. Den ursprünglichen Mordvorwurf stuften sie allerdings auf besonders schwere Brandstiftung zurück; am Ende beantragten sie selbst einen Freispruch mangels Beweisen. Als Begründung führten sie auch die Nichtverwertung der Abhörprotokolle an, wogegen das Landgericht sich scharf verwahrte: Bei der Entscheidung gegen die Verwertung der Protokolle hatte die Kammer sich unter anderem auf ein damals aktuelles BGH-Urteil gestützt, das die Bundesrichter vor der Ära des mittlerweile beschlossenen Großen Lauschangriffs gefällt hatten: Das Abhören in bestimmten, nicht allgemein zugänglichen Räumen wurde demnach als verfassungswidrig eingestuft.
    Ob der erweiterte Schutz der Privatsphäre auch für den Besucherraum einer JVA gelte, blieb unter den Lübecker Prozeßbeteiligten umstritten. Nach dem Freispruch hatten die Staatsanwälte auf eine Revision verzichtet: Auch bei einer Wiederaufnahme des komplizierten Verfahrens bestünden Zweifel an einer Verurteilung des Angeklagten, äußerte die Lübecker Staatsanwaltschaft damals wie heute. Was implizit darauf hindeutet, daß selbst die Anklagebehörde die umstrittenen Abhörprotokolle für nicht annähernd so beweiskräftig hält wie jene Nebenkläger, die das Urteil im Brandprozeß jetzt zu Fall brachten.


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