nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Fri Sep  4 00:27:11 1998
 

An das
Landgericht
Lübeck

2 a KLs (29/96)

24.02.1997

In der Strafsache
g e g e n
Safwan E i d

wird beantragt,

die Staatsanwaltschaft anzuweisen, ihren Hilfsbeamten zu untersagen, prozeßbegleitende Ermittlungen durchzuführen
hilfsweise,
beim leitenden Oberstaatsanwalt der StA bei dem LG Lübeck darauf hinzuwirken, daß StA Dr. Böckenhauer abgelöst wird.

Am letzten Prozeßtag, dem 19.Februar 1997, fand die Verteidigung morgens diverse Konvolute vor. Bei einem handelt es sich um den Rest des Bandes XX mit “prozeßbegleitenden Ermittlungen” der Staatsanwaltschaft zum “Komplex LN-Zusteller”; beim anderen um den Band XXI mit “prozeßbegleitenden Ermittlungen” der Staatsanwaltschaft zum Komplex Berufsbildungsstätte (Sonderband Berufsbildungsstätte). Das weitere sind Unterlagen betreffend der von der Verteidigung beantragten und dem Gericht am 07.02.1997 beschlossenen Beiziehung sämtlicher Unterlagen und Beweismittel der BKI Lübeck, die Bezug zum vorliegenden Verfahren haben.

Im Band XXI, Bl. 10 ist in einem Schreiben vom 14.01.1997 des KHK Stebner (K 1 - SoKo 1/96 ) nicht nur zu lesen, daß Safwan Eid der hier verhandelten Tat angeblich “dringend verdächtig” sei, sondern auch, daß “die Restbestände der SoKo 1/96 (..) momentan die prozeßbegleitenden Ermittlungen in dieser Sache durch(führen).” Das mit der fälschlichen Behauptung des “dringenden Tatverdachts” versehene Schreiben wurde mit dem Ersuchen um Zeugenvernehmungen der ehemaligen Kursteilnehmer der Berufsbildungsstätte an die Bezirkskriminalinspektionen Itzehoe, Flensburg und Kiel, an das Kriminalkommissariat 42 in Hamburg, an 6 Kriminalpolizeistellen und 6 Kriminalpolizeiaußenstellen verschickt.

Die im Band XXI ebenfalls befindlichen Zeugenvernehmungen der Kursteilnehmer der Berufsbildungsstätte aus Januar 1996 enthalten höchst exakte -teilweise mit Zeiten belegte- Angaben über die frühe Phase des Brandverlaufes vor dem Eintreffen von Polizei und Feuerwehr. Ein Großteil der vernommenen Zeugen berichten von dem früh oder gar als erstes in hellen Flammen stehenden Vorbau, von lautem Schreien, Klirren von Scheiben oder davon, kurz nach dem Schreien einen Knall gehört zu haben.

Außer - bei Annahme des günstigeren Falles- mit Schlamperei und Desinteresse an entlastenden Ermittlungsmaterial in der Sache gegen Safwan Eid ist die um ein Jahr verspätete Vernehmung der Zeugen aus der Berufsbildungsstätte durch die Ermittlungsbehörden nicht zu erklären. Es hätte sich im Januar des letzten Jahres geradezu aufgedrängt, auch andere Personen aus der Berufsbildungsstätte als Zeugen zu vernehmen. Denn der Zeuge Ronny Bittner hatte am 26.01.1996 in seiner Zeugenvernehmung (Bd. V, Bl. 30) mitgeteilt: “In der Nacht des Schadensfeuers wurden wir alle von dem Mike Preuße geweckt”.

Mit den in Band XXI befindlichen Aussagen der Lehrgangsteilnehmer hätte sich der Haftbefehl mit der Behauptung, das Feuer habe im 1. Stock des Hauses Hafenstraße 52 begonnen, kaum halten lassen. Möglicherweise war StA Dr. Böckenhauer mit der Nachvollziehbarkeit und Plausibilität von Alibis der Jugendlichen aus Grevesmühlen so beschäftigt, daß er keine Zeit für die naheliegensten Ermittlungstätigkeiten fand.

In den Unterlagen betreffend der Beiziehung sämtlicher Unterlagen und Beweismittel der BKI Lübeck findet sich ein Schreiben den EKHK Giesenberg (K 1 - SoKo 1/96) vom 18.02.1997, in dem er entgegen dem Beschluß des LG Lübeck vom 07.02.1997 die -von wem getroffene?- Entscheidung bekannt gibt, daß “die nachfolgend aufgeführten Unterlagen (..) im K 1 (verbleiben), da diese jeweiligen Ermittlungen noch in aktueller Bearbeitung sind.” Es handelt sich um Spur 63, Sonderband Berufsbildungsstätte, Sonderband Feuerwehrbefragung zum aufgehebelten Bürofenster, sowie einen Ermittlungsauftrag Sozialamt/ Unterbringungsprobleme Fam. Eid.

Die Verteidigung beobachtet seit Beginn des Verfahrens, daß die Staatsanwaltschaft -wohl in Eingeständnis der Unhaltbarkeit ihrer Anklage- trotz Abschluß der Ermittlungen seit dem 08.Mai 1996 versucht, mit immer neuen Ermittlungen nachzubessern. Es wurde nachermittelt, vorweg vernommen und -wie aus den jetzt überreichten Unterlagen ersichtlich- prozeßbegleitend ermittelt. Dabei orientiert man sich ausweislich des Bandes XXI jeweils am “heutigen Stand des Verfahrens”. Wenn Polizei oder Staatsanwaltschaft meinen, das Gericht kläre nicht in die richtige Richtung auf, werden eigene Ermittlungen nach Gutdünken nachgeschoben. Es findet neben der gerichtlichen Beweisaufnahme eine weitere Beweisaufnahme statt.

Ermittlungsverfahren zum Zwecke der Prozeßbegleitung sieht die StPO nicht vor.

Die Nachermittlungen, Vorwegvernehmungen oder prozeßbegleitende Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Polizei sind nicht nur Verstoß gegen die Rechte des Angeklagten aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens. Sie sind insbesondere eine massive Mißachtung der Tätigkeit des Gerichts und seiner durch die StPO vom Gesetzgeber übertragenen Aufgaben. Gem. § 244 Abs. StPO hat nach Eröffnung des Hauptverfahrens das Gericht von Amts wegen bezüglich aller Tatsachen und Beweismittel aufzuklären, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Prozeßbegleitend geführte Ermittlungen sind vielfältig geeignet, diese Aufklärungsarbeit zu behindern bzw zu stören.

Sollte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, Dr. Böckenhauer, nicht in der Lage oder willens sein, die gegen die Grundsätze der StPO verstoßenden prozeßbegleitenden Ermittlungen zu unterbinden, sollte auf dieAblösung dieses Staatsanwalts hingewirkt werden.

Heinecke Klawitter
Rechtsanwältin Rechtsanwältin