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junge Welt Interview

27.08.1999
Erstaunliche Ermittlungspannen?
jW sprach mit Gabriele Heinicke, Verteidigerin von Safwan Eid

* Am kommenden Freitag beginnt vor dem Landgericht Kiel erneut ein Prozeß gegen den Libanesen Safwan Eid. Trotz Freispruchs durch das Landgericht Lübeck am 30. Juni 1997 wird Safwan Eid vorgeworfen, für den Brandanschlag in der Lübecker Hafenstraße verantwortlich zu sein, bei dem in der Nacht zum 18. Januar 1996 zehn Menschen starben und 38 verletzt wurden. Zur Tatzeit befanden sich am Tatort junge Männer aus Grevesmühlen mit frischen und für Brandleger typischen Versengungen am Kopf. Das Ermittlungsverfahren gegen die vier wurde erneut eingestellt. *

F: Wie kam es zu einem neuen Prozeß gegen Safwan Eid ?

Dieser Prozeß ist völlig überflüssig. Schon jetzt ist klar, daß es auch vor dem Landgericht Kiel zu einem Freispruch für Safwan Eid kommen muß. Die Schwurgerichtskammer in Lübeck hatte richtigerweise abgelehnt, die Tonbänder des gegen Safwan Eid in der Untersuchungshaft geführten Lauschangriffs als Beweismittel zuzulassen. Dies hatte eine als Nebenkläger auftretende Familie in der Revision gerügt und damit dem Bundesgerichtshof Gelegenheit gegeben, auszusprechen, was bundesweit mit der Verabschiedung der Gesetze zum Großen Lauschangriff schon Wirklichkeit geworden war. Der Bundesgerichtshof hat erklärt, eine Besucherzelle in einem Gefängnis sei keine Wohnung im Sinne des Grundgesetzes. Dort geführte Gespräche könnten grundsätzlich abgehört werden.

In den Gesprächen mit den Verwandten im Februar 1996 gibt es aufgrund des Fastenmonats Ramadan umfangreiche religiöse Beteuerungen. Safwan Eid selbst wiederholt immer wieder seine Unschuld. Die Staatsanwaltschaft hatte 1996 eine Übersetzung eines vom Bundeskriminalamt verpflichteten Dolmetschers vorgelegt. Der behauptete, ein gerade aus dem Libanon eingereister Bruder habe erklärt, alle zum Schweigen gebracht zu haben; Safwan Eid habe gesagt, er wisse, was er im Gebäude gemacht habe. Abgesehen davon, daß der Inhalt der Tonbänder nie belastend war, liegt jetzt eine Übersetzung eines Berliner Sachverständigen vor, in dem die nach Ansicht der Staatsanwaltschaft belastenden Teile gar nicht mehr vorkommen. Es bleibt nichts.

F: Gibt es denn außer den Abhörprotokollen noch weitere Indizien?

Die Abhörprotokolle deuten nicht auf Safwan Eid als Täter hin. Was belastend genannt werden darf, sind die Behauptungen des Sanitäters Leonhardt, der sich nach dem Lübecker Verfahren sehr an die Öffentlichkeit gedrängt hat. Er behauptet, Safwan Eid habe in einem mit Verletzten aus dem Haus besetzten Bus gesagt: »Wir warn's«.

F: Es gibt Gerüchte, nach denen ein Nebenklagevertreter im Jahre 1997 einen der rechtsradikalen Jugendlichen aus Grevesmühlen verteidigt hat.

Am 10. April 1997 fand vor dem Amtsgericht Lübeck gegen drei der vier in der Brandnacht anwesenden Grevesmühlener ein Verfahren wegen eines in der Brandnacht begangenen Autodiebstahls statt. Marco K. wurde durch Rechtsanwalt Haage verteidigt, der in unserem Verfahren eine Nebenklägerin vertritt.

F: Was ist aus den Ermittlungen gegen die rechtsradikalen Grevesmühlener geworden?

Das Verfahren ist von der Staatsanwaltschaft Lübeck zum wiederholten Male eingestellt worden. Gebetsmühlenhaft wird behauptet, die hätten ein Alibi. Das ist ganz einfach falsch.

F: Der erste Prozeß wurde von einer »Internationalen Unabhängigen Kommission«, die mit prominenten europäischen Juristen besetzt war, begleitet. Die Kommission hat damals erhebliche Mängel der Tätigkeit der Ermittlungsbehörden kritisiert. Wird dies auch diesmal Thema im Prozeß sein?

In dem Verfahren vor dem Landgericht Lübeck wurde offengelegt, wie einseitig die Ermittlungen geführt wurden. So wurden Spuren vernichtet, die auf einen Brandanschlag von außen hätten hindeuten können. Nach der Spurenvernichtungstätigkeit der Sonderkommission waren Untersuchungen durch unvoreingenommene Sachverständige erheblich erschwert. Die Ermittlungen von damals sind durch Ablauf der Zeit nicht besser geworden.

F: Wie wird das Verfahrens vor dem Landgericht Kiel verlaufen?

Nach den bisherigen Äußerungen und den Ladungsverfügungen des Gerichts werden zunächst Polizeibeamte aus Lübeck und Sachverständige des Landeskriminalamts Kiel geladen. Die werden dann gebeten, alles vorzutragen, was Safwan Eid belasten könnte. Ende September sollen dann der für das BKA tätige Dolmetscher Yachoua und der Sprachsachverständige aus Berlin zum Inhalt der Tonbänder gehört werden. Danach hofft das Gericht, einen Überblick zu haben, ob eine Verurteilung möglich ist. Sollte das so eingeschätzt werden, soll danach die eigentliche Beweisaufnahme beginnen.

F: Ist das üblich?

In bezug auf dieses Verfahren kann man in den wenigsten Punkten von »üblich« sprechen. Das vom Gericht geplante Vorgehen ist geeignet, wieder eine Menge Schmutz öffentlich über Safwan Eid ausschütten zu lassen. Auch bei einem zweiten Freispruch wird das an ihm hängenbleiben.

F: Worum wird es am ersten Prozeßtag gehen?

Am 3. September sind zwei Beamte der Sonderkommission geladen, u.a. derjenige, der den Sanitäter vernommen hat. Sie sollen vortragen, was die Ermittlungen Belastendes gegen Safwan Eid ergeben haben.

F: Welche politischen Auswirkungen könnte der neue Prozeß haben?

Die politischen Auswirkungen sind mit der Inhaftierung von Safwan Eid am 20. Januar 1996 und der öffentlichen Reaktion auf die Medienarbeit der Staatsanwaltschaft längst eingetreten. Safwan Eid war schnell als der Brandleger von Lübeck vorverurteilt, obwohl alle wußten, daß die Jugendlichen aus Grevesmühlen zur Tatzeit am Tatort waren. Gerade bei den Verfahren, bei denen es um Anschläge auf Ausländerwohnungen geht, kommt es immer wieder zu erstaunlichen Ermittlungspannen, ob in Stuttgart, Solingen, Hattingen, Erbendorf oder Lübeck. Es hinterläßt den Eindruck von Systematik. Gegenwartsbewältigung nach dem »Modell Lübeck« diente - erfolgreich - zu nichts anderem als der Vorbereitung der nächsten Gewalttat.

Interview: Alyn Beßmann, Hamburg

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