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junge Welt Inland

25.07.1998
Neuer Prozeß zum Lübecker Brand
Bundesgerichtshof hob Freispruch für Safwan Eid auf

Safwan Eid wird erneut wegen des Lübecker Brandanschlages angeklagt. Der Bundesgerichtshof verwarf am Freitag ein Urteil des Lübecker Landgerichts, mit dem der 21jährige Libanese am 30. Juni vergangenen Jahres mangels Beweisen freigesprochen worden war und verwies den Fall an das Landgericht Kiel. Als Begründung der Wiederaufnahme des Verfahrens gaben die Karlsruher Richter die Nichtzulassung von Abhörprotokollen an, deren Auswertung theoretisch zu einer Verurteilung Eids hätte führen können.

Die Staatsanwaltschaft hatte den Angeklagten beschuldigt, in dem von ihm mitbewohnten Asylbewerberheim im Januar 1996 einen Brand gelegt zu haben, bei dem zehn Menschen starben und 38 weitere verletzt wurden. Die Lübecker Kammer hatte jedoch heimliche Tonaufzeichnungen von Gesprächen des Angeklagten mit seiner Familie als unstatthaft angesehen. Dem widersprach der Bundesgerichtshof nun. Die Gefängniszelle, in der sich Safwan Eid als Untersuchungshäftling mit Verwandten unterhalten hatte, sei keine Privatsphäre und daher vor Lauschangriffen nicht geschützt.

Auf Betreiben der Nebenkläger, der Familie El Omari, die bei dem Feuer einen Sohn verlor, war die Revisionsverhandlung anberaumt worden. Allerdings hatte sogar die Staatsanwaltschaft sich vor dem Urteil dagegen ausgesprochen, den Freispruch zu kassieren. Was auf den Tonbändern zu hören ist, ist nämlich umstritten. Die Vertreter der Anklage hatten in Äußerungen von Safwan Eids Bruder Sätze wie »Wir haben alle zum Schweigen gebracht, es gibt keine Beweise« und »Stelle dich als Unschuldiger dar!« herausgehört, während andere Übersetzer der libanesisch- arabischen Wortfetzen ganz anderes verstanden hatten: In dem Gespräch beteuere Safwan Eid seine Unschuld. Wo ein Übersetzer die Worte »Gott verzeih mir!« verstanden haben will, erkannte Eids Verteidigerin Gabriele Heinecke nur ein Türknarren. Ein Vetreter der Bundesanwaltschaft im Karlsruher Revisionsverfahren meinte, die aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate seien so beliebig interpretierbar, daß ihr »Beweiswert gegen Null« gehe.

Im Gegensatz zur besonderen Aufmerksamkeit für Safwan Eid hatte die Lübecker Staatsanwaltschaft an vier verdächtigen Männern aus der rechten Szene nur wenig Interesse gezeigt. In der Neuverhandlung, die nicht am Ort der Tat, in Lübeck, sondern im Landgericht Kiel stattfinden soll, werden bei der Beweisaufnahme wohl nicht nur die Aushorchprotokolle der Polizei eine Rolle spielen, sondern auch die Geständnisse von Maik Wotenow, der im Februar sich selbst und seine Freunde Heiko Patynowski, Rene Burmeister und und Frank Techentin der Tat bezichtigte. Die Staatsanwaltschaft schenkt der widerrufenen und vor zwei Wochen wiederholten Selbstbezichtigung ebensowenig Glauben wie den Unschuldsbeteuerungen Safwan Eids.

Immerhin sieht sich die Anklagevertretung mit zweieinhalbjähriger Verspätung endlich gezwungen, der Spur nach Grevesmühlen nachzugehen. Eine Mitarbeiterin der Lübecker Staatsanwaltschaft unterstrich gegenüber junge Welt jedoch, daß die Ermittlungen ihrer Behörde noch nicht abgeschlossen seien. In der Hansestadt ist man darum bemüht, die Ermittlungen gegen die Grevesmühlener und den bevorstehenden Kieler Prozeß als zwei völlig getrennte Verfahren zu behandeln.

Leif Allendorf