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junge Welt, Donnerstag, 5. Juni 1997, Nr. 128, Seite 6, inland

>> Plädoyer im Lübecker Brandprozeß

> Staatsanwaltschaft fordert Freispruch, beschuldigt Safwan Eid jedoch unterschwellig weiter

Im Prozeß um den verheerenden Brand in einem Lübecker Asylbewerberheim hat die Staatsanwaltschaft am Mittwoch auf Freispruch für den angeklagten Libanesen Safwan Eid plädiert.

Staatsanwalt Michael Böckenhauer sagte vor dem Lübecker Landgericht, ein konkreter Tatbeitrag Eids sei nicht nachweisbar gewesen. Damit ist der großangelegte Versuch gescheitert, die ausländischen Opfer von in Deutschland serienmäßig stattfindenden Anschlägen auf Asylbewerberheime zu Tätern zu stempeln. Böckenhauer beklagte in seinem Plädoyer, daß die abgehörten Gespräche zwischen dem wegen schwerer Brandstiftung angeklagten Libanesen und Familienmitgliedern sowie Bekannten vor Gericht nicht verwendet werden durften. Zugunsten des Angeklagten könne zudem nicht ausgeschlossen werden, daß er von dem Verbrechen nur gehört habe.
Die Staatsanwaltschaft hatte sich bei der Anklage auf die Aussage eines Rettungssanitäters gestützt. Der Mann hatte berichtet, der Angeklagte habe ihm in der Brandnacht gesagt: »Wir waren's«. Safwan Eid bestritt dies stets. Er habe »die waren's« gesagt und damit Neonazis gemeint. Scharf griff Böckenhauer während seines Plädoyers die Verteidigerinnen von Safwan Eid an. Sie hätten Zeugen unter Druck gesetzt, das Verfahren politisiert und Verschwörungstheorien entwickelt. Dabei seien sie bis an die Grenze des Erträglichen gegangen.
Die unschwer erkennbare Absicht der Staatsanwaltschaft: Der nicht mehr zu verhindernde Freispruch des Libanesen soll ein Freispruch mangels Beweisen, nicht einer wegen erwiesener Unschuld werden. Die »strafprozessuale Wahrheit« müsse nicht unbedingt mit der Wirklichkeit übereinstimmen, so Böckenhauer.
Mit dieser unterschwelligen Beschuldigung von Safwan Eid könnte die Grundlage dafür gelegt werden, daß auch anderthalb Jahre nach dem Verbrechen der anfängliche Tatverdacht gegen vier rechtsradikale Jugendliche aus Grevesmühlen von den Ermittlungsbehörden nicht wieder aufgenommen werden müßte. Bei dem Brand in Lübeck waren am 18. Januar des vergangenen Jahres zehn Menschen getötet und 38 weitere zum Teil schwer verletzt worden.

(jW)


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