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junge Welt, Freitag, 11. April 1997, Nr. 84, Seite 6, inland

>> Nur ein Prozeß gegen geständige Autoknacker

> In Lübeck wurden des Brandanschlags verdächtige Grevesmühlener wegen Diebstahls verurteilt

Die Angeklagten sind keine Unbekannten. Heiko P. und Dirk T., die sich am Donnerstag vor dem Lübecker Amtsgericht wegen besonders schweren Diebstahls verantworten mußten, sind zwei der vier »Grevesmühlener«, die in der Januar-Nacht vergangenen Jahres, in der das Flüchtlingsheim in der Lübecker Hafenstraße in Flammen aufging, mehrfach in Tatortnähe gesichtet wurden. Der Prozeß gegen die beiden jungen Männer dreht sich - neben anderen Delikten - auch um einen Autodiebstahl in genau jener Brandnacht. »Hier geht es nur um ein Verfahren gegen geständige Autoknacker«, versucht Ankläger Günter Müller die Bedeutung des Verfahrens herunterzuspielen. Doch allein die Tatsache, daß er als leitender Oberstaatsanwalt in dem erstinstanzlichen Bagatellverfahren eingesetzt ist, belegt eher das genaue Gegenteil.

Noch eine weitere Personalie läßt den Beobachter stutzen. Als Verteidiger des dritten Angeklagten, Marco K., tritt mit Ulrich Haage ein Jurist auf, der im Lübecker Brandprozeß als Nebenklägeranwalt der Familie El Omari als unermüdlicher Assistent der Staatsanwaltschaft im Einsatz ist. Haages Mandant im Autoknackerprozeß stand zwar nie im Verdacht, am Brandanschlag in der Hafenstraße beteiligt gewesen zu sein, doch er ist ein Verwandter des Mitangeklagten Heiko P. Eine »Interessenkoalition könne er nicht erkennen«, wehrte Haage die Fragen der irritierten Presse ab: »Das sind zwei Paar verschiedene Schuhe«.

Das unter besonderen Vorzeichen stehende Strafverfahren verlief reibungslos. Die Angeklagten legten umfassende Geständnisse ab, belasteten sich nach Kräften. Detailliert berichteten sie auch, wie sie in der Brandnacht einen Golf GTI knackten, den Dirk T. anschließend nach Mecklenburg-Vorpommern gefahren haben will. Fast scheint es, als wollten die Beschuldigten durch ihre ausführlichen Schilderungen beweisen, daß sie in der Nacht mit dem Autoklau viel zu beschäftigt waren, um nebenbei noch einen Brandanschlag zu verüben. »Ohne diese Geständnisse«, bemerkte Richter Andreas Lehnert bei seiner Urteilsverkündung, »hätte es wohl nur eine Verurteilung wegen einfachen Diebstahls geben können«. So aber werden alle drei Angeklagten wegen schweren Diebstahls verurteilt. Während Marco K. - er war nur bei einer der Diebestouren dabei - mit einer Geldbuße von 2000 Mark davonkommt, wird Dirk T. zu einer zehnmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Der mehrfache vorbestrafte Heiko P. wird als einziger seine Strafe - das Gericht urteilte auf 18 Monate - zumindest zum Teil absitzen müssen, falls er keine Rechtsmittel einlegt. Gegen die beiden anderen Grevesmühlener, die in der Brandnacht in Lübeck unterwegs waren, muß noch gesondert verhandelt werden. Während der 19jährige Mike W., der den Spitznamen »Klein Adolf« führt, sich vor der Jugendstrafkammer verantworten muß, ist der momentane Wohnort des Grevesmühlener Rene B. dem Gericht zur Zeit nicht bekannt.

Marco Carini, Lübeck