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junge Welt, Mittwoch, 26. März 1997, Nr. 72, Titelseite

>> Lübecker Staatsanwälte verweigern Ermittlung

> Jugendlicher aus Grevesmühlen bezichtigte sich der Beteiligung am Brandanschlag

»Wenn nicht noch jemand ungefragt erklärt, er habe das Feuer im Lübecker Flüchtlingsheim in der Hafenstraße gelegt, wird in diesem Verfahren nichts Wesentliches mehr passieren«, bewertete auf dem Flur des Landgerichtes vor wenigen Tagen einer der Nebenkläger-Anwälte den festgefahrenen Verfahrensstand im Lübecker Brandprozeß gegen Safwan Eid. Der Anwalt irrte. Der Lübecker Staatsanwaltschaft liegen seit Wochen konkrete Hinweise auf einen jungen Mann vor, der sich der Beteiligung am Anschlag bezichtigt hat. Passiert ist trotzdem nichts.

Maik W. ist kein Unbekannter. Er gehört zu den vier Jugendlichen aus Grevesmühlen und Umgebung, die in der Brandnacht mehrfach unmittelbar in der Nähe des Tatortes gesehen wurde. Ende vergangenen Jahres wurde der Skinhead, den Freunde nur »Klein Adolf« nennen, nach einem gestern erschienenen Bericht der Berliner Zeitung im mecklenburgische Güstrow von Rainer B. (Name geändert), dem Verkäufer in einem Bekleidungsgeschäft, erwischt, wie er ein Sweatshirt in seinen Rucksack steckte, ohne dafür zu bezahlen.

Der Verkäufer folgte dem kahlgeschorenen Jugendlichen und stellte ihn auf offener Straße. Als er ihm gedroht habe, die Polizei zu rufen, so gab Rainer B. wenig später auf einer Güstrower Polizeidienststelle zu Protokoll, habe Maik W. mit den Worten gekontert: »Polizei - die kann mir gar nichts: Ich war sogar bei dem Brandanschlag in Lübeck dabei.«

Anschließend, so berichtet B. heute, habe sich Maik W. damit gebrüstet, Kontakt zu einem Anführer der rechtsradikalen Szene in Güstrow zu haben. Dieser werde sich um B. »kümmern«, falls der ihn »verpfeife«. Obwohl der Verkäufer nach dem Wortgefecht auch noch von Freunden von Maik W. zusammengeschlagen wurde, berichtete er noch am selben Tag seine Erlebnisse der Polizei. Die Güstrower Beamten meldeten den Zwischenfall sofort ihren Lübecker Kollegen. Doch statt zu ermitteln, breiteten Staatsanwaltschaft und Polizei einen Mantel des Schweigens über die Selbstbeschuldigung des in rechten Kreisen verkehrenden Jugendlichen aus.

So wurde nicht einmal die örtliche Presse über den Vorfall informiert. Als der Leitende Lübecker Staatsanwalt Klaus- Dieter Schultz vergangenen Freitag von einem Redakteur der Berliner Zeitung auf den Vorfall angesprochen wurde, gab er sich unwissend. »Von so einem Geständnis weiß ich nichts«, verkündete er. Das aber kann so nicht stimmen. Denn bereits Wochen vor dieser Auskunft - Ende Februar -, verfügte der Chef-Ankläger im Lübecker Brandprozeß, Michael Böckenhauer, die Einstellung der Ermittlungen zum Güstrower Zwischenfall. Es gebe keinen »hinreichenden Tatverdacht«. Maik W. habe, so die Erklärung des Lübecker Staatsamwalt, im Wortgefecht mit dem Verkäufer den 28. August als Tat-Tag genannt habe. Dabei räumt Rainer B. inzwischen ein, er sei sich »wegen dieses Datums nicht mehr sicher«: »Ich hatte das damals im Ohr, war aber sehr aufgeregt.«

Maik W. selber wurde zu seiner Selbstbeschuldigung von der Lübecker Staatsanwaltschaft nie ins Kreuzverhör genommen. Dabei, so geht aus einem Aktenvermerk der Lübecker Staatsanwaltschaft hervor, hatten die Ermittler durchaus vor, den jungen Mann zu vernehmen. Da dieser sich aber zwischenzeitlich in Bayern aufhielt, verzichtete die Staatsanwaltschaft schließlich auf eine Vorladung.

Die Akte wurde geschlossen, der Vorfall schließlich von Oberstaatsanwalt Schultz in Gänze in Abrede gestellt.

Es ist nicht die erste Spur, die zu dem mehrfach vorbestraften Maik W. führt. Bereits kurz vor dem Brand hatte der damals 17jährige - das ist aktenkundig - einem Bekannten anvertraut, daß »er in Lübeck etwas anzünden« werde oder bereits angezündet habe.

Später erinnerten sich die Betreuer einer Rostocker Jugendwohnung, die Maik W. zeitweilig bewohnte, daran, daß sie in W.s zurückgelassenen Unterlagen den Namen von Jens L. gefunden hätten, dem Hauptbelastungszeugen im Lübecker Brandprozeß, der das angebliche »Wir warn's«-Geständnis des Libanesen Safwan Eid gehört haben will. Nachdem sich Maik W. damit herausgeredet hat, es handele sich bei dem Eintrag möglicherweise um einen namensgleichen Polizisten, mit dem er im Verlauf seiner kriminellen Karriere einmal zu tun gehabt habe, ist für die Lübecker Ankläger auch diese Spur »abgearbeitet«.

Auch daß Maik W.s Wimpern und Augenbrauen am Tag nach dem Brandanschlag frische Sengspuren aufwiesen, die er sich Tage vor der Tat beim Anzünden eines Hundes geholt haben will, machte die Ermittler nicht stutzig. Da die Hunde-Geschichte nicht mit einem LKA-Gutachten zusammenpaßte, nach dem die Sengspuren erst wenige Stunden alt sein können, spekulierten sie schließlich, Maik W. und die anderen Grevesmühlener könnten sich verbrannt haben, als sie Autos anzündeten. Auf diese Erklärung waren nicht einmal die Beschuldigten selber gekommen.

Safwan Eids Verteidigerin, Gabriele Heinecke, ist deshalb »nicht sonderlich überrascht«, daß die Akte Maik W. erneut geschlossen wurde: »Wir haben immer wieder feststellen müssen, daß die Ermittlungen völlig einseitig zu Lasten von Safwan Eid betrieben wurden, obwohl die Verdachtsmomente gegen die Grevesmühlener von Anfang an viel schwerer wogen«.

Marco Carini