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junge Welt, Montag, 28. Oktober 1996, Nr. 252, Seite 5, inland

>> Opfer von Brandanschlägen zu Tätern gemacht

> Verteidigerin Heinecke übt heftige Kritik am Lübecker Verfahren gegen den Libanesen Safwan Eid

"Der gesamte Prozeß ist etwas, das in einem Staat, der sich bürgerlich-demokratisch nennt, nicht einmal als faux pas passieren darf." So die Rechtsanwältin Gabriele Heinecke zum Verfahren gegen ihren Mandanten Safwan Eid, der von der Lübecker Staatsanwaltschaft beschuldigt wird, das Feuer gelegt zu haben, das am 18. Januar 1996 zehn seiner Mitbewohner in einer Flüchtlingsunterkunft der Hansestadt tötete.

Im Verlauf einer Podiumsdiskussion, die am Freitagabend von der Berliner Gruppe Demokratischer SozialistInnen, dem Elefantenpress Verlag und der jW in der Berliner Humboldt-Uni veranstaltet wurde, listete Heinecke die Versäumisse der Ermittlungsbehörden auf: Einerseits die flotte polizeiliche Entlastung für die in der Nähe des Tatortes gesichteten Grevesmühlener Rechtsradikalen, andererseits die Anklage gegen Eid. Sie beruhe einzig auf der Aussage eines Rettungssanitäters, der weder genaue Angaben über den Ort noch über den Wortlaut des Geständnisses machen kann, das er Eid in der Brandnacht abgelauscht haben will. Das Verfahren sei auf Seiten der Ermittlungsbehörden bis hinauf zum schleswig-holsteinischen Justizministerium von einem »Menschenbild« inspiriert, nach dem die »Ausländer sich doch gegenseitig anzünden«. Dieses Menschenbild werde von den allermeisten Medien im Sinne des »nationalen Konsenses« bereitwillig aufgegriffen.

jW-Redakteur Wolf Dieter Vogel bestätigte Heineckes Einschätzung: Er schilderte verschiedene Brandanschläge aus den letzten Jahren, bei denen eine rechtsradikale Täterschaft - teilweise trotz konkreter Hinweise - von den Ermittlern ganz früh ausgeschlossen worden sei. Statt dessen seien die betroffenen Ausländer selbst - etwa in Hattingen 1993 und im bayerischen Erbendorf - zu Unrecht der Brandstiftung bezichtigt worden.

Holger Wulf vom Lübecker Bündnis gegen Rassismus wies darauf hin, daß dem Brandanschlag vom Januar eine ganze Serie rassistisch motivierter Gewalttaten, etwa die beiden Anschläge auf die Synagoge der Stadt, vorangegangen sei.

(jW)