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junge Welt, Montag, 7. Oktober 1996, Nr. 234, Seite 6, inland

>> Zerstörtes Vertrauensverhältnis

> Lübeck: Gericht lehnt Entpflichtung des Nebenklage-Anwalts Ulrich Haage im Brandprozeß ab

Wenn die Lübecker Jugendkammer am heutigen Montag den Prozeß gegen Safwan Eid fortsetzt, wird wohl weiterhin der Rechtsanwalt Ulrich Haage die Interessen des Angolaners Joao Bunga vertreten. Das zumindest entschied der Vorsitzende Richter Rolf Wilcken am vergangenen Donnerstag. Bunga selbst, der im Verfahren als Nebenkläger auftritt, hat starke Zweifel daran, daß der Anwalt tatsächlich seine Anliegen geltend macht und entzog Haage bereits am 28. September das Mandat. Er fühle sich »funktionalisiert für Interessen, die nicht die meinen sind«, erklärte Bunga und beauftragte mit Matthias Wagner einen Anwalt seines Vertrauens. Auch Wagner, der schon am vergangenen Mittwoch am Prozeß teilnahm, ist nicht gewillt, mit Haage zusammenzuarbeiten.

Zum offenen Bruch zwischen Bunga und seinem beigeordneten Anwalt war es schon in der zweiten Verhandlungswoche gekommen, als Haage einen Befangenheitsantrag gegen den Brandschutzexperten Ernst Achilles gestellt hatte. Dieser Schritt sei nicht mit ihm besprochen und auch nicht in seinem Namen gestellt worden, sagte Bunga. Für ihn bestehe kein Grund, an der »Unparteilichkeit und Fähigkeit« des Experten zu zweifeln.

Achilles widerspricht durch seine Untersuchungen über den Verlauf des Brandes in dem Wohnheim dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft, Safwan Eid habe das tödliche Feuer gelegt. Wie fast alle Überlebenden des Anschlages geht Bunga, der Frau und Tochter durch den Brand verloren hat, davon aus, daß der Libanese nicht der Täter ist. Folgerichtig kritisierte er auch, daß sich sein Anwalt Haage gegen einen von der Verteidigung Eids gestellten Antrag auf Freispruch für den Libanesen ausgesprochen hatte.

Dennoch wollte Richter Wilcken keinen »Pflichtverstoß des beigeordneten Rechtsanwaltes« erkennen. Auch Haage verteidigte während des Verhandlungstages am Mittwoch sein Vorgehen und berichtete nebenbei der Prozeßöffentlichkeit von dem zerrütteten Verhältnis zwischen ihm und Bunga - ein Thema, das eigentlich der anwältlichen Schweigepflicht unterliegt, sprich eine weitere Pflichtverletzung gegen seinen Mandanten darstellt.

Wolf-Dieter Vogel