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junge Welt, Sonnabend/Sonntag, 7./8. September 1996, · Nr. 210, Titelseite

> Brandanschlag in der Hafenstraße: Akten bestätigen den Vorwurf einseitiger Ermittlungen.

Von Wolf-Dieter Vogel

>> Schöner Wohnen in Lübeck

"Neue Indizien gegen Safwan E." titelten am Freitag die Lübecker Nachrichten. Wenige Tage, bevor in der Hansestadt der Prozeß gegen den Libanesen beginnen soll, will das Blatt gegen Safwan Eid Stimmung machen, dem die Staatsanwaltschaft vorwirft, für den Brand im Flüchtlingsheim in der Hafenstraße verantwortlich zu sein. Die Ermittler gingen einem anonymen Hinweis nach, heißt es, die auf ein Motiv des Angeklagten hindeuten könnte. Demnach könnte ein Mitglied der Familie Eid das tödliche Feuer verursacht haben, um endlich »aus dem verhaßten Asylbewerberheim« ausziehen zu können. Mit dieser These stehen die Lübecker Nachrichten in guter Tradition. Bereits am 18. August hatte die Welt am Sonntag von einem »plausiblen Motiv« gesprochen. Schließlich habe »die Familie Eid keine Angehörigen im Feuer verloren« und bewohne jetzt ein Reihenhaus im Stadtteil Kücknitz.

»Neu« ist an der Geschichte, die das Lübecker Springer-Blatt inszeniert, rein gar nichts. So versucht die Zeitung, ihre Äußerungen damit zu untermauern, die Familie Eid habe schon 1995 aus der Unterkunft ausziehen wollen. Das sei ihnen aber durch Sozialamt und Ausländerbehörde verwehrt worden.

»Bereits im Januar ist bekannt gewesen, daß zahlreiche BewohnerInnen aus dem überfüllten Heim ausziehen wollten und an der Lübecker Bürokratie gescheitert sind«, kommentiert Christoph Kleine vom Lübecker Bündnis gegen Rassismus die »absurden Spekulationen«. Einen »anonymen Hinweis« hat es in der Tat gegeben - vor knapp acht Monaten, am 22. Januar, hatte jemand bei der Polizei angerufen und geäußert, er könne sich einen entsprechenden Tathintergrund vorstellen.

Woher das Blatt seine »Informationen« über die Ermittlungen bezieht, bleibt zunächst unklar. Allemal aber kann der Staatsanwaltschaft jeder Versuch recht sein, die dünne Beweisdecke gegen Safwan Eid im Vorfeld des Prozesses durch solche Inszenierungen zu unterfüttern, zumal erneut Zweifel an der Arbeit der Behörde auftreten.

Wie aus den Spurenakten, die der Rechtsanwältin Eids, Gabriele Heinecke, jetzt vorliegen, hervorgeht, hat es in der Vergangenheit weitere Hinweise dafür gegeben, daß die vier Männer aus Grevesmühlen für den Anschlag verantwortlich sein könnten. Drei des Quartetts waren kurzfristig als Verdächtige festgenommen worden. Sie seien, so hatten sie angegeben, in Lübeck unterwegs gewesen, um ein Auto zu stehlen. Möglicherweise hat der Grevesmühlener Heiko P. zwei Wochen später gegenüber einem Bekannten ein Tatbekenntnis abgelegt.

Das zumindest berichtete am 30. März Günther V. einem Sanitäter, der ihn nach einer Schlägerei ins Krankenhaus gefahren hatte. Die Mecklenburger seien zusammen für den Brand verantwortlich, er habe aber nur das Auto gefahren, soll Heiko P. gegenüber Günther V. gesagt haben. Günther V. kennt den Grevesmühlener noch von ihrer gemeinsamen Zeit bei einer Leiharbeitsfirma. Er könne aber nicht zur Polizei gehen, so Heiko P., sonst werde er von seinen »zwei anderen« Grevesmühlener Freunden umgebracht. Bei einer polizeilichen Vernehmung am nächsten Morgen kann sich Günther V. nicht mehr daran erinnern, in der Nacht gegenüber dem Sanitäter von einem Geständnis gesprochen zu haben. Richtig aber sei, daß er am 3. Februar Heiko P. in der Kneipe "Amadeus" getroffen und ihn gefragt habe, wo er denn in der Tatnacht gewesen sei. Auch warum er denn mit Rechtsradikalen zu tun habe, wollte Günther V. von Heiko P. wissen. »Die können uns gar nichts beweisen, die kriegen uns nie«, soll Heiko P. daraufhin reagiert haben.

Die Ermittler schenkten diesem Hinweis keine besondere Bedeutung. Günther V. sei mehrfach vorbestraft und zudem sehr betrunken gewesen. Der Sanitäter allerdings hatte den Eindruck, Günther V. sei in der Nacht lediglich leicht angetrunken gewesen und habe sich durchaus normal ausgedrückt. Die Ermittler gingen dieser Spur offensichtlich nicht weiter nach. Als Zeuge im jetzt anstehenden Verfahren gegen Safwan Eid ist er nicht geladen.

Daß Heiko P. in der Nacht möglicherweise den Chauffeur gemacht hat, scheint der Polizei unabhängig von einem Tatverdacht gegen die vier nicht recht zu sein. Heiko P. sei in der Nacht gefahren, hatte auch der Grevesmühlener Tatverdächtige Maik W. im Zuge von Nachermittlungen im Sommer ausgesagt. Die Beamten arbeiteten schnell und hefteten an den Aussagebericht des Mecklenburgers eine Nachricht, daß diese Aussage wohl falsch sein müsse. Schließlich habe Maik W. früher gesagt, ein anderer, René B., sei in der besagten Nacht durch Lübeck gefahren. »Das stimmt nicht«, kommentiert Rechtsanwältin Heinecke gegenüber jW. Maik W. habe das bisher nicht behauptet.

Warum die Ermittler nicht nur wenig Interesse an einem möglichen Geständnis zeigen, sondern auch allein an der Aussage, daß Heiko P. in der Nacht den Wartburg gefahren hat, bleibt zunächst deren Geheimnis. Der derzeit zuständige Lübecker Staatsanwalt Heinrich Wille war am gestrigen Freitag nicht zu sprechen. Auffällig allerdings ist, daß Heiko P. der einzige des Quartetts war, bei dem am kommenden Tag keine Brandspuren festgestellt wurden. Maik W., René B. und ihr Kumpel Dirk T. hatten leichte Verbrennungen, die sie sich laut einer gerichtsmedizinischen Untersuchung in der Brandnacht zugezogen haben müssen.

Doch auch weitere neue Informationen stellen die Genauigkeit der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in Frage. Bislang hatte Dirk T. angegeben, er sei alleine mit einem gestohlenen Golf durch die Hafenstraße und dann Richtung Heimatstadt gefahren. Seine Freunde wollen ihn die halbe Nacht gesucht haben. Nun hat ein Lübecker Gastwirt zu Protokoll gegeben, er habe kurz nach zwei Uhr einen Wartburg mit Grevesmühlener Nummer sowie einen dunklen VW-Golf beobachtet. Die Insassen der Fahrzeuge hätten gegrölt und Bier getrunken, so der Augenzeuge. Hinter einer Brücke, die Richtung Hafenstraße führt, seien die Motorgeräusche dann verstummt. Zwischen 3.00 und 3.30 Uhr, heißt es in der Anklageschrift gegen Safwan Eid, sei »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit« der Brand ausgebrochen.