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junge Welt, Montag, 15. Juli 1996, Nr. 163, Seite 6, inland

Schuldzuweisungen ohne Ende

> Grevesmühlener Tatverdächtige versuchen, Kopf aus der Schlinge zu ziehen

Dirk T. »war doch in der Nacht stundenlang verschwunden, nachdem er den Golf geknackt hat«, erzählt Rene B.. Er sei ja kein Kumpel von T., so der Grevesmühlener am Sonnabend in der taz, aber selbst seine Freunde werden »jetzt langsam stutzig«. Auch die Sache mit dem abgefackelten Auto, die neueste Erklärung für die bei drei der vier Tatverdächtigen festgestellten Brandspuren, bezweifelt Rene B.: »Der widerspricht sich doch ständig.«

In der mecklenburgischen Kleinstadt geht offenbar die Angst um, seit vor knapp zwei Wochen der Libanese Safwan Eid aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Plötzlich gerät wieder ins Blickfeld, was Verfolgungsbehörden und Medien schon lange ad acta gelegt hatten: Der Verdacht, daß die jungen Männer, die in der Nacht zum 18. Januar in der Nähe des Lübecker Flüchtlingsheims gesehen wurden, für das tödliche Feuer verantwortlich sein könnten. Damals setzten die Ermittler Dirk T., Heiko P., Maik W. und Rene B. nach kurzer Festnahme wieder auf freien Fuß.

Ob tatsächlich an der Tat beteiligt oder nicht, offenbar versuchen die Grevesmühlener jetzt rechtzeitig, durch Aussagen gegenüber verschiedenen Medien den eigenen Kopf auf Kosten der anderen aus der Schlinge zu ziehen. Schon vergangene Woche hatte Kerstin B., Freundin von Dirk T., in Spiegel-TV von einer angeblichen Liste berichtet, die diese in den Aufzeichnungen von Maik W. gefunden haben will. Eine Namensliste, durch die Verbindungen ihres Ex-Freundes Maik zum Kronzeugen der Anklage gegen Safwan Eid gezogen werden könnten. Nun versucht offenbar Rene B. via taz, Dirk T. anzuschwärzen. Doch daß Rene B. seinen »Nicht-Kumpel« in der besagten Nacht stundenlang nicht mehr gesehen hatte, ist wenig verwunderlich. Schließlich hatte Dirk T. doch, so die Aussagen der Grevesmühlener bei polizeilichen Vernehmungen nach deren Festnahme, die Aufgabe, einen geklauten Golf GTI in die Mecklenburger Kleinstadt zurückzufahren.

Dennoch entbehrt der Versuch, die Verantwortung ausgerechnet Maik W. und Dirk T. zuzuschieben, nicht einer gewissen Logik. Passen diese doch besser ins Raster »Rechtsradikalismus« als die anderen beiden Tatverdächtigen. Maik W., von seinen Freunden auch Klein-Adolf genannt, wurde bereits für das Sprühen von Hakenkreuzen verurteilt, interessiert sich für SS-Literatur und hatte ohnehin gegenüber einem Freund davon gesprochen, er habe »in Lübeck etwas angesteckt« oder wolle dies tun. Dirk T., zumindest früher organisierter Skinhead, wußte im Januar zu berichten, seine Gruppe sei »in Rostock dabei« gewesen. Neu allerdings sind die gegenseitigen Belastungen nicht. Dirk T. gab schon bei ersten Vernehmungen im Januar zu den Akten, er schließe eine Täterschaft seiner drei Freunde nicht aus. Maik W. sagte dasselbe über Dirk T.

Wolf-Dieter Vogel