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junge Welt, Donnerstag, 4. Juli 1996 , Nr. 154 , Titelseite

Fragwürdige Zeugen

> Lübeck: Staatsanwalt widerspricht jW-Bericht.

Von Wolf-Dieter Vogel

Kommende Woche will die Lübecker Jugendstrafkammer darüber entscheiden, ob gegen Safwan Eid das Hauptverfahren eröffnet wird. Nachdem der Libanese am Dienstag aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, erwägt Staatsanwalt Klaus-Dieter Schultz weiterhin, gegen die Freilassung Beschwerde einzulegen. Schließlich habe die Jugendkammer lediglich entschieden, daß gegen Eid kein »dringender Tatverdacht« bestehe, um die Untersuchungshaft aufrechtzuerhalten. Ob dennoch kein »hinreichender Tatverdacht« dafür bestehe, daß Eid für den Brandanschlag auf das Flüchtlingswohnheim in der Hansestadt am 18. Janaur verantwortlich ist, sei noch zu prüfen. Schultz erklärte zum jW-Bericht, Kontakte des Zeugen M. H. zu einem der vier jungen Männer aus Grevesmühlen seien »zur Zeit nicht belegbar«.

Die Rechtsanwältin Eids, Gabriele Heinecke, ist davon überzeugt, daß die Akten keine Grundlage für einen Prozeß hergeben.« Im Gegensatz zu den Behörden rechnet sie nicht mit einer schnellen Entscheidung der Jugendkammer. Dies werde wohl einige Wochen in Anspruch nehmen, so die Verteidigerin am Mittwoch in Hamburg. Kambiz Behbahani, Mitglied im Bundesvorstand der Grünen, kritisierte gegenüber jW den Versuch der Behörden, »Opfer zu Tätern zu machen«.

Indessen mehren sie zunehmend die Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen Jens L. Der Rettungssanitäter, dem gegenüber der Libanese in der Tatnacht auf dem Weg ins Krankenhaus ein Geständnis abgelegt haben soll, hat nach Angaben von Heinecke in seiner letzten Vernehmung am 31.Mai erneut vorhergehenden Aussagen widersprochen.

Demnach will er gegenüber seinem auch im Rettungseinsatz beteiligten Kollegen Matthias H. bereits von einem Geständnis Eids geredet haben, als er mit dem Libanesen noch gar nicht gesprochen hatte. Auch H. hatte bei einer Vernehmung zunächst angegeben, mit seinem Freund und Kollegen L. über Eids Geständnis gesprochen zu haben, bevor der Rettungssanitäter mit dem Bus weggefahren sei - jenem Bus, in dem L. Safwan Eid getroffen hatte. Erst auf Vorhaltungen der Polizei, so Heinecke, habe er diese Aussagen korrigiert.

Die Rechtsanwältin widersprach gegenüber jW allerdings Pressemeldungen, nach denen die Telefonnummer des Zeugen L. in Aufzeichnungen des Grevesmühlener Maik W. gefunden worden seien. Maik W. wurde mit drei weiteren Männern aus der mecklenburgischen Kleinstadt in der Tatnacht in unmittelbarer Nähe des brennenden Gebäudes gesehen und danach kurzzeitig als Verdächtiger verhaftet. Informationen über angebliche »enge Kontakte« zwischen Maik W. und Matthias H., wie jW am Dienstag mit Bezug auf Recherchen anderer Journalisten berichtete, seien, so Heinecke, nicht richtig. Über Matthias H., in dessen Spind früher rechtsradikales Propagandamaterial gefunden wurde, liegen dem schleswig-holsteinischen Verfassungsschutz nach Aussagen der Behörde auf jW-Anfrage keine Informationen vor.

Allerdings hatten Betreuer eines Heimes, in dem Maik W. bis Ende vergangenen Jahres gewohnt hatte, einen Zettel gefunden, auf dem der ausgeschriebene Name »L.« gestanden habe. Das hat auch die Polizei nach der Festnahme des Grevesmühleners festgestellt. Auf die Frage nach Bekannten mit dem Namen »L.« hat dieser zwei Personen angegeben, von denen allerdings eine nicht existierte. Die Ermittlungsbehörden verfolgten die Spur daraufhin offensichtlich nicht weiter, schließlich konnte der Lübecker Polizeisprecher Detlef Hardt bereits am 1. Februar erklären, daß in Richtung rechtsradikaler Hintergrund nicht weiter ermittelt werde.