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junge Welt, Montag, 22. April 1996, Nr. 94, Seite 2, ansichten

>> Warum sitzt Safwan Eid noch in Haft?

> Safwan Eid sitzt immer noch in Untersuchungshaft. Klaus-Dieter Schultz ist Staatsanwalt im Verfahren gegen den Libanesen, der für den Brand im Lübecker Flüchtlingsheim verantwortlich sein soll. jW sprach mit dem Staatsanwalt

F: Welche Gründe sprechen nach dem »Monitor«-Bericht vom Donnerstag überhaupt noch für eine Aufrechterhaltung des Haftbefehls gegen Herrn Eid?

Wir gehen nach wie vor davon aus, daß der Beschuldigte dringend verdächtig ist, den Brand gelegt zu haben.

F: Mit welcher Grundlage? Der Brandgutachter Ernst Achilles ist der Meinung, daß das Feuer nicht im 1. Stock ausgebrochen sein kann.

Das ist zunächst einmal die Aussage von Professor Achilles. Dem gegenüber steht die Aussage der Brandsachverständigen des Landeskriminalamtes und des Bundeskriminalamts. Das können wir nicht unter den Tisch fallen lassen. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß Professor Achilles sich in einem weiteren Fernsehbeitrag nicht so eindeutig geäußert hat, wie er das am Donnerstag getan hat. In »Monitor« hat er, wenn ich seine Äußerungen richtig in Erinnerung habe, gesagt: eindeutig im Erdgeschoß. Nach der Inaugenscheinnahme hat er sich dahingehend geäußert, er könne auch eine Brandlegung im 1. Obergeschoß nicht ausschließen, halte aber eine Brandlegung unten für wahrscheinlicher. Das ist eine ganz andere Aussage. Ich will diese unterschiedlichen Aussagen nicht bewerten. Für uns sind nicht Fernseh-Statements entscheidend, die unter einem gewissen zeitlichen Druck abgegeben werden. Für uns ist entscheidend, daß die Verteidigung den Sachverhalt vorträgt. Das hat sie angekündigt. Bislang liegt eine entsprechende Begründung nicht vor.

F: Auch unabhängig von dem Brandgutachten scheint bewiesen zu sein, daß unten im Vorbau die Möglichkeit bestand, in das Gebäude einzudringen.

Ich habe der »Monitor«-Sendung keinerlei Fakten entnehmen können, die dafür sprechen, daß dort jemand eingestiegen ist. Das ist eine Spekulation. An Spekulationen beteilige ich mich nicht.

F: Das Fenster konnte geöffnet werden. Vorher wurde ein Brandanschlag von außen ausgeschlossen, weil ein Eindringen nicht möglich sei.

Der Gesamtsachverhalt spricht nach unserer Auffassung nicht für einen von außen begangenen Brandanschlag. Für andere Spekulationen gibt es keinerlei Fakten.

F: Aber die Behauptung, man habe nicht in das Haus eindringen können, stellt eine Grundlage dafür dar, daß Safwan Eid noch im Gefängnis sitzt. Aus genau diesem Grund wurde ein Brandanschlag von außen ausgeschlossen, aus diesem Grund gab es auch keine weiteren Ermittlungen.

Welche Ermittlungen sollte es denn konkret geben? Ermittlungen kann man nur führen, wenn es Anhaltspunkte in irgendeiner Richtung gibt. Allein die theoretische Möglichkeit, daß jemand durch ein Fenster hätte einsteigen können, gibt keine Anhaltspunkte für Ermittlungen. Außerdem ist das nicht Grundlage für den Haftbefehl. Grundlage für den Haftbefehl sind die Angaben des Beschuldigten gegenüber einem Rettungssanitäter.

F: Es gab vier Verdächtige aus Grevesmühlen. Wieso wurde in dieser Richtung nicht weiter ermittelt?

Die Spur gegen die Grevesmühlener ist komplett abgearbeitet. Gegen diese vier jungen Leute läßt sich ein Tatverdacht nicht begründen.

F: Trotz der angesengten Haare und der leichten Verbrennungen, die sie aufgewiesen haben?

Das sind keine neuen Fakten. Wir haben seinerzeit den Gesamtsachverhalt bewertet, und wir halten diese Bewertung nach wie vor für richtig.

F: Und welchen Wert messen Sie den Aussagen zahlreicher Betroffener zu, die sagen, sie hätten gehört, daß eine Scheibe geklirrt, ein Gartentor geknarrt hat. Ein Molotow-Cocktail könnte reingeflogen sein?

Wir werden Einzelheiten zur Zeit nicht diskutieren, die Ermittlungen sind nicht öffentlich. Wir werden uns gegebenenfalls zu allen Fragen in einer Hauptverhandlung zu äußern haben.

F: Der Verdacht gegen die Grevesmühlener Jugendlichen war bereits mittags um zwölf am Tag nach dem Anschlag aus der Welt geschafft. Wie ging das so schnell?

Zu der Zeit war eine Entscheidung zu treffen, ob gegen die jungen Leute ein Haftbefehlsantrag zu stellen ist. Da gibt das Gesetz uns Vorgaben. Wir müssen innerhalb von einem Tag entscheiden, ob ein Haftbefehl zu beantragen ist.

F: Es wurde also innerhalb weniger Stunden ausgeschlossen, daß die Männer etwas mit dem Brand zu tun haben.

Die Spur Grevesmühlen wurde nicht besonders schnell verworfen, sondern komplett abgearbeitet. Der Brandschutt wurde übrigens komplett durchsiebt. Dabei haben sich keine Hinweise auf einen Molotow-Cocktail ergeben. Das ist alles reine Spekulation, durch Fakten nicht zu untermauern.

F: Das Brandschutzgutachten des LKA und die Computersimulation des BKA basieren darauf, daß die Decken kein Holz enthielten. Tatsächlich aber wurden Holzbestandteile und Bast festgestellt.

Zu den Einzelheiten werden sich die Sachverständigen des Landeskriminalamtes und des Bundeskriminalamts zu äußern haben. Und es wird auch Aufgabe der Sachverständigen sein, sich zu dem von Professor Achilles Vorgebrachten zu äußern. Auf der Basis dieser Stellungnahme werden wir eine weitere Entscheidung treffen.

F: Warum haben Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt verweigert, bei dem von der Verteidigung anberaumten Ortstermin mit Herrn Achilles mitzugehen?

Das haben wir nicht verweigert, es bestand aus unserer Sicht kein Anlaß mitzugehen.

F: Obwohl das Gutachten die komplette Anklage in Frage stellt?

Nein, daraus hätten sich keine neuen Erkenntnisse ergeben. Die Verteidigung wird das vortragen. Wir haben der Verteidigung wunschgemäß ermöglicht, das Gebäude zu besichtigen. Wir haben wunschgemäß gestattet, daß dort ein Filmteam arbeitet, wir haben die entsprechenden Aufnahmen in »Monitor« gesehen.

F: Laut »Monitor« wurde die vermutete Brandausbruchszeit im zweiten Haftbefehl gegen Herrn Eid auf einen früheren Zeitpunkt verlegt.

Dazu werden wir uns im einzelnen nicht mehr äußern. Ich kann nur wiederholen, Ermittlungen werden nicht öffentlich geführt. Der Ort, an dem Argumente auch gegen einen dringenden Tatverdacht vorzubringen sind, ist das Gericht. Es wird in Kürze eine Entscheidung einer großen Strafkammer über die Fortdauer der Untersuchungshaft geben.

F: Diese Woche wird sich eine internationale Untersuchungskommission konstituieren. Was halten Sie davon?

Die halte ich nicht für notwendig, ich sehe auch keine Legitimation für eine derartige Untersuchungskommission. Wir haben es hier mit einem rechtsstaatlich korrekt ablaufenden Verfahren zu tun. Der Beschuldigte ist anwaltlich vertreten.

F: Die Kommission würde gern Akteneinsicht haben. Wie stehen die Chancen, daß sie die kriegt?

Die Kommission hat keinen Anspruch auf Akteneinsicht. Wir sind überhaupt nicht befugt, ihnen die Akten zu geben, nicht einmal, wenn wir wollten.

F: In der Öffentlichkeit gibt es sehr starke Zweifel daran, daß in alle Richtungen ermittelt wird.

Ich weiß nicht, ob man sagen kann »in der Öffentlichkeit«. Damit wird ja der Eindruck erweckt, als wenn es bei 90 Prozent der Bevölkerung diese Zweifel gibt. Ich denke nicht, daß der Prozentsatz auch nur annähernd so hoch anzusetzen ist.

F: Sicher nicht, aber entscheidend ist doch, daß sehr große Zweifel existieren. Nach wie vor sind jede Menge Fragen offen; trotzdem sitzt Safwan Eid noch in Untersuchungshaft.

Daß der Beschuldigte sich in Untersuchungshaft befindet, beruht nicht auf einer Anordnung der Staatsanwaltschaft. Bislang haben zwei Haftrichter unabhängig voneinander einen dringenden Tatverdacht bejaht. Es gibt hier Entscheidungen unabhängiger Gerichte, die ja im übrigen im Wege der Haftbeschwerde der Überprüfung unterliegen.

F: Es scheint aber hier nicht nur um Tatverdachte zu geben. Der Ermittlungsrichter beim zweiten Haftprüfungstermin hat gesagt, vor den Wahlen werde er das politische Risiko nicht eingehen, Herrn Eid freizulassen. Es bestehen also auch politische Hintergründe für die immer noch andauernde Haft.

Das ist völlig abwegig.

F: Das halten Sie für völlig abwegig?

Ich halte es für abwegig, daß es politische Einflußnahmen gibt. Es mag ja sein, daß der eine oder andere das so sieht, da werden wir das Gegenteil nicht beweisen können. Es gibt keine politische Einflußnahme. Wir treffen keine politischen Entscheidungen, das ist völliger Unsinn.

F: Ein Nigerianer, der potentieller Zeuge ist, wurde jetzt abgeschoben. Besteht die Chance, daß er als Zeuge wieder geladen wird?

Das alles werden wir gegebenenfalls in einer Hauptverhandlung zu erörtern haben.

F: Warum haben Sie nach dem Brand eine Nachrichtensperre verfügt?

Es hat im engeren Sinne keine Nachrichtensperre gegeben. Wir haben seinerzeit gesagt, wir haben nichts weiter mitzuteilen.

F: Nein, ...

... in der Tat ist mal von der Polizei das Wort »Nachrichtensperre« gebraucht worden. Von uns aus hat es keine Nachrichtensperre gegeben, sondern wir haben gesagt, wir haben zur Zeit nichts Neues mitzuteilen. Wir konnten ja nicht stündlich neue Fakten der Öffentlichkeit übermitteln. Wo sollen denn diese neuen Fakten herkommen? Wir haben gesagt, sobald das möglich ist, werden wir weiterhin die Öffentlichkeit zeitnah unterrichten. Das haben wir gemacht.

F: Es gab viele offene Fragen...

... auch wenn die Presse es gerne anders hätte, Ermittlungen werden nicht öffentlich geführt. Und wir werden zur Zeit weitere Details nicht mit der Presse erörtern.

Interview: Wolf-Dieter Vogel