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junge Welt, Sonnabend/Sonntag, 10./11. Februar 1996, Nr. 35, Seite 3, ansichten

K O M M E N T A R

>> Freiheit für Safoan!

Seit 20 Tagen sitzt Safoan E. im Knast. In einem Land voller Brandstifter und Biedermänner soll eines der Opfer des Brandanschlags auf das Flüchtlingswohnhaus in Lübeck als Feuerleger herhalten, das deutsche Gewissen entlasten, den Wirtschaftsstandort sauber halten. Doch dafür, daß Safoan E. der Täter ist, spricht bis heute kaum etwas. Einzig sein angebliches »Geständnis« kurz nach der Tat im Krankenwagen und sein sogenanntes »Täterwissen«. Letzteres bedeutet, daß er den Brandherd gekannt haben soll, doch Safoan E.s Anwalt erklärt dazu, sein Mandant habe lediglich weitererzählt, was ihm sein Vater zugetragen habe - und dessen Zimmertür war schließlich nur einen Meter von der bewußten Stelle entfernt.

Vielmehr deutet fast alles, was an Fakten bekannt ist, darauf hin, daß der 21jährige Libanese nicht der Täter ist. Warum sollte er sich, nachdem er im ersten Stock das Feuer gelegt hat, im dritten Stock schlafen legen? Zudem wurde auch Safoan E., nachdem man ihn aufgeweckt hatte, nur knapp gerettet, er half dann bei den Rettungsmaßnahmen. In dem Haftbefehlsantrag, der dem ZDF zugespielt worden war, hatte es geheißen, es habe Auseinandersetzungen zwischen Afrikanern und Arabern gegeben. Safoan E. habe im Streit mit einem Gustave E. gelegen. Doch der erklärte dem ZDF-Reporter, er wisse nichts von einem Streit. Auch den übrigen HausbewohnerInnen sind keinerlei Konflikte bekannt. Im Gegenteil: Sie berichteten einmütig, daß im Haus »alles friedlich« gewesen sei. Es habe allerdings schon mehrmals Anschläge gegeben, die die Polizei jedoch nicht verfolgt habe. Auch für ein vom stern konstruiertes Eifersuchtsdrama gibt es keine Indizien.

Selbst wenn die Brandstiftung wirklich im Haus vorgenommen worden war, spricht nichts dagegen, daß jemand von außen sie verübte. Hausbewohner haben von einem seit Wochen eingeschlagenen Fenster im Parterre berichtet. Und die Behauptung der Ermittler, daß die Haustür verschlossen gewesen sein soll, ist angesichts dessen, daß sie sperrangelweit offenstand, als die Feuerwehr kam, weil etliche BewohnerInnen durch eben jene Tür vor dem Feuer geflohen waren, auch kein Beleg für die Täterschaft von Safoan E.

Über weitere »Beweise« schweigen sich die Ermittler aus. Veröffentlicht wird nur, was ihnen in den Kram paßt, ansonsten: Nachrichtensperre. Deutschland hält's Maul. Und Safoan E. ist weiterhin eingekerkert. Gäbe es nicht das konkrete staatliche Interesse, würde eine solch dünne »Beweis«lage für die Aufrechterhaltung eines Haftbefehls nie und nimmer reichen. An objektive Ermittlungen glaubt doch nach Stammheim, La Belle und Bad Kleinen kaum noch jemand. Alle Argumente, die in diese Richtung gehen, verharmlosen die Situation im Lande. Safoan E. wird wohl solange sitzen müssen, bis auch die letzten Medien und damit die Öffentlichkeit den Fall abgehakt haben. Wieder ein krimineller Ausländer mehr. Und während in Lübeck noch die Trümmer beiseite geräumt werden, dürfen 350 000 bosnische Kriegsflüchtlinge schon mal ihre Koffer packen. Deutschland winkt: Gute Reise!

Ivo Bozic